Zum Hauptinhalt springen

Lenzing: "Wir haben die Reißleine gezogen"

Von Rosa Eder-Kornfeld, Monika Jonasch und Bernd Vasari

Wirtschaft

Die FFP2-Masken von Hygiene Austria stehen auf dem Prüfstand. Der Mehrheitseigentümer Lenzing übernimmt die Kontrolle und will die Causa rasch aufklären. Die Supermärkte reagieren mit Auslistung.


Der Bundeskanzler höchstselbst war da. Auch Wirtschafts- und Arbeitsministerin sowie die niederösterreichische Landeshauptfrau machten sich im Frühjahr 2020 medienwirksam persönlich ein Bild von der Maskenproduktion bei der neu gegründeten Hygiene Austria in Wiener Neudorf. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig es sei, dass in Österreich und Europa Schutzausrüstung produziert werde, hieß es.

Seit wenigen Tagen schlägt dem vormals hochgelobten Joint-Venture von Lenzing und Palmers eine Welle des Misstrauens entgegen. Das Unternehmen hat am Mittwochabend zugegeben, es habe FFP2-Masken auch in China fertigen lassen, "um einen zwischenzeitlichen Nachfrageanstieg zu bewältigen". Den Abnehmern wurde das aber verschwiegen. Die Vorwürfe des schweren gewerbsmäßigen Betrugs und der organisierten Schwarzarbeit, denen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nachgeht, wies Hygiene Austria vehement zurück.

Externes Untersuchungsteam, Aktie rutscht ab

Hofer, Rewe, Spar und dm Drogeriemarkt nahmen die FFP2-Masken von Hygiene Austria vorerst aus dem Sortiment. Sie wollen den Nachweis, dass die Masken in Österreich produziert wurden. Und Mehrheitseigentümer Lenzing zieht die Zügel straffer. Wie schon länger geplant, übernimmt der börsennotierte oberösterreichische Faserhersteller die Managementkontrolle bei der Hygiene Austria LP GmbH und setzt mit Stephan Sielaff einen zusätzlichen Geschäftsführer ein. Außerdem werde ein externes forensisches Untersuchungsteam bestellt.

Um diesen externen Inhalt zu verwenden, musst du Tracking Cookies erlauben.

"Wir ziehen die Reißleine", sagt Lenzing-Sprecher Johannes Vetter. "Mit Sielaff und dem Untersuchungsteam wollen wir schnell aufklären. Die Fakten müssen auf den Tisch." Daran habe der Konzern größtes Interesse. Bis Mitte nächster Woche soll es ein Ergebnis geben. "Wir wollen so schnell wie möglich wieder kommunizieren können", sagt Vetter.

Die Kennziffer 2233 auf den FFP2-Masken von Hygiene Austria weist darauf hin, dass sie von dem ungarischen Unternehmen Gépteszt mit Sitz in Budapest geprüft wurden. Österreich hat erst seit November 2020 mit dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen eine notifizierende Stelle, sagt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Es habe im August eine Vorprüfung gegeben, die aber negativ ausgefallen sei. "Das hat aber eigentlich nichts bedeutet, weil wir damals offiziell ja nicht prüfen konnten", so der Sprecher. Nachher habe es keine Überprüfung des Bundesamts mehr gegeben. In welchem europäischen Land Hersteller ihre mit CE-Kennzeichnung versehenen Produkte prüfen lassen, sei ihnen überlassen.

Am Mittwochabend sprach Hygiene Austria hingegen davon, der chinesischer Lohnfabrikant sei mit der Produktion von Masken "nach dem Baumuster der Hygiene Austria" beauftragt worden. Und: "Die CE Zertifizierung nach EN149:2001 wurde durch das Schweizer Unternehmen SGS einwandfrei sichergestellt." Die Gutachten für die Masken würden vorliegen und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt.

Bisher wurden die Geschäfte bei der Hygiene Austria LP GmbH von Tino Wieser und Stephan Trubrich geführt, wobei Tino Wieser (wie auch sein Bruder Luca Wieser) dem Vorstand des Hygiene-Austria-Minderheitseigentümers Palmers Textil AG angehört und Trubrich bei Lenzing mit dem Bereich Kapitalmarktaktivitäten befasst ist. An der Anteilsaufteilung 50,1 Prozent Lenzing und 49,9 Prozent Palmers soll sich nichts ändern. Palmers wollte auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" keine Stellungnahme abgeben.

Die Börse reagierte verschnupft auf die Vorgänge rund um die Hygiene Austria. Die Lenzing-Aktie rutschte bis Donnerstagnachmittag um 2,4 Prozent ab, nachdem sie am Tag zuvor schon mehr als fünf Prozent verloren hatte.

Bundesbeschaffung legte Vertrag auf Eis

Die Hygiene-Austria-Masken wurden unter anderem von der Bundesbeschaffungsagentur BBG geordert. Diese hat bereits auf die Hausdurchsuchungen reagiert und das Unternehmen als Auftragnehmer "inaktiv" gestellt. Bis auf Weiteres werden daher keine Bestellungen bzw. Abrufe von Schutzmasken bei der Hygiene Austria über die BBG möglich sein.

Für wen die BBG in welcher Stückzahl Masken bestellte, ist derzeit noch unklar. Laut EU-weiter Ausschreibung war der Auftrag jedenfalls 420 Millionen Euro schwer. Ein Abnehmer war das österreichische Parlament. Auch die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) gaben bekannt, von der Hygiene Austria 576.000 FFP2-Masken mit CE-Zertifikat über die BBG aus einem Rahmenvertrag abgerufen zu haben.

Klagen wegen irreführender Werbung

"Grundsätzlich ist eine falsche Herkunftsbezeichnung irreführende Werbung. Das ist relevant nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb", meinte Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereins. Klagen dagegen sind möglich, Sammelklagen unwahrscheinlich. Gegen irreführende Werbung können Mitbewerber rechtlich vorgehen, ebenso die Wirtschaftskammer, die Arbeiterkammer sowie der Verein für Konsumenteninformation mit einer Verbandsklage. Verbraucher selbst können wohl nicht direkt gegen Hygiene Austriavorgehen, kauften die meisten doch ihre Masken nicht direkt bei dem Unternehmen, sondern über Zwischenhändler wie Apotheken.