Zum Hauptinhalt springen

Mehr als nur ein Umetikettieren

Von Petra Tempfer

Recht
Hygiene-Austria-Masken erkennt man am roten Nasenbügel.
© Hygiene Austria

Entsprechen die Hygiene-Austria-Masken nicht den Produktvorschriften, wäre ein Rückruf gerechtfertigt.


In den Regalen sollten FFP2-Masken der Hygiene Austria bald nicht mehr zu finden sein: Nachdem in der Vorwoche bekanntgeworden war, dass das Unternehmen einen Teil seiner Masken in China hat fertigen lassen, nehmen Einzelhändler reihenweise die Produkte aus dem Sortiment. Hofer, Rewe, Spar und dm kündigten an, vorerst keine FFP2-Masken von Hygiene Austria mehr zu verkaufen. Die Masken gingen hauptsächlich in den Lebensmittelhandel.

Das Joint Venture von Lenzing und Palmers hat mittlerweile eingeräumt, dass ein Teil der als "Made in Austria" vermarkteten Masken in China zugekauft wurde. Klagen drohen. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) erwägt, gerichtlich feststellen zu lassen, ob die Herkunftsangaben zulässig waren. Niederösterreich möchte ebenfalls klagen, es hat Millionen Masken der Firma angekauft. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt auch wegen Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug und organisierte Schwarzarbeit und hat Hausdurchsuchungen durchgeführt. Hygiene Austria war 2020 mit dem Ziel gegründet worden, die Versorgungssicherheit mit Schutzmasken zu gewährleisten.

Ministerium wartet ab

Wenn etwas aus den Regalen verschwindet, ist es allerdings noch lange nicht zurückgerufen - und das sind auch die Hygiene-Austria-Masken noch nicht. Ein Rückruf ist die Aufforderung an Endverbraucher, ein bereits geliefertes Produkt und somit auch etwaige Restbestände zur Reparatur, zum Austausch oder zur Vernichtung bei Rückerstattung des Einkaufspreises zurückzugeben. Das ist laut VKI Sache der Unternehmen selbst oder der Händler. Konkret müssten etwa Händler, die den Verdacht haben, dass die FFP2-Masken von den Vorschriften abweichen, die Marktaufsichtsbehörde informieren, die über einen Rückruf entscheidet. Rewe und Spar hätten einen Verkaufsstopp und eine Kassasperre für die Masken der Hygiene Austria eingerichtet, heißt es auf Nachfrage, und auch ein Umtausch sei möglich - einen Rückruf gab es noch nicht.

Beschwerden von Konsumenten können ebenfalls Auslöser von Rückrufaktionen sein. Auch die Behörden selbst können diese anordnen - mitunter auf Empfehlung des Wirtschaftsministeriums. Dieses möchte aber vorerst abwarten, was die Ermittlungen ergeben, heißt es zur "Wiener Zeitung". Zuletzt hatte FPÖ-Chef Norbert Hofer einen Rückruf gefordert: Die Masken aus China seien etwas kleiner, sagte er.

Ein Rückruf ist laut dem Wiener Rechtsanwalt Gregor Winkelmayr, der u. a. auf Schadenersatz- und Gewährleistungsrecht spezialisiert ist, dann gerechtfertigt, wenn die Masken tatsächlich nicht den Produktvorschriften entsprechen. Die allererste Frage wäre allerdings eine andere, meint dazu Michael Straub, auf Medizinrecht spezialisierter Anwalt bei Northcote.Recht in Wien. Und zwar, "wie die FFP2-Masken einzuordnen sind". Werden sie nämlich zur Schutzausrüstung gezählt, was laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit der Fall ist, sind die Produktvorschriften der EU-Verordnung über persönliche Schutzausrüstungen (PSA) anwendbar. Unter "Atemschutz" ist hier zu lesen: "Der Dichtigkeitsgrad der Gesichtsmaske [. . .]sowie das Reinigungsvermögen bei Filtergeräten müssen dafür sorgen, dass aus einer verschmutzten Atmosphäre nur so wenig kontaminierende Stoffe eindringen, dass die Gesundheit bzw. Hygiene des Nutzers nicht beeinträchtigt wird."

Masken waren vor Virus da

Diese Verordnung stammt aber aus einer Zeit, in der die Corona-Krise noch ein Fremdwort war -und in der FFP2-Masken zum Beispiel Lackierer vor giftigen Partikeln, aber nicht vor dem Coronavirus schützen sollten. Laut Straub könnte man die Masken daher aktuell sehr wohl auch zu den Medizinprodukten zählen, wodurch das Medizinproduktegesetz (MPG) zur Anwendung käme. Medizinprodukte werden zur Verhütung von Krankheiten hergestellt. Diese "müssen so ausgelegt und hergestellt sein, daß (sic!) ihre Anwendung weder den klinischen Zustand oder die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit der Anwender oder Dritter gefährdet", ist in § 8 MPG zu lesen. Hier ist also auch von Dritten die Rede - bei der PSA-Verordnung nicht. "An der Frage, wo die Masken einzuordnen sind, entscheidet sich vieles", sagt Straub. Theoretisch könnten sie auch zu beiden Kategorien gezählt werden. Das müsse man im Einzelfall klären.

Sowohl Schutzausrüstungen als auch Medizinprodukte benötigen eine Zertifizierung. Bei der Prüfung der Hygiene-Austria-Masken gab es jedoch Unklarheiten. Deren CE-Kennzeichen wurde von einem ungarischen Institut gemacht, ein Schweizer Institut übernahm die Qualitätskontrolle für die chinesischen Masken, so ein Unternehmenssprecher. Denn: Zur Zeit der Kennzeichen-Erstellung habe es kein österreichisches Institut gegeben, das dies hätte machen können.

Spinnt man den Gedanken weiter und starten Händler bei Masken, die den Produktvorschriften nicht entsprechen, keinen Rückruf, so könnten diese eventuell von Konsumenten respektive den Abnehmern gewährleistungsrechtlich in Anspruch genommen werden, sagt dazu Winkelmayr: Der Vertrag könnte auch wegen Irrtums angefochten werden. Denn die Masken waren womöglich nicht jene, als die sie verkauft wurden. Erkrankt ein Masken-Träger, wäre das Geltendmachen von Schadenersatzansprüchen zwar die logische Schlussfolgerung - im Fall der FFP2-Masken allerdings äußerst schwierig. "Zu beweisen, dass die Masken in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Erkrankung stehen, ist nahezu unmöglich", so Winkelmayr. Die Händler hingegen könnten diese - neben der Gewährleistung und Irrtumsanfechtung - sehr wohl geltend machen. Denn durch die Rücknahme von Masken und die potenzielle Fehlerhaftigkeit könnte sehr wohl ein Schaden entstanden sein.

Unlauterer Wettbewerb

Und auch gegenüber den anderen österreichischen Herstellern, den Konkurrenten wie Aventrium oder der Grabher-Group, könnte sich Hygiene Austria schadenersatzpflichtig und strafbar gemacht haben: Durch das Umetikettieren und Verkaufen der billigeren China-Ware unter österreichischem Namen könnten sie in den unlauteren Wettbewerb getreten sein, so Winkelmayr. In strafrechtlicher Hinsicht stehen der Vorwurf des Betrugs und der organisierten Schwarzarbeit im Raum. "Sonst würde die WKStA nicht ermitteln."

Qualitätsmäßig sei zwischen den chinesischen und österreichischen Masken kein Unterschied, sagt ein Hygiene-Austria-Sprecher dazu. "Wir können Ihnen versichern, dass alle von uns gelieferten Masken den strengen österreichischen Sicherheits- und Gesundheitsbestimmungen entsprechen", heißt es. "Wir werden zu allen relevanten Vorwürfen öffentlich Stellung nehmen und sind sehr zuversichtlich, dann alle Missverständnisse aufzuklären."