Zum Hauptinhalt springen

Skitourismus auf Talfahrt

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Seilbahnbetreiber werben mit Sicherheit und Hygiene um Skifahrer. Die Skisaison ist dennoch kaum zu retten. Europaweit wird über Schließungen nachgedacht.


Ein zweites Ischgl kann sich Österreich nicht mehr leisten. Gar kein Ischgl aber noch weniger. Aufgrund der anhaltend hohen Infektionszahlen ist in der EU eine Diskussion über die Schließung von Skigebieten entbrannt. Zur Erinnerung: Italiens Premier Giuseppe Conte hatte unlängst eine EU-weite Schließung der Skigebiete gefordert. Frankreich und Deutschland unterstützen den Vorschlag mit Verweis auf das Infektionsrisiko rund um die Pisten und können sich Schließungen bis Mitte Jänner vorstellen.

Die Skination Österreich kann dem naturgemäß wenig abgewinnen. Bis in die höchsten politischen Ebenen versucht man hierzulande, die Wintersaison um jeden Preis zu retten. Denn es geht um sehr viel Geld. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) wirbt in einem "Spiegel"-Interview um die Sicherheit auf heimischen Pisten und verweist auf das Sicherheitskonzept der Seilbahnbetreiber. Aber nicht nur Österreich will seine Skigebiete möglichst früh und lang offenlassen. Laut "Salzburger Nachrichten" sind auch Tschechien und Slowenien gegen eine Schließung der Skigebiete, ebenso die Schweiz und Finnland.

Ausfälle von bis zu 50 Prozent erwartet

Der heimische Wintertourismus kommt auf eine Bruttowertschöpfung von rund 11,2 Milliarden Euro. Dazu zählen Nächtigungen, Skipässe, Bar- und Restaurantbesuche, Transport. "Wir rechnen mit einem Bruttoumsatzausfall von 4 Milliarden Euro, wenn die Skigebiete von 1. November bis 15. Jänner geschlossen bleiben", sagt Erik Wolf, Geschäftsführer des Fachverbands der Seilbahnen in der Wirtschaftskammer (WKÖ), zur "Wiener Zeitung". Köstinger rechnet für diese Wintersaison mit einem Umsatzrückgang von 50 Prozent.

Zum einen wird ein Großteil der ausländischen Touristen, allen voran aus Deutschland, heuer wohl zu Hause bleiben. Einerseits wegen der noch immer bestehenden Reisewarnungen für Österreich samt anschließender, verpflichtender Quarantäne. Zum anderen wird Österreich das Image des Après-Ski Corona-Hotspots nicht los. Im Vorjahr hatten sich unzählige Touristen im Tiroler Skiort Ischgl mit Corona infiziert und das Virus in ihre Heimatländer getragen.

"Après-Ski wird es nicht spielen"

Nun sind Politiker und Seilbahnbetreiber um Schadensbegrenzung bemüht, um von der Saison zu retten, was möglich ist. Die Branche hat ein Sicherheitskonzept für die Liftnutzung vorgelegt. Dieser sieht zum Beispiel eine Maskenpflicht am Skilift vor, höhre Transportgeschwindigkeiten, damit die Verweildauer in der Gondel kürzer ist, regelmäßige Desinfektionen, Lüften und Mindestabstand von 1,5 Metern beim Anstellen vor. Seilbahnbetreiber und Hoteliers sehen sich jedenfalls gut gegen Corona gerüstet und verweisen auf Hygiene- und Sicherheitskonzepte.

"Im Unterschied zum öffentlichen Verkehr sind 85 Prozent der Fahrbetriebsmittel bei Seilbahnen offen", sagt Wolf. Der Knackpunkt sind aber die geschlossenen Gondeln, die die Ski- und Snowboardfahrer vom Tal auf den Berg befördern. Hier seien Sicherheitsmaßnahmen notwendig, meint auch Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der Medizinischen Universität Wien. Er war auch in Beratungen rund um die Erstellung der Covid-19-Sicherheitskonzepte in Skigebieten involviert. Grundsätzliche spreche aus epidemiologischer Sicht nichts gegen das Skifahren an sich.

"Es ist aus medizinischer Sicht dringend zu empfehlen, dass sich die Menschen draußen bewegen. Die Piste ist, was die Ansteckung angeht, unproblematisch", sagt er. Kritisch sei der Anstellbereich, da brauche es Personal, das auf Abstände achtet, lüftet und regelmäßig die Lifte desinfiziert.

Ebenfalls kritisch sei die Gastronomie beziehungsweise die Verpflegung der Skifahrer. "Après-Ski wird es einfach nicht spielen. Schreien, johlen und Gedränge sind absolute Virenschleudern", meint Hutter.

"Ischgl ist nicht vergessen"

Dass die Touristen heuer in Massen die Pisten stürmen, ist aber ohnehin zu bezweifeln. "Ischgl ist nicht vergessen", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Freitag. Deutschland schließt seine Grenze zu Österreich für Skiurlauber bis Jahresende. Bis dahin müssen auch Reisende, die für weniger als 48 Stunden zu Zwecken des Skifahrens oder anderer Freizeitaktivitäten aus Deutschland nach Österreich fahren, nach ihrer Rückkehr in eine zehntägige Quarantäne "ohne Entschädigung", betonte Söder. Das schmerzt besonders, denn Deutsche sind mit Abstand die größte Gruppe ausländischer Touristen. 36 Prozent der 73 Millionen Nächtigungen in der Wintersaison 2018/19, also vor Corona, entfielen auf deutsche Urlauber. Auf heimische Wintertouristen entfielen lediglich 22,7 Prozent der Nächtigungen.

Heimaturlauber werden den Ausfall ausländischer Touristen also nicht kompensieren. Einerseits werden jene, die bisher nicht Ski gefahren sind, das in diesem Jahr wohl auch nicht machen. Andererseits werden auch in Österreich heuer einige zu Hause bleiben, aus Angst vor Infektionen oder weil die finanzielle Situation derzeit für viele angespannt ist.

Angesichts dessen überlegen einige Skiliftbetreiber, ob sie überhaupt aufsperren. Die Ötscherlift GmbH und die Schröcksnadel-Gruppe etwa entscheiden in der kommenden Woche, ob sie den Betrieb angesichts der nationalen und internationalen Lage überhaupt aufnehmen wollen.

Italiens Außenminister hält Debatte für "surreal"

Der italienische Außenminister Luigi Di Maio, Spitzenpolitiker der stärksten Regierungspartei Fünf Sterne, bezeichnet die Diskussion über ein Skiurlaub-Verbot während der Weihnachtszeit als "surreal". "Nicht Ski fahren zu dürfen, ist kein Opfer. Diese Diskussion um den Winterurlaub ist surreal", so Di Maio im Interview mit dem TV-Kanal "Rete 4".

"Wir müssen die letzten Opfer bringen, um die Epidemie zu besiegen. Wir schließen die Skianlagen, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Wir schließen jedoch nicht die Grenzen. Wer nach Österreich oder in die Schweiz zum Skiurlaub fährt, muss sich einer Quarantäne unterziehen. So schützen wir diejenigen, die zu Hause geblieben sind", so Di Maio.

Laut Verkehrs- und Infrastrukturministerin Paola Di Micheli sind die Bedingungen für einen Winterurlaub über die Weihnachtsfeiertage nicht vorhanden. "Um den Wintertourismus kreisen Aktivitäten, die zu einem Anstieg der Ansteckungen führen könnten", argumentierte die Ministerin.

"Es ist mir klar, dass sich die Betreiber der Skianlagen strikt an die Anti-Covid-Maßnahmen halten, doch während der Urlaubszeit kommt es zu mehr sozialen Kontakten, was zu einem Anstieg der Infektionen führen kann, wie bereits die hohe Zahl der Ansteckungen während der Sommerzeit bewiesen hat", erklärte De Micheli.

Diese Ansicht teilt auch der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. "Tausende Arbeitsplätze hängen vom Wintertourismus ab. Daher müssen wir uns weiter anstrengen, um die Infektionen zu drücken und den Neustart zu ermöglichen. Der Neubeginn des Tourismus hängt von der Entwicklung der Epidemie in Italien und in Europa ab", sagte Kompatscher.

Auch Belgien für Schließungen

Belgien hat sich unter jene Länder eingereiht, die angesichts der Corona-Pandemie eine europaweite, vorweihnachtliche Schließung der Skigebiete befürworten. "Ich denke, wir alle erinnern uns noch sehr gut daran, dass Skiferien die Ausbreitung des Virus in Europa verursacht haben. Man muss kein Virologe sein, um zu wissen, dass diese Urlaube ein sehr großes Risiko darstellen", sagte Premier Alexander De Croo am Freitag laut Medienberichten. Damit unterstützt Belgien einen entsprechenden Vorstoß von Deutschland, Frankreich und Italien.