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Degressiv in die Offensive

Von Lukas Lorber

Wirtschaft

Degressives Arbeitslosengeld: Was in vielen EU-Ländern Usus ist, steht jetzt in Österreich zur Diskussion.


Der Arbeitsmarkt beruhigt sich weiter. Den aktuellen Zahlen des AMS zufolge waren im August 286.277 Menschen arbeitslos. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Minus von 23 Prozent. Auf der anderen Seite beklagen viele Branchen den Fachkräftemangel, rund 114.000 offene Stellen gab es im letzten Monat. Ein Ungleichgewicht, das Arbeitsminister Martin Kocher nützte, um eine Reform der Arbeitslosenversicherung anzukündigen, die demnächst verhandelt werden soll.

Sehr wahrscheinlich scheint eine Umwandlung in ein degressives Arbeitslosengeldmodell. Bei einem solchen Modell bekommt man anfangs mehr Unterstützung, die im Laufe der Zeit immer weiter abnimmt. Dieses Modell findet in Österreich prominente Unterstützer, wie den zuvor schon genannten Arbeitsminister. "Ein degressives System könnte dazu beitragen, dass Menschen schneller Beschäftigung finden", sagte Kocher kürzlich in der "ZiB2". Ebenfalls hat sich AMS-Chef Johannes Kopf gegenüber den "Oberösterreichischen Nachrichten" für ein degressives Arbeitslosengeld eingesetzt. Er schlug eine Abstufung nach drei Monaten vor, da es "internationale Evidenzen gibt", die zeigen, "dass die Arbeitsuchenden sich bis zu der Frist Zeit geben, einen möglichst optimalen Job zu finden". Nach der ersten Kürzung steige die Kompromissbereitschaft eine weniger optimale Stelle anzunehmen, so Kopf.

"Keine Kürzungen"

Aufseiten der Gewerkschaft zeigt man sich gesprächsbereit. "Wir begrüßen die Ankündigung von Arbeitsminister Kocher, gemeinsam mit allen Beteiligten ein Gesamtpaket für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zu erarbeiten", teilte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian in einer Aussendung mit. Man stehe gerne bereit, sich in dieser Reformdiskussion zu beteiligen. Gleichzeitig stellt der ÖGB klar: Es darf zu keinen Kürzungen des Arbeitslosengeldes kommen.

Viele europäische Länder setzen auf ein degressives Modell. Zur Erklärung: In Österreich beträgt das Arbeitslosengeld 55 Prozent der monatlichen Beitragsgrundlage. Bezogen wird das Arbeitslosengeld grundsätzlich für 20 Wochen, in Ausnahmefällen kann sich die Dauer verlängern. Wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausläuft, springt die Notstandshilfe ein. Diese ist niedriger als das Arbeitslosengeld. Grundsätzlich kann man die Notstandshilfe unbegrenzt beziehen, nach 52 Wochen muss nur ein neuer Antrag gestellt werden. Im Vergleich mit anderen Ländern zeigt sich, dass das Arbeitslosengeld in Österreich zu Beginn der Auszahlung niedrig ist. Je länger Arbeitslosengeld ausgezahlt wird, desto höher steigt es im Vergleichsranking mit den europäischen Staaten aber.

Internationaler Vergleich

Im österreichischen Nachbarland Tschechien ist das anfängliche Arbeitslosengeld etwas höher. Man beginnt in den ersten zwei Monaten mit 65 Prozent des durchschnittlichen Netto-Monatseinkommens. In den darauffolgenden zwei Monaten wird auf 50 Prozent reduziert, die restliche Anspruchszeit bezieht man 45 Prozent des Einkommens. Die Bezugszeit ist abhängig vom Alter des Versicherten. Personen, die unter 50 Jahre alt sind, haben nur fünf Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld, hingegen können Menschen über 55 Jahren elf Monate lang Arbeitslosengeld beziehen.

Im hohen Norden funktioniert das System ein wenig anders. Zum Beispiel wird in Schweden zwischen der Grund- und der einkommensabhängigen Versicherung unterschieden. Die Grundversicherung beträgt rund 35 Euro pro Tag und kann bezogen werden, wenn man nicht in eine Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Diese ist in Schweden freiwillig. Wenn man Mitglied eine dieser Versicherungen ist und man mindestens zwölf aufeinanderfolgende Monate in eine Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, ist man berechtigt, einkommensabhängiges Arbeitslosengeld zu beziehen.

Vom ersten bis zum 200. Tag erhält man 80 Prozent des vorherigen Einkommens. Danach können weiterhin 70 Prozent des Gehalts bis zum insgesamt 300. Tag bezogen werden. In Ausnahmefällen kann die Dauer des Bezugs auf 450 Tagen ausgeweitet werden. Maximal darf die Arbeitslosenhilfe in den ersten 100 Tagen nicht mehr als 910 schwedische Kronen (89,61 Euro) pro Tag betragen, danach beträgt die Grenze 760 Kronen (74,84 Euro).

Degressiv ist somit nicht neu, aber auch nicht das Allheilmittel, meinen Experten. Eine Umstellung des Arbeitslosengeldmodells allein kann das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen. "Es braucht dafür noch immer eine aktive Arbeitsmarktpolitik", sagt Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer vom Institut der höheren Studien (IHS). Wenn Jobs frei sind, für die es spezielle Qualifikationen braucht, aber diese von den Bewerbern nicht vorgewiesen werden können, bleiben diese Stellen unbesetzt. In Österreich versuche man seit Jahren, die Mobilität zu steigern, was bisher aber nur mäßig gut gelingt.

Nur die Umstellung auf ein degressives Modell ohne weitere arbeitspolitische Maßnahmen berge aber auch Probleme, meint Hofer. So könnte ein höherer Anfangssatz dazu führen, dass Menschen saisonbedingt oder bei Auftragsflauten eher für ein paar Wochen gekündigt würden. "Kurzfristige Arbeitslose können von einem degressiven Arbeitslosenmodell profitieren. Wenn es darum geht, das Einkommen langfristig zu sichern, dann hilft dieses System nicht", sagt Hofer. Eine Möglichkeit, um dem Fachkräftemangel in manchen Bereichen gegenzusteuern, seien staatliche Förderungen in diesen Berufsfeldern. Das sei aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss, meint der Ökonom.