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2020 - das Jahr des Klopapiers

Von Monika Jonasch

Wirtschaft

Wie misst man die Krisenstimmung einer Bevölkerung? Indem man auf ihren Toilettenpapier-Konsum achtet. Erfahrungen aus dem ersten Lockdown könnten die zweite Welle mit Blick auf den WC-Papierrausch vergnüglicher gestalten.


Wer braucht schon Infektionszahlen als Krisenindikator, sind sie hierzulande doch sowieso unzuverlässig. Aktien-Indizes sind auch nicht Jedermanns Sache. Es würde reichen, den Klopapier-Bedarf der Bevölkerung im Auge zu behalten. Damit sieht man sogar, wie politische Botschaften ankommen und wie die Nachrichtenlage allgemein eingeschätzt wird.

Wirtschaftliche Seitenblicke haben Tradition

Ein Blick zur Seite, weg von arrivierten Wirtschaftsdaten, kann durchaus neue Perspektiven auf die Welt eröffnen. Dies bewies einst schon die "Rocksaum-Theorie" (Hemline-Index), bei uns auch als Minirock-Index bekannt. George W. Taylor, ein US-amerikanischer Ökonom, veröffentlichte sie im Jahr 1926.

Demnach führen Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs dazu, dass die durchschnittliche Länge der von Damen getragenen Röcke abnimmt und umgekehrt. Eine empirische Untersuchung für den Zeitraum von 1921 bis 2009 kommt allerdings mittlerweile zu dem Ergebnis, dass diese Theorie zwar richtig ist, die Rocklänge jedoch mit einer Verzögerung von bis zu drei Jahren auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung reagiert.

Aber die Methode des wirtschaftlichen Seitenblicks war seither nicht mehr aufzuhalten. Man suchte fortan in Waffenverkäufen, Herrenunterwäsche-Absätzen oder nun eben in der rasant steigenden Klopapier-Bevorratung nach Anzeichen für die gesamtwirtschaftliche Stimmungslage.

Allerdings gilt anzumerken, dass insbesondere beim Klopapier-Hamstern in der Corona-Krise die Tendenz einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu erkennen ist. Kaum kursiert das Bild eines leeren Regals, wo sich zuvor Toilettenpapier-Packungen stapelten, durch die sozialen Medien, verspüren viele Menschen den panikartigen Reflex ihre Vorräte aufzustocken. Dadurch kommt es dann tatsächlich zu Lieferengpässen.

Was nicht gegen Hamsterkäufe hilft

Und sind die "Hamster" erst einmal unterwegs, kann sie nichts mehr aufhalten. Denn, Achtung: Die Reaktion erfolgt mitunter diametral entgegengesetzt zu den tatsächlich vermittelten Botschaften. Oder kennen Sie das nicht, wenn jemand in einem Hollywood-Film sagt: "Bewahren Sie Ruhe, geraten Sie nicht in Panik, gehen Sie langsam zu den Ausgängen..."? Spätestens dann stürzt eine kreischende Menge Richtung Ausgang.

So kam es zuletzt auch Mitte Oktober in Deutschland. Da hieß es plötzlich, laut einer Studie plane jeder zehnte Deutschen wieder verstärkt Toilettenpapier zu kaufen. Befragt wurden dafür knapp 6.000 Personen. Und schon war eine selbsterfüllende Prophezeiung geboren, die sich sofort auswirkte: Die Verkaufszahlen von WC-Papier schnellten in Deutschland in der Woche vom 12. bis 17. Oktober auf fast das Doppelte vom Durchschnitt der Vorkrisen-Monate August 2019 bis Jänner 2020, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. - Und das alles ganz ohne Lockdown.

Der deutsche Handel betonte zwar, dass keine Engpässe drohten, aber die Sache war schon im Laufen. "Auch wenn Mitglieder der Bundesregierung immer wieder betonen, dass trotz der zweiten Infektionswelle mit keinen Versorgungsengpässen zu rechnen ist, scheinen die deutschen Verbraucher auf Nummer sicher gehen zu wollen", meinte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen.

Ende Oktober waren die Franzosen als nächste an der Reihe: Vor dem zweiten Lockdown, der dort am 30. Oktober begann, deckten sich viele mit Klopapier, Nudeln und neuen Computern fürs Home Office ein.

Österreich hat aus der ersten Welle gelernt - oder?

Und in Österreich? Ende Oktober begann man auch hierzulande Vorbereitungen zu treffen. Der Lockdown light kündigte sich an. Die Supermärkte stockten, eingedenk ihrer Erfahrungen aus dem Frühjahr, gleich die Klopapier-Lagerbestände auf.

Beim ersten Corona-Lockdown um den 13. März war es zu massiven Vorratskäufen gekommen. Kurzfristig gab es leere Regale, etwa bei Toilettenpapier, Nudeln und Konserven. Damals hatten in den Großlagern der Lebensmittelhändler gar Mitarbeiter des Bundesheers aushelfen müssen, um der Situation Herr zu werden.

Aber es kam anders, zwar verzeichnete man hierzulande eine leicht verstärkte Nachfrage. Leichter Lockdown - leicht verstärkter Klopapier-Konsum?

Und so scheint es auch trotz hartem Lockdown zu bleiben: "Derzeit kann keine nennenswerte Steigerung der Abverkäufe festgestellt werden. Offenbar vertrauen die Verbraucher aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Monate darauf, dass genügend Artikel vorhanden sind", heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" von DM-Pressesprecher Stefan Ornig.

Von Hofer hieß es allerdings: "In vereinzelten Warengruppen wie Klopapier, Germ, Mehl und Teigwaren bemerken wir eine erhöhte Nachfrage. Unsere Lager sind gut gefüllt, weshalb wir auch erneute Spitzen in der Nachfrage sowohl kurzfristig als auch über einen längeren Zeitraum hinweg flexibel bedienen können. Es gibt deshalb absolut keine Notwendigkeit für Vorratskäufe."

Für Rewe, in Österreich unter anderem mit Billa, Bipa und Merkur vertreten, erläuterte Pressesprecher Paul Pöttschacher gegenüber der "Wiener Zeitung": "Klopapier war natürlich auch in Österreich sehr gefragt. Die verkauften Klopapierrollen (Zeitraum März bis Oktober) erstrecken sich über eine Länge von rund 10.000 Kilometern. Seit dem zweiten Lockdown gibt es jedoch keine Anstürme, die vergleichbar mit dem Frühjahr bzw. mit März wären. Das Kundenaufkommen verteilt sich sehr gut und Klopapier wird nicht mehr so ‚gehamstert‘ wie im Frühjahr."

Die Österreicher waren also vor dem harten Lockdown zwar schon ordentlich einkaufen - wie man weiß, vor allem "Last Minute". Allerdings konzentrierten sie sich dieses Mal nicht ausschließlich auf Klopapier.

Psychologen könnten nun interpretieren, dass sie die Krise im Herbst schlicht weniger ernst genommen haben als im Frühling. Das würde die hierzulande immer noch nicht so exzessiven Hamsterkäufe erklären. Vielleicht half auch der zeitlich gestaffelte Weg über den leichten zum harten Lockdown. Für die kommenden Monate haben wir jedenfalls wieder genug zum Spekulieren.

Warum Klopapier gebunkert wird?

Doch wer hamstert eigentlich Toilettenpapier? Nach Angaben von Herstellern war der Verkauf von WC-Papier in der ersten Corona-Welle zeitweise um bis zu 700 Prozent in die Höhe geschnellt. Dies fand ein Forscherteam heraus, das sich das Phänomen für eine Studie vornahm. Die Wissenschafter befragten mehr als 1.000 Erwachsene aus 35 Ländern, unter anderem zu Persönlichkeit, Einschätzung der Corona-Gefahr sowie zu ihren Klopapier-Einkäufen.

Das Team - darunter Mitarbeiter der Universität Münster und des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie - kam im Fachmagazin "PLOS One" zu dem Schluss: "Menschen, die sich bedrohter fühlten, neigten dazu, mehr Toilettenpapier zu horten". Eine Veranlagung zur Emotionalität beeinflusse indirekt das Lagerhaltungsverhalten, ebenso wie ein Hang zur Gewissenhaftigkeit. Personen mit höherem Gewissen neigten somit dazu, mehr Toilettenpapier zu bunkern.

"Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer klaren Kommunikation durch Behörden, die Ängste anerkennen und gleichzeitig ein Gefühl der Kontrolle vermitteln", folgerten die Wissenschafter. Sie räumten allerdings ein, dass ihre Ergebnisse nur zwölf Prozent des veränderten Klopapier-Kaufverhaltens erklären. Wohin die Hygieneartikel aus den Supermarkt- und Drogerieregalen in verschwunden sind, konnte die Studie nicht klären.