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Der Burgenländerwitz hat ausgedient

Von Michael Ortner

Wirtschaft
Alle Konsumentinnen und Konsumenten werden 2022 von der Ökostrompauschale befreit.
© Michael Ortner

Spitzenreiter bei Impfungen, Ökostrom und Bio-Landwirtschaft: Von allen Bundesländern hat sich die Wirtschaft im Burgenland seit 2000 am stärksten entwickelt. Drei Erfolgsgeschichten.


Das Burgenland ist verschlafen. Heuballen ruhen auf den Feldern. Sanfte Hügel durchziehen die Landschaft. Ein Storch landet in seinem Nest auf dem Gemeindeamt. Beim Heurigen sitzen die Menschen gemütlich zusammen. Spritzer und Grammelschmalzbrote werden serviert. Im Dorf läuten die Kirchenglocken. Ländliche Idylle. Von Hektik keine Spur. Im Burgenland geht es gemächlich zu.

Doch das Bild täuscht. Hinter der Idylle verbirgt sich ein dynamischer Wirtschaftsstandort. Der schmale Streifen Land zwischen Neusiedl am See und Güssing hat einen rasanten Wandel durchgemacht. Beim verfügbaren Einkommen war das Burgenland zur Jahrtausendwende Schlusslicht im Bundesländer-Ranking. Inzwischen rangiert es auf Platz drei. Burgenländerwitze reißt heute niemand mehr. Aus dem strukturschwachen Bundesland wurde eine wirtschaftliche und ökologische Vorzeigeregion - auch dank der üppigen EU-Hilfen, die ab 1995 flossen.

Energiewende geschafft

Heuer feiert das Burgenland Jubiläum. Seit 100 Jahren gehört es zu Österreich. Es ist das jüngste Bundesland und inzwischen als Standort für Unternehmen gefragt. Die Weine genießen internationales Ansehen. Die Landwirtschaft rühmt sich mit dem höchsten Bio-Anteil der gesamten EU. Der Tourismus punktet mit Thermen und Spitzengastronomie. Seit 2013 produziert das Burgenland mehr Ökostrom, als es selbst verbrauchen kann. An vielen Häuser kleben Solarmodule am Dach. Die Energiewende? Im Burgenland hat man sie schon geschafft. Doch man will noch höher hinaus. Zwei Millionen Tonnen CO2 fallen jährlich an. 2030 will das Burgenland bereits klimaneutral sein - zehn Jahre vor dem Bund. Und die Corona-Pandemie? Beim Impfen ist das Burgenland Spitzenreiter mit 71,3 Prozent Vollimmunisierten und hat damit alle anderen Bundesländer abgehängt.

Seit den 1990er-Jahren zählt das Wirtschaftswachstum im Burgenland zu den kräftigsten. Beim Bruttoregionalprodukt, also der regionalen Wertschöpfung, liegt das Land mit 31.600 Euro je Einwohner zwar noch weit hinter Spitzenreiter Salzburg (52.000 Euro je Einwohner). Doch es holt rasant auf. In keinem anderen Bundesland hat sich die regionale Wirtschaft seit 2000 stärker entwickelt: 82 Prozent plus. Das ist ein beachtliches Wachstum.

Erich Scheiblhofer kann mit der Vokabel "rasant" nichts anfangen. Denn sein Produkt braucht Zeit. Der Wein in den Fässern muss reifen. Scheiblhofer hat viel zu tun in diesen Tagen. Die Weinlese hat begonnen, die Mannschaft ist an diesem Tag seit 7 Uhr in der Früh auf den Beinen. Es ist die stressigste Zeit im Jahr. Scheiblhofer baut auf 85 Hektar Wein an. Sein Weingut liegt in Andau, 20 Minuten Autofahrt östlich des Neusiedlersees. Er gehört zu den sonnigsten Orten Österreichs. Ideale Bedingungen für den Wein

Weingut wächst stetig

Mit dem "Big John", einem Cuvee aus den Rebsorten Zweigelt, Cabernet Sauvignon und Pinot Noir, gelang Erich Scheiblhofer gemeinsam mit seinem Vater Johann der Durchbruch. Seine Weine findet man im Haubenlokal ebenso wie im Supermarktregal. Heute zählt das Weingut zu den größeren im Burgenland. 19 Millionen Euro setzte Scheiblhofer 2019 um.

"Vor zehn Jahren hatten wir nicht mal zehn Millionen Euro Umsatz", erzählt Scheiblhofer, der heuer als "Winzer des Jahres" ausgezeichnet wurde. Das Weingut expandiert kräftig: Jahr für Jahr wächst der Umsatz um 15 bis 20 Prozent. Die Mitarbeiterzahl steigt kontinuierlich, auch die Betriebsflächen werden immer größer. Knapp zwei Millionen Flaschen Wein will Scheiblhofer auch heuer wieder abfüllen. 15 Prozent gehen in den Export, Deutschland und die Schweiz sind die wichtigsten Märkte.

Dabei hat alles ganz klein angefangen. Sein Vater Johann Scheiblhofer hat mit einer Landwirtschaft begonnen, er baute auf 15 Hektar Gemüse an. Der Wein wurde stiefmütterlich behandelt. Er durfte nur auf einem halben Hektar wachsen. Die Ausbeute war viele Jahre bescheiden "Vier Holzfässer mit 900 Litern war die Jahresproduktion." Erst nach 2000 kam der Erfolg. Die Fläche vergrößerte sich auf 20 Hektar. Erich Scheiblhofer steigt nach einem Aufenthalt in Kalifornien in den Betrieb ein. "Österreich war bis dato in der Weinwelt eine unbedeutende Nummer", sagt er. Dann erlebte Rotwein einen Boom. Heimische Rotweine wurden international wahrgenommen. "Das ist keine Einzelleistung eines Betriebs, sondern aller Betriebe gemeinsam", sagt Scheiblhofer.

Winzer Erich Scheiblhofer hat sich mit dem Rotwein Big John einen Namen gemacht.
© Scheiblhofer

Das Weingut wächst stetig. Scheiblhofer ließ eine Event-Halle bauen. Auf den Dächern der Produktionshallen sind Solarmodule installiert. Mit dem Sonnenstrom ist der Betrieb im Schnitt schon lange autark. "Nur bei der Ernte, wenn jede Presse läuft, kommen wir mit dem Eigenstrom nicht durch", sagt er.

Jede Woche besuchen 1.000 Gäste das Weingut. Künftig werden sie auch übernachten können. Denn 2022 soll ein Ressort mit 118 Zimmern und Spa-Bereich eröffnen. Warum braucht ein Weingut aber unbedingt ein Luxusressort? "Wein und Tourismus ist das Symbiotischste, das man machen kann. Ohne Wein wäre das Burgenland touristisch und bei der Wertschöpfung nicht dort, wo wir heute sind", sagt Scheiblhofer.

Von Oberwart in die Emirate

Nur wenige Meter vom Weingut entfernt drehen sich Windräder. Dahinter beginnt Ungarn. Burgenlands Geschichte und Wirtschaft ist eng mit der des Nachbarlandes verwoben. Von der Öffnung des Ostens hat besonders das Burgenland profitiert. Unternehmen erschlossen neue Absatzmärkte, aus Ungarn kamen Arbeitskräfte nach Österreich. Heute pendeln rund 20.000 Ungarn jeden Tag zum Arbeiten ins Burgenland.

Die Vorteile der offenen Grenze erkannte auch Josef Unger sen. Das Nachbarland war der erste Auslandsmarkt, in das das von ihm geführte Stahlbauunternehmen seinen Fuß setzte. 1994 errichtete Unger Steel das erste Coca-Cola-Werk Ungarns. Im selben Jahr entstand auch die Daviscuphalle in Unterpremstätten. Mit den beiden Konstruktionen machte sich das Stahlbauunternehmen aus Oberwart einen Namen.

Dort, wo die Ansprüche an Stahlkonstruktionen hoch sind, kommt Unger Steel ins Spiel: Die rautenförmige Dachlandschaft vom Hauptbahnhof Wien, das ringförmige ÖAMTC-Gebäude oder die futuristische Bibliothek der WU Wien wurden vom Oberwarter Stahlspezialisten gefertigt. Auch Flughäfen und Kraftwerke gehören ins Portfolio. Derzeit entstehen in Deutschland Produktionshallen für einen Flugzeughersteller. Für welchen darf CEO Matthias Unger nicht verraten. "Das wird sehr groß, sicherlich ein Vorzeigeprojekt", sagt er. Seit 2008 führt der 38-Jährige das Unternehmen in dritter Generation. "Mein Großvater hat das Unternehmen 1952 gegründet. Er produzierte Anhänger für die lokale Landwirtschaft", erzählt Unger. Sieben Mitarbeiter zählte Unger Stahlbau damals. Heute sind es 1200.

Unger Steel verbaut pro Jahr 70.000 Tonnen Stahl - so viel wie sieben Eiffeltürme.
© Unger Steel / Renee del Missier

Unger Steel zählt zu den führenden Stahlbau-Spezialisten in Europa. Es gibt Niederlassungen von Rumänien über Zypern bis nach Turkmenistan. Das Unternehmen liefert von der statischen Berechnung bis zur Montage alles aus einer Hand. Jedes Jahr verbauen die Mitarbeiter 70.000 Tonnen Stahl - sieben Mal so viel wie das Gewicht des Eiffelturms. 2019 setzte Unger Steel 219 Millionen Euro um. Zwei Drittel davon werden im Ausland generiert.

Was macht also den Erfolg des Familienbetriebs aus? "Wir arbeiten beim Engineering sehr eng mit der HTL Pinkafeld zusammen. 50 Absolventen von dort arbeiten bei uns. Mit meinem Vater und mir sind es 52. Das ist sicher der Schlüssel unseres Erfolgs", sagt Unger. Jedes Jahr nimmt das Unternehmen fünf Lehrlinge auf. Unger ist meist selbst bei den Abschlussprüfungen dabei.

2007 expandierte Unger Steel in den arabischen Raum. Seitdem wird nicht nur in Oberwart, sondern auch in den Vereinigte Arabische Emiraten Stahl verbaut. "Ein Werk mit Hafenanschluss war die unternehmerische Vision von meinem Vater", sagt Unger. Das Werk dient als Drehkreuz für die Märkte in Südostasien und das östliche Afrika. In Zukunft will Unger in Nordamerika noch präsenter werden. Denn auch dort sind die Qualitäten des Oberwarter Stahlbauspezialisten gefragt.

Ein Sprung zurück in die Vergangenheit. 1946 war im Burgenland ein ganz anderes Produkt gefragt. Viele Gebäude waren vom Krieg zerstört. Schutt musste weggeräumt werden. Arbeitsgeräte waren jedoch Mangelware. Der Tischler Karl Markon fertigte zu dieser Zeit eigentlich Fenster und Türen. Doch er ergriff die Gelegenheit. Er fertigte 300 Scheibtruhen und lieferte sie nach Wiener Neustadt. Bald wurden auch Schreibtische und Stühle benötigt. Da traf es sich gut, dass ein Mitarbeiter von Markon sein Handwerk in einer Möbelfabrik gelernt hat. Der nächste Auftrag: 300 Schreibtische für die Landesregierung im Burgenland. Der Grundstein für Neudoerfler Büromöbel wurde gelegt.

Corona verändert Bürowelt

Heute zählt Neudoerfler zu den Leitbetrieben im Burgenland. "Die Produktion findet seit jeher an unserem ursprünglichen Produktionsstandort in Neudörfl statt", sagt Neudoerfler-CEO Heidi Adelwöhrer. Die Metallgestelle für die Tischfüße kommen von einem Betrieb aus der Nachbarschaft, die Platten für die Schreibtische ebenso aus Österreich. Viele Mitarbeiter kommen aus Neudoerfl und der Region, man fühlt sich stark mit dem Burgenland verbunden. Fachkräfte holt sich der Betrieb in der HTL Mödling. Über 20 Lehrlinge werden ausgebildet.

Viele Mitarbeiter kommen aus Neudoerfl und der Region, man fühlt sich stark mit dem Burgenland verbunden.
© Neudoerfler, Andreas Hafenscher

2010 bekam Neudoerfler den bisher größten Einzelauftrag. Der Betrieb stattete Ämter, Behörden und Gerichte aus. Der Campus der WU Wien oder die Postzentrale am Wiener Rochusmarkt zählen ebenso zu den Referenzen wie Banken oder Schulen.

2019 betrug der Umsatz knapp 56,2 Millionen Euro. 2020 belastete die Pandemie das Ergebnis. Heuer will Neudoerfler laut Adelwöhrer wieder leicht über 50 Millionen Euro erzielen. Seit 2016 gehört der einstige Familienbetrieb zur BGO-Holding, unter deren Dach auch die Büromöbelproduzenten Bene und Planmöbel firmiert.

Während der Lockdowns standen viele Büros leer. Immer noch arbeiten viele Menschen im Homeoffice. Wie wirkt sich das auf einen Büromöbelhersteller aus? Neudoerfler reagierte mit speziellen Homeoffice-Paketen, bestehend aus Tisch, ergonomischem Sessel und Leuchte. "Die meisten Menschen haben weniger Platz zu Hause. Dass Büro muss ins Gesamtbild der Wohnung passen", sagt Adelwöhrer. Doch auch die Unternehmen bauen ihre Büros um, um gut ausgebildete Arbeitskräfte anzuziehen. "Die Attraktivität des Arbeitsumfeldes ist ein wichtiger Faktor", sagt sie. In Zukunft werde das Arbeiten flexibler.: Man arbeitet dort, wo man gerade ist.