Anna K. war Flugbegleiterin. Jetzt wird sie Pflegerin. Die Corona-Pandemie hat ganze Branchen lahmgelegt und hat die Arbeitswelt in vielen Bereichen grundlegend erschüttert. Derzeit passieren zwei Dinge, die uns auch nach der Pandemie beschäftigen werden: Zum einen müssen bestimmte Sektoren, etwa die Reise- und Tourismusbranche, ganz neu gedacht werden. Zum anderen die Digitalisierung, die vierte industrielle Revolution. Die hat schon vor Corona begonnen, die Pandemie hat sie aber ungemein beschleunigt.

Die Art und Weise, wie wir arbeiten, hat sich durch das Homeoffice und Teleworking massiv verändert. Nach einem Jahr im Pandemie-Modus werden viele Unternehmen die Rückkehr in den Bürobetrieb wohl neu denken. Sieht man sich Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an, wurde bereits vor dem ersten Lockdown in manchen Ländern ein Teil der Arbeit von zu Hause erledigt. Über 55 Prozent der befragten Arbeitnehmer in Schweden und Dänemark gaben an, dass sie Homeoffice in Anspruch nahmen.

Seit dem ersten Lockdown im Vorjahr arbeiten hierzulande 1,5 Millionen Menschen gänzlich oder zeitweise zu Hause. Einer aktuellen OGM-Umfrage zufolge machen 90 Prozent der Befragten gute Erfahrungen damit und wollen das Teleworking auch in Zukunft teilweise beibehalten. Laut OECD bietet der Ausbau der Telearbeit durchaus Potenzial, die Produktivität, die Work-Life-Balance und sogar die Geschlechtergleichheit zu verbessern. Gleichzeitig warnen die OECD-Ökonomen davor, dass das isolierte Arbeiten von zu Hause innovationshemmend sein könnte. Und: Firmen haben so die Möglichkeit, Fachkräfte theoretisch weltweit zu rekrutieren. Das birgt aber die Gefahr des Lohndumpings und Lohndrucks, vor allem in reicheren Volkswirtschaften. Anders gesagt: Die indische Programmiererin wird den Job wegen des dort niedrigeren Lohnniveaus wohl um weniger Geld machen als der in Schweden lebende Programmierer.

Das Forschungsinstitut Eco Austria hat sich die Auswirkungen des Homeoffice auf den Gender Pay Gap angeschaut. Österreich hat eine hohe Quote an Teilzeitarbeit unter Frauen und ist EU-Spitzenreiter. Man sollte die Rolle des Homeoffice angesichts bestehender Stereotype und Geschlechterrollen nicht überschätzen. Allerdings orten die Autoren durchaus Potenzial, Heim- und Erwerbsarbeit gleicher zwischen beiden Geschlechtern aufzuteilen. Das passiere etwa dann, wenn die Frau in einem systemerhaltenden Job, etwa als Ärztin oder Kassiererin, weiterhin in die Arbeit geht, während der Ehemann im Homeoffice auch das Homeschooling der Kinder überwachen muss.

Einer von zehn Arbeitsplätzen

Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria, beschreibt zwei Gruppen, deren Arbeitsweisen sich langfristig durch mehr Homeoffice verändern könnten: "Zum einen die hochqualifizierten Arbeitskräfte, wie Wissenschafter, zum andern die mittlere Qualifizierungsebene", sagt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Zur zweiten Gruppe zählen zum Beispiel Buchhalter oder Callcenter-Mitarbeiter. Es könne sein, dass in diesen Bereichen zukünftig mehr von zu Hause aus gearbeitet werde und sich Arbeitgeber Kosten für Büroräume, Internet und Energie sparen.

Nicht nur die Art, wie wir arbeiten und der Arbeitsplatz verändern sich, sondern auch die Arbeitsfelder. Der US-Unternehmensberater McKinsey rechnet in einer aktuellen Studie damit, dass sich jeder zehnte US-amerikanische Arbeitnehmer bis zum Jahr 2030 beruflich umorientieren muss. Die Pandemie hat schon bestehende Trends verstärkt und den Wegfall von Jobs in bestimmten Bereichen beschleunigt. Von dieser Eruption sind laut den Studienautoren vor allem Frauen, Minderheiten und weniger qualifizierte Arbeitnehmer betroffen.

So soll in den kommenden zehn Jahren die Nachfrage nach Arbeitskräften, die im Bereich Büroassistenz sowie Fertigung und Produktion tätig sind, um 17 beziehungsweise 6 Prozent zurückgehen. Gleichzeitig orten die Studienautoren einen steigenden Arbeitskräftebedarf in der Pflege (plus 36 Prozent), im Medizinwesen (plus 32 Prozent) sowie in technischen und IT-Berufen (plus 25 Prozent) bis 2030. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch eine viel diskutierte Studie aus dem Jahr 2013. Die Wissenschafter Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von der Oxford Universität widmen sich in ihrem Forschungspapier "Die Zukunft der Arbeit" den Folgen der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt. Ihre Erkenntnis: Von den 700 analysierten Berufen in den USA sind fast die Hälfte vom Aussterben bedroht.

Fast eine halbe Million ohne Job

Die Frage, wie viele Jobs nun tatsächlich wegfallen und wie viele neue, noch nicht bekannte entstehen, spaltet die Wissenschaft. "Ich bin hier optimistisch, es werden sicherlich neue Jobs entstehen, von denen wir heute noch nichts wissen", sagt Köppl-Turyna. Seit Corona ist jedoch gewiss, dass sich viele Arbeitnehmer umorientieren müssen. Allein in Österreich ist derzeit fast eine halbe Million Menschen ohne Job, weitere 478.000 sind in Kurzarbeit.

Besonders hart wurden jene getroffen, die im Tourismus und in der Gastronomie arbeiten. Dass sich diese Bereiche nach dem Lockdown gänzlich erholen, ist unwahrscheinlich. Experten erwarten langfristige Folgen vor allem im Bereich Reisen, sowohl bei privaten als auch bei Geschäftsreisen. Wohin also mit all jenen Menschen, die im Zuge der Krise ihren Job verloren haben und nicht hoch qualifiziert sind?

Umqualifizierung nötig

Dass alle Arbeitssuchenden mit teils geringer Qualifikation zu Programmierern umgeschult werden können, ist utopisch. Es findet aber verstärkt eine sogenannte horizontale Umschulung am Arbeitsmarkt statt. Also etwa vom stationären Handel in Richtung Onlinehandel. Oder von der Flugbegleiterin zur Personenpflegerin. "Die Pandemie hat die Digitalisierung und die Ökologisierung der Gesellschaft beschleunigt", sagt Gernot Mitter, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der Arbeiterkammer Wien.

Deshalb müsse die öffentliche Hand genügend Mittel für Ausbildung und Umqualifizierungen in die Hand nehmen. Als Beispiel nennt er etwa den Ausbau erneuerbarer Energieträger durch das neue Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG). Es brauche künftig mehr Elektriker, die Ölheizungen abbauen und Photovoltaik-Anlagen installieren und warten können. Die Bundesregierung stellt dem AMS aktuell 700 Millionen Euro für Schulungen und Umschulungen zur Verfügung. Zu wenig, meint die Arbeiterkammer. "Wir sind der Meinung, dass es zusätzliche 500 Millionen Euro für Qualifizierungsmaßnahmen bis 2024 braucht", meint Mitter.

Die Ökonomen von McKinsey sehen übrigens noch einen, noch wenig beachteten Trend: das Abwandern aus großen Städten in Richtung Land und kleineren Ortschaften. Es gibt in den USA erste Hinweise darauf, dass das Homeoffice zu einer Art De-Gentrification führt. Weil viele Fachkräfte von zu Hause aus arbeiten, sind die Finanzdistrikte der großen Metropolen leer.