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Wie Zement klimaneutral werden soll

Von Michael Ortner

Wirtschaft
© stock.adobe.com / bannafarsai

Der Baustoff gilt als heimlicher Klimakiller. Wie die Branche kohlenstofffrei werden will, erklärt Lafarge-CEO Berthold Kren.


Ob Gebäude, Staudämme, Tunnel oder Windräder: So gut wie kein Bauwerk auf der Welt kommt ohne Beton aus. Der Baustoff ist günstig und vielfältig einsetzbar. Doch bei der Zementproduktion, dem Grundstoff für Beton, fällt extrem viel CO2 an. Die Branche arbeitet fieberhaft an Lösungen, Kohlenstoff einzusparen. Berthold Kren ist CEO der Lafarge Zement Central Europe, die zum größten Baustoff-Hersteller der Welt, dem Schweizer Holcim-Konzern, gehört und in Österreich zwei Zementwerke (Mannersdorf und Retznei) betreibt. Im Gespräch erklärt er, wie man Zement klimafreundlich herstellen kann und warum Beton unverzichtbar ist.

"Wiener Zeitung": Die Zementproduktion stößt mehr CO2 aus als der globale Flugverkehr. Kann man Zement auch klimafreundlich herstellen?

Berthold Kren: Ja. Die Zement- und Stahlindustrie gehören zu jenen Industrien, die am schwierigsten von Kohlenstoff zu befreien sind. Es muss noch viel geforscht werden und es kommen noch viele Herausforderungen auf uns zu. In Österreich haben wir mit "Carbon2ProductAustria (C2PAT)" (ein Joint Venture gemeinsam mit OMV, Borealis und Verbund, Anm.) eines von fünf Leuchtturmprojekte innerhalb der Konzerngruppe. Bis 2025 wollen wir die Pilotanlage in Mannersdorf in Betrieb nehmen, die in der Lage ist, 10.000 Tonnen CO2 aus dem Abgasstrom unserer Zementproduktion zu entnehmen und daraus in weiterer Folge Polypropylen zu produzieren. Das ist ein Kunststoff, der am Ende seines Lebens als nicht recycelbarer Kunststoff dann wieder bei uns als Brennstoff im Prozess landet. Damit könnten wir einen Kohlenstoffkreislauf komplett schließen. Wir haben uns mit C2PAT beim EU Innovation Fund beworben (Die EU vergibt insgesamt eine Milliarde Euro, Anm.). Klimaschutzministerin Gewessler hat einen Brief für uns nach Brüssel geschickt, um dieses Projekt zu unterstützen. Wir werden auch vermehrt Photovoltaik in unseren Anlagen installieren. Bis März wird unser erster Solar-Park im Zementwerk Retznei in Betrieb gehen. Wir müssen ja nicht nur die Emissionen bei der Zementproduktion reduzieren, sondern auch alle anderen Emissionen. Deswegen elektrifizieren wir unseren Fuhrpark und wir versuchen unsere Werke mit grünem Strom zu betreiben.

Berthold Kren (49) ist Umwelttechniker und hat an der Montanuniversität Leoben studiert. Seit Juli 2020 ist er CEO der Lafarge Zement Central Europe Holding. Zuvor war er bei LafargeHolcim für den Bereich Geocycle in Asien verantwortlich.
© Gregor Kuntscher

Wie viel sind 10.000 Tonnen CO2 gemessen an ihrem Gesamtausstoß?

Wir haben im Zementwerk Mannersdorf einen Gesamtausstoß von rund 700.000 Tonnen CO2 im Jahr. Wir gehören damit zu den größeren Emittenten in Österreich. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst und deswegen arbeiten wir mit Nachdruck daran, unsere Produkte zu dekarbonisieren. Der erste Schritt ist der Klinkerprozess. Klinker ist das Basisprodukt für Zement mit dem größten CO2-Fußabdruck. Wir wollen den Klinkeranteil im Zement reduzieren. Heuer haben wir einen Klima-CEM aufgelegt, bei dessen Herstellung 20 Prozent weniger CO2 anfällt. Damit sind wir erfolgreicher als gedacht. Wir haben schon bald zehn Prozent der lokalen Menge auf Klima-CEM umgestellt. Wir haben vor, die Produktion komplett auf diesen Zement umzustellen. Der Markt muss es halt auch annehmen.

Sind Händler bereit, mehr für grünen Zement zu bezahlen?

Das hängt davon ab, mit wem Sie sprechen. Das Transportbetonwerk, das zwischen Baufirma und dem Lieferanten, also uns, steht, interessiert das nicht. Das kämpft ums Überleben. Die Tonne Zement kostet heute genauso viel wie 1992, rund 1100 Schilling. Da liegen wir heute auch im Durchschnittspreis. Wenn ich den Zementpreis verdoppeln würde, macht der nicht mit. Wir reden aber nicht von Verdopplung, sondern von ein paar Euro mehr. Wenn ich Zement komplett von Kohlenstoff befreien will, muss ich wesentlich mehr investieren. Da wird’s dann schon teurer. Bis es so weit ist, wird die CO2-Bepreisung voranschreiten, unsere Gratiszertifikate werden weniger werden. Wenn sich die Kostenwahrheit nicht auf das Produkt durchschlägt, dann werden wir nie dazu übergehen. Beton wird man nicht dekarbonisieren können. Aber bei der Planung und Architektur kann man durchaus noch Material einsparen.

Berthold Kren (49) ist Umwelttechniker und hat an der Montanuniversität Leoben studiert. Seit Juli 2020 ist er CEO der Lafarge Zement Central Europe Holding. Zuvor war er bei LafargeHolcim für den Bereich Geocycle in Asien verantwortlich.
© Gregor Kuntscher

Könnte man auf Beton überhaupt verzichten und mehr aus Holz bauen?

Die Welt hat einen Entwicklungspfad. Länder, die noch großen Aufholbedarf haben, brauchen Infrastruktur. Drei Viertel dieser Infrastruktur, die wir 2050 benötigen werden, sind noch nicht gebaut: Tunnel, Bahnstrecken, Bahnhöfe, Straßen. Kläranlagen und Abwassersysteme baut man nicht aus Holz. Das muss aus Beton gebaut werden. Beton ist der einzig leistbare Baustoff. Wir verbauen weltweit jeden Monat einmal die Stadt New York. Wir könnten schon mehr mit Holz bauen, nur haben wir dann bald keinen Wald mehr übrig. Holz ist die beste Möglichkeit, um CO2 aus der Luft wieder zu binden. Ich sage nicht, Holz ist schlecht, und ich sage auch nicht, Beton ist die einzige Wahrheit. Es braucht einen Mix, der für das Klima den geringsten Schaden anrichtet. Wir haben uns schon zu den Pariser Klimazielen bekannt. Wir wollen nicht in die Ecke des Greenwashings geschoben werden. Ich habe ein Problem damit zu sagen, ich pflanze irgendwo ein paar Bäume und dann ist unsere CO2-Bilanz ausgeglichen. Mir ist es wichtiger, die Emissionen, die wir an unseren Produktionsstandorten haben, weiter zu reduzieren.

Ein Plakat in Ihrem Büro wirbt mit grünem Beton. Wie grün ist dieser Beton tatsächlich?

Wir haben mit der Perlmooser Beton eine eigene Beton-Tochter und produzieren mit dem CO2-reduzierten Zement einen Beton, bei dem wir zusätzlich noch Betonbruch aus Bauresten einsetzen. Nächstes Jahr werden wir mit Ecopact Prime einen Beton herausbringen, der 30 Prozent weniger CO2 hat. Der wird teurer. Der Ecopact Max wird bis zu 50 Prozent weniger CO2 haben. Mit unserer Pilotanlage können wir dann CO2-freien Beton herstellen. Für grüne Investments gibt es noch keine klaren Kriterien. In Deutschland gibt es schon Zertifizierungssysteme, in Österreich noch nicht.

Wie gut lässt sich Beton recyceln?

Beton ist zu 100 Prozent recycelbar. Ich kann alte Betongebäude brechen, das Material wird 1:1 wieder eingesetzt und deponiert. Das ist mit vielen anderen Baustoffen nicht machbar. Deswegen setzen wir mit Nachdruck auf Recycling. In Retznei haben wir ein eigenes Recycling-Center, wo wir mehrere hunderttausend Tonnen Baurestmassen wiederverwerten. Sie fließen bei uns wieder ins Produkt ein, der Kreislauf ist geschlossen.

Was kostet eine Tonne Beton im Unterschied zu einer Tonne vom CO2-reduzierten Beton?

Das hängt von der Art des Betons ab. Der Kubikmeter Beton kostet rund 70 Euro, der Ecopact Prime wird 30 Prozent mehr kosten. Wir haben wesentlich höhere Kosten bei der Produktion. 30 Prozent mehr klingt nach sehr viel. Sagen wir, Sie bauen Ihr Haus komplett aus Beton, das sind mehrere hundert Kubikmeter, dann reden wir von 1.500 Euro an Mehrkosten. Ihr Haus hat aber einen 30 bis 50 Prozent kleineren CO2-Fußabdruck.

Wie viel hat Lafarge in Klimaschutz-Maßnahmen investiert?

Wir haben im vergangenen Jahr 23 Millionen Euro in eine neue Kalkstein-Mühle investiert. Damit können wir 40.000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Die Pilotanlage C2PAT alleine steht für 100 Millionen Euro, die sich vier Unternehmen aufteilen. Wenn wir das hochskalieren, reden wir über Milliardenbeträge. Da ist noch viel zu tun.

Es wird ja auch teurer, wenn der CO2-Preis steigt.

Das ist eine Standortfrage. Werden wir in Zentraleuropa noch Zement und Stahl produzieren? Wir müssen auch wettbewerbsfähig bleiben und schauen, dass es in 30 Jahren auch noch Jobs gibt. Für mich ist die Richtung klar: Ich möchte den Industriestandort Österreich erhalten. Das funktioniert aber nicht, wenn wir ewig Gratis-Zertifikate erhalten. Die Zementindustrie hat ihren CO2-Fußabdruck stark reduziert: von über 800 Kilogramm Kohlenstoff pro Tonne Zement auf 493 Kilogramm in den letzten 20 Jahren. Jede Tonne Zement, die in Österreich produziert wird, ist wesentlich sauberer, als wenn ich sie woanders produziere.

Das heißt, Sie unterstützen den von der Europäischen Union geplanten Klimazoll für CO2-intensive Produkte?

Das gehört zu unseren Grundforderungen. Ich muss aus Handelsgründen natürlich noch einen Import zulassen, aber der muss denselben Kriterien entsprechen. Und da stellt sich schon die Frage: Wer überprüft das Zementwerk in der Türkei? Die haben nicht dieselben Systeme wie wir. Ich glaube, der CO2-Grenzausgleich ist ein gangbarer Weg, der andere Länder dazu bringt, sich anzuschließen.

Welchen Umsatz erwarten Sie heuer?

2020 war trotz Corona-Pandemie kein schlechtes Jahr. Wir hatten in Österreich einen Umsatz von 137 Millionen Euro. Heuer hatten wir ein extrem gutes erstes Halbjahr. Die Nachfrage war so groß, dass uns ein paar Mal knapp der Zement ausgegangen wäre. Im Moment ist es aber schwierig abzuschätzen, wie sich der Rest des Jahres entwickelt, weil uns die Energiekosten durch die Decke fahren. Die Strompreise sind drei- bis viermal höher als ursprünglich budgetiert. Wir werden heuer wieder in der Größenordnung von 2020 landen. Die Mehrbelastungen durch gestiegene Energiepreise und die hohen CO2-Preise betragen zwischen fünf und acht Millionen Euro.

Wissen: Zement ist der am meisten verwendete Werkstoff der Welt. Vermengt man das graue Pulver mit Sand, Kies und Wasser, erhält man Beton. Und ohne Beton gibt es keine Häuser, Autobahnen oder Flughäfen. Jeden Monat entsteht eine Stadt in der Größe von New York. Doch wie wird Zement eigentlich hergestellt und warum entstehen dabei so viel CO2-Emissionen? Basis für Zement sind die Rohstoffe Kalkstein, Sand, Eisenerz und Ton. Das Gemisch wird gemahlen und dann bei 1.450 Grad Celsius gebrannt. Nach dem Brennen erhält man den sogenannten Zementklinker. Beim Brennen wird dem Kalkstein das CO2 entzogen. Deshalb werden große Mengen des Treibhausgases freigesetzt. Die globale Zementindustrie verursacht 2,3 Milliarden Tonnen CO2 - also mehr als doppelt so viel wie der gesamte Flugverkehr. In Österreich werden pro Jahr fünf Millionen Tonnen Zement und 15 Millionen Kubikmeter Beton verbaut.