Inmitten dichter Wälder und weiter Wiesen, fernab urbaner Zentren steht der futuristische Glaspalast von Kreisel Electric. Hier, in Rainbach mit knapp 3.000 Einwohnern, entwickelte das Unternehmen ein spezielles Laserverfahren und wurde damit zum Technologieführer im Bereich E-Mobilität. Sie weckten schnell das Interesse von VW, Audi, Porsche, BMW und Co, die seither den weiten Weg ins obere Mühlviertel auf sich nehmen.

Die drei Firmengründer Johann, Markus und Philipp Kreisel begannen in der elterlichen Garage mit dem Umbau des väterlichen Renault und führen nun ein Unternehmen, das die Abwärme der Maschinen zum Heizen der Büros verwendet und damit energieautark ist, das die Mitarbeiter mit großzügigen Arbeitsplätzen, Swimmingpool am Dach und feiner Küche verwöhnt und das auf Fachkräfte aus der Umgebung setzt. Kreisel Electric ist eine oberösterreichische Erfolgsgeschichte, die aber nicht einzigartig ist. Das Mühlviertler Unternehmen steht stellvertretend für viele weitere Unternehmen, die Oberösterreich zum Industriezentrum in Österreich machen.

Voestalpine in Linz, BMW Steyr, Lenzing, Engel in Schwertberg, KTM in Mattighofen, Rosenbauer in Leonding, der Flugzeughersteller FACC. Rund ein Viertel der österreichischen Industrieproduktion und der Exporte werden laut Industriellenvereinigung in Oberösterreich erwirtschaftet. In der Industrie arbeiten knapp 180.000 Menschen, so viele, wie in Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten oder Steiermark und Niederösterreich zusammen. Ein Industrie-Beschäftigter in Oberösterreich generiert eine Bruttowertschöpfung im Ausmaß von jährlich 88.000 Euro. Damit ist es das führende Export-, Industrie- und Technologiebundesland.

Der Trend zeigt weiterhin nach oben. "Wir haben Jahr für Jahr an Beschäftigung zugelegt, auch die Wertschöpfung ist stets gestiegen", sagt Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich. "Das Innviertel war im vergangenen Jahr die wachstumsstärkste Industrieregion Österreichs."

Weltmarktführer und Wachstumskaiser

Und auch im Österreichvergleich ist Oberösterreich spitze. Das Bundesland werde 2021 "Wachstumskaiser" sein, sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Grund dafür sei der weltweite Aufschwung, der die exportstarke Industrie begünstigt. Er erwartet einen regionalen Zuwachs des Bruttoinlandprodukts von 4,1 Prozent. Kärnten (3,9 Prozent), Steiermark (3,8) und Niederösterreich (3,5) folgen dahinter. Die Industrie war in Oberösterreich zuletzt für ein Drittel des BIP verantwortlich, in Wien nur für neun Prozent.

Doch nicht nur einheimische Unternehmen wie Kreisel Electric beleben den Wirtschaftsstandort. In Linz baute der Dax-Konzern Infineon gerade sein Forschungszentrum aus. Der Konzern ist Weltmarktführer im Bau von hochkomplexen 77 Gigahertz starken Mikrochips. Sie funktionieren auf Basis der Radartechnologie und helfen beim Einparken, erkennen Fußgänger, bremsen automatisch, messen den Abstand zu anderen Autos. Im neuen Gebäude sollen die Mitarbeiter an der nächsten Radarchip-Generation forschen. Sie wird hochauflösender, bringt mehr Funktionalität, wird komplexer.


"Pro Lehrling gibt es 3,5 offene Lehrstellen. Das ist ein Rekordwert."

Mario Derntl, Geschäftsführer der Lehrlingsinitiative "Zukunft Lehre Österreich"

Auch hier zeigt sich das Industriebundesland von seiner modernen Seite. Licht durchflutet die Räume, am Balkon mit Blick in den Wald wird Yoga für die Mitarbeiter angeboten, die aus 30 Nationen von Indien bis Nigeria, stammen. Diversität sei ein Erfolgsfaktor, sagt Geschäftsführer Manfred Ruhmer, "das bringt unterschiedliche Sichtweisen und damit bessere Lösungen."

Der Linzer Standort von Infineon zeigt genauso wie Kreisel Electric und viele anderen Unternehmen die Wandelbarkeit des Bundeslandes. Wirtschaft und Industrie wird hier schon seit Langem nicht mehr mit rauchenden Schloten, Muskelkraft und schweißtreibender Schwerarbeit verbunden.

Doch die Betriebe kämpfen auch mit einer Reihe von Problemen, die vor allem aus nicht vorhandenen Strukturen resultieren.

Frauen bleiben bei den Kindern

89 Prozent der Mitarbeiter bei Infineon sind Männer. "Wir tun uns wirklich schwer, Mitarbeiterinnen zu finden", sagt Ruhmer. Es fehle das Interesse an der Technik, in den Schulen werde zu wenig darauf Wert gelegt. Und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Oberösterreich schwierig. Laut Statistik Austria gibt es 1282 Kindertagesheime. Viele von ihnen schließen jedoch um die Mittagszeit. Ein Vollzeitjob geht sich damit nicht aus. Es sind - gut qualifizierte - Frauen, die dann hauptsächlich bei den Kindern bleiben, oftmals Teilzeit in niedrigqualifizierten Jobs arbeiten.

Doch gefordert ist nicht nur die kommunale Verwaltung. So sieht es jedenfalls Mario Derntl, ehemaliger Voest-Lehrling und Geschäftsführer der Lehrlingsinitiative "Zukunft Lehre Österreich". Die Kinderbetreuung sei eine große Herausforderung. Die Betriebe müssten ihren Mitarbeitern ein besseres Angebot machen: "Es führt kein Weg an Betriebskindergärten und flexiblen Arbeitszeiten vorbei", sagt er.

Berufsorientierung an den Schulen

Die Industrie-Unternehmen boomen, ein Bremsklotz sind jedoch die vielen offenen Stellen. "Die Industrie sucht in einer hohen Anzahl an Lehrlingen, wie noch nie", sagt Derntl. "Pro Lehrling gibt es 3,5 offene Lehrstellen. Das ist ein Rekordwert." Auf der einen Seite fehlen junge Menschen, die eine Lehre machen wollen. Und es fehlt das Wissen über die Vielfalt der Jobmöglichkeiten mit Lehre. "Wir haben 200 Lehrberufe, viele 14-Jährige können aber gerade einmal 15 Lehrberufe aufzählen."

Derntl fordert daher eine stärkere Berufsorientierung an den Schulen. Derzeit ist dieser Bereich über viele Fächer verteilt. Das Ergebnis: "Am Ende des Tages passiert gar nichts, weil sich keiner zuständig fühlt", sagt Derntl. "Da lassen wir unsere Jungen im Regen stehen." In Salzburg funktioniere die Berufsorientierung an Schulen viel besser.

Weiters könnten Lehrstellen länderübergreifend vermittelt werden. In Wien gibt es viel mehr Lehrlinge als Lehrstellen. Derntl trocken: "Das funktioniert leider nicht." Die Lehrlingsinitiative wird von knapp 150 Unternehmen getragen, unter anderem KTM, FACC, Energie AG, Raiffeisen, Siemens und Intersport.

Auch bei den Hochqualifizierten gibt es einen Mangel. Im vergangenen Herbst kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz völlig überraschend den Bau einer Technischen Uni in Linz an. Sie soll den Mangel beheben. Bereits im Studienjahr 2023/24 sollen die ersten Studierenden beginnen, so der Plan. Angeboten werden aber nur Bachelor-Studien. In der Universitätenkonferenz, dem Sprachrohr der 22 öffentlichen Unis, zeigt man sich skeptisch. Universitäten seien nicht dafür da, Absolventen für kurzfristige Bedürfnisse der Wirtschaft zu produzieren, sagt Uni-Chefin Sabine Seidler. "Wir wollen Absolventen, die möglichst breit gebildet und flexibel sind."

Bei der geplanten TU wolle man einerseits digitale Generalisten für die oberösterreichische Industrie ausbilden, andererseits habe man den Anspruch, als Uni forschungsgeleitete Lehre anzubieten. Dieses Spannungsfeld sei auflösbar, aber nicht mit einem Bachelor, sagte Seidler. Stattdessen solle man Masterstudien für jene anbieten, die sich Digitalisierung in Zusammenhang mit ihrem Beruf erarbeiten wollen.

Wie auch immer das Problem des Arbeitskräftemangels behoben wird, eines steht fest: Werden keine Lösungen für die vielen offenen Stellen gefunden, könnte Oberösterreichs Industrie-Schnellzug sehr schnell von anderen Regionen ausgebremst werden.