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Wie gerecht ist der Umsatzersatz?

Von Michael Ortner

Wirtschaft

Die einen bekommen zu viel, die anderen zu wenig. Manche Branchen sind gänzlich ausgeschlossen: Ökonomen halten den Umsatzersatz für ungeeignet.


Seit Dienstag ist das wirtschaftliche Leben stark heruntergefahren. Vom Friseur bis zum Möbelgeschäft, vom Elektrofachhandel bis zur Buchhandlung ist alles geschlossen. Vorerst bis 6. Dezember gilt ein harter Lockdown. Ob ihn die Unternehmen wirtschaftlich überstehen, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Die Regierung versucht jedenfalls, die betroffenen Betriebe mit dem Umsatzersatz zu entschädigen. Sie bekommen bis zu 80 Prozent ihres Umsatzes aus dem November 2019 vom Staat ersetzt.

Wie viel Geld ein Handelsbetrieb bekommt, steht noch nicht genau fest. Es soll drei Gruppen geben, die mit 20, 40 oder 60 Prozent entschädigt werden. Je verderblicher oder saisonaler eine Ware ist, desto höhere Zuschüsse soll es geben. So sollen etwa Möbelgeschäfte 20 Prozent bekommen, Blumenhändler 60 Prozent. "Körpernahe" Dienstleister wie Tätowierer sollen 80 Prozent erhalten, also so viel wie Hotels und Gastronomie-Betriebe. Das Finanzministerium arbeitet derzeit noch an den Richtlinien, dem Vernehmen nach sollen sie am Montag präsentiert werden.

Forderung nach Gleichbehandlung

In manchen Branchen rätselt man, wie viel Geld es letztendlich gibt. "Wir haben noch keine Informationen, wie viel Umsatzersatz der Buchhandel bekommt", sagt Gustav Soucek, Geschäftsführer des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels. Er vertritt die Interessen von rund 400 niedergelassenen Buchhandlungen und rund 8.000 Beschäftigten. Er fordert die "höchstmögliche Rückerstattung" und wünscht sich eine Gleichbehandlung der Buchbranche. "Aus unserer Sicht sind Bücher teilweise verderbliche Ware. Bücher haben ein Ablaufdatum, was die Aktualität betrifft", sagt der Verbands-Chef.

Der Staat greift der Wirtschaft also wieder unter die Arme. Unternehmen werden mit Steuergeld gerettet, Betriebe vor der Pleite bewahrt. Doch es hagelt Kritik am Umsatzersatz. Der Vorwurf steht im Raum, manche Unternehmen würden zu viel Corona-Hilfen bekommen. Der Umsatzersatz sei ungerecht und teuer, moniert deshalb Oliver Picek, Chefökonom beim arbeitnehmernahen Momentum Institut.

Dem Handelsverband stößt die Staffelung innerhalb der Branche sauer auf. Man ortet Ungleichheit. Der Verband fordert auch für seine Betriebe 80 Prozent. Bleibt es bei der angekündigten Staffelung, erwägen einige Handelsunternehmen eine Klage beim Verfassungsgerichtshof (VfGH).

Gestritten wird auch darüber, wer nun weiter aufsperren darf. Für Unverständnis sorgt, dass der Waffenhandel weiter geöffnet bleiben darf. Das Gegenteil wünschen sich hingegen die Reisebüros. Sie müssen nicht zusperren. Beim Umsatzersatz geht die Reisebranche deshalb leer aus. Eine absurde Situation angesichts weltweit geltender Reisebeschränkungen.

Und dann droht auf juristischer Ebene noch Ärger mit dem Umsatzersatz. Laut Experten könnte der Umsatzersatz gegen das EU-Beihilfenrecht verstoßen - die "Wiener Zeitung" berichtete. Durch eine Überkompensation würden manche Betriebe "an der Krise verdienen" - dafür sind die EU-Beihilfen jedoch nicht gedacht.

Der Umsatzersatz lässt die Wogen hochgehen. Doch wie sinnvoll ist er aus ökonomischer Sicht überhaupt?

Hilfen stehen nicht in Relation zum Schaden

Die Krise hat nicht alle Branchen gleich stark getroffen. Das geht aus Zahlen zur Umsatzveränderung der Statistik Austria hervor. Beim Bekleidungshandel brachen von Jänner bis September die Umsätze um ein Fünftel ein. In anderen Branchen hingegen konnten die Verluste vom ersten Lockdown wieder aufgeholt werden. Die Möbelbranche, Elektrofach- und Baumärkte verzeichnen in den ersten neun Monaten 2020 sogar ein Plus von knapp fünf Prozent.

Oliver Picek, Ökonom beim Momentum Institut, hält es deshalb nicht für gerechtfertigt, diese Unternehmen noch zusätzlich zu stützen. "Diese Betriebe bekommen voraussichtlich 20 Prozent Umsatzverlust und obendrein Kurzarbeitsgelder. Das ist subventionierter Gewinn", kritisiert er. Er ist der Meinung, dass Unternehmen, die keinen Umsatz verloren haben, auch keinen Umsatzersatz bekommen sollten. "Der entstandene Schaden steht nicht in Relation zu den staatlichen Hilfen", sagt Picek.

Paul Pichler, Makroökonom an der Universität Wien, hält den Umsatzersatz zwar für eine rasch umsetzbare aber dennoch ungeeignete Maßnahme. "Es ist unmöglich, ein Ersatzmodell für Umsätze zu finden, das für alle Betriebe die gleichen Bedingungen bietet", meint Pichler. Um die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen, wurden die Betriebe behördlich geschlossen. Der Einkommensverlust sollte laut Pichler für alle gleich gut abgegolten werden. Sein Hauptkritikpunkt: "Es ist ein weiter Weg von Umsatz zu Einkommensverlust. Wesentlich sind die Verluste, und die hängen von den Kosten ab", erläutert Pichler. Selbst innerhalb einer Branche gäbe es massive Unterschiede. Er nennt als Beispiel zwei Gastronomiebetriebe. Beide haben 10.000 Euro Umsatz im Monat. Der erste Betrieb, sagen wir ein Würstelstand, hat hohe variable Kosten. Der zweite Betrieb, ein kleines Innenstadtcafé, hat einen hohen Anteil an Fixkosten etwa für Miete. Diese fallen auch an, wenn kein Umsatz generiert wird. "Wenn ich beiden Betrieben 8.000 Euro gebe, profitiert der Würstelstand deutlich mehr als das Café, denn er spart sich einen Großteil seiner Kosten", sagt Pichler. Der Umsatzersatz müsste daher eigentlich für jedes einzelne Unternehmen anders sein, um treffsicher zu sein.

Er sieht auch kritisch, wie innerhalb des Handels differenziert wird. Zur Erinnerung: Finanzminister Blümel will Bereiche mit stark verderblicher und stark saisonaler Ware mit einem höheren Anteil unterstützen als jene Branchen, wo die Waren keiner oder kaum einer Wertminderung unterliegen und/oder Nachholeffekte zu erwarten seien. Diese Nachholeffekte würden laut Pichler jedoch auf einer ungewissen Einschätzung basieren. Man weiß nicht, was die Menschen nach dem Lockdown kaufen werden. "Dazu gibt es keine statistischen Daten. Deswegen halte ich es für sehr gewagt, einer Branche auf Basis dieses Kriteriums weniger Zuschüsse zu geben", sagt er.

Pichler bevorzugt die deutsche Variante der "Novemberhilfe". Unternehmen bekommen in Deutschland Zuschüsse in Höhe von 75 Prozent des durchschnittlichen wöchentlichen Umsatzes vom November 2019. Allerdings werden - im Gegensatz zum österreichischen Modell - andere Hilfen wie etwa Kurzarbeit und der Fixkostenzuschuss (in De: Überbrückungshilfen) abgezogen. Zudem werden auch Vorjahresumsätze aus der Lieferung von Essen und dem Gassenverkauf nicht bezuschusst. "Die Ausgestaltung dauert zwar länger, ist aber deutlich treffsicherer", sagt Pichler.

Rasch und unbürokratisch sollen diesmal die Gelder zu den Unternehmen fließen, betonte die Regierung. Was im ersten Lockdown nicht geklappt hat, funktioniert diesmal offenbar besser. Das Instrument Umsatzersatz wurde schnell implementiert, die Beantragung mittels FinanzOnline ist einfach.

EU-Rahmen bietet noch andere Möglichkeiten

Zweifel gibt es aber, ob der Umsatzersatz unter dem geeignetsten EU-Rahmen läuft. Dazu muss man wissen: Jeder EU-Mitgliedsstaat muss Wirtschaftshilfen an Unternehmen von der EU absegnen lassen. Denn laut EU-Recht sind Beihilfen grundsätzlich verboten. Sie gelten als Verstoß gegen die Binnenmarktregeln. Es gibt jedoch Ausnahmen. Naturkatastrophen zählen als solche, ebenso die Corona-Pandemie.

"Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse" entstanden sind, sind aber vereinbar, wie es in Art. 107, 2 (b) im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt. Diese Ausnahme erlaubt vergleichsweise hohe Zuschüsse an Unternehmen. Voraussetzung ist aber, dass der Schaden direkt durch die Covid-Krise verursacht wurde. Österreich nutzte diesen Rahmen für die erste Phase des Fixkostenzuschusses. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, wie etwa wirtschaftliche Störungen. Der Umsatzersatz geht deshalb bis maximal 800.000 Euro, weil dieser Rahmen von der EU bereits im Frühjahr notifiziert wurde.

Erneuter Lockdown problematisch für Betriebe

Peter Brandner, Ökonom vom wirtschaftsliberalen Thinktank "Weis[s]e Wirtschaft" hält deshalb den Rahmen bis 800.000 Euro für das falsche Instrument. "Potenziell wäre der sogenannte Katastrophenparagraph geeigneter gewesen, da die Hilfen über den Betrag hinausgehen können", sagt Brandner. Hilfen von bis zu fünf oder zehn Millionen Euro pro Unternehmen wären damit möglich. Dieser Topf hat noch einen weiteren Vorteil: "Bei dieser Richtlinie ist eine systematische Überkompensation von Unternehmen ausgeschlossen", sagt Brander.

Warum hat Österreich diesen Weg gewählt? Im Finanzministerium argumentiert man, dass der Umsatzersatz mit den 800.000 Euro sofort umsetzbar gewesen sei. Es habe Gespräche mit der EU-Kommission gegeben, es habe aber schnell gehen sollen. "Wir haben das Pauschalste genommen", sagt ein Sprecher.

Allerdings besteht noch eine Problematik. Kommt es im Frühjahr zu einem erneuten Lockdown, könnte dies für große Unternehmen zu einem ernsthaften Problem führen. Denn der EU-Rahmen mit Hilfen bis 800.000 Euro ist dann ausgeschöpft. Der Rahmen gilt zwar von März 2020 bis April 2021, doch pro Unternehmen sind die Hilfen in diesem Zeitraum auf 800.000 Euro beschränkt. Für manche könnte diese Summe nicht mehr reichen.