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Die Metropole nach der Pandemie

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Corona hat das Weichbild der Stadt verändert. Folgt auf die Pandemiepanik eine urbane Renaissance? Oder taumeln die Städte aus einer Krise in die nächste - nämlich von der Covid-Krise in die Klimakrise?


Lockdown. Dieses Stück spielte es bisher dreimal seit dem 16. März 2020. Und nun: Da capo. Lockdown Nummer IV.

Lockdown bedeutet für viele Büroarbeiterinnen und -arbeiter: Homeoffice. Denn die Bundesregierung fordert alle, die ihre Arbeit auch von zuhause aus erledigen können, dazu auf, auf Homeoffice umzusteigen. In der Schweiz gilt sogar eine Homeoffice-Pflicht für jene, bei denen das möglich ist, und die Eidgenossen glauben, dass die Homeoffice-Pflicht einen wertvollen Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens leisten konnte.

Am Anfang dachte man noch, Covid-19 würde kaum Spuren in Wirtschaft und Gesellschaft hinterlassen - denn wer erinnerte sich schließlich noch an die Spanische Grippe? Heute wissen wir in Abwandlung von Heraklits Erkenntnis: Das Virus ist der Vater aller Dinge. Und ein Treibsatz für die weitere Beschleunigung von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und politischen Prozessen. So hat sich etwa die Durchflutung aller Lebensbereiche mit dem Digitalen weiter verstärkt. Schließlich lauteten die Schlagworte der vergangenen Monate: Distance Learning. Homeoffice. E-Government. Online-Shopping.

Heiliger Gral Homeoffice

Und diese Digitalisierung krempelt nun das Leben der Büroarbeiterinnen und Arbeiter um, stellt die Strukturen in Unternehmen auf den Kopf und zeichnet Stadtentwicklungspläne neu. "Am besten funktionieren hybride Modelle, also eine Mischung aus Büro-Tagen und Homeoffice-Tagen", sagt die Expertin für neues Arbeiten, Lena Marie Glaser, die gerade ihr Buch "Arbeiten auf Augenhöhe" fertigstellt, das 2022 erscheinen soll.

Im Homeoffice habe sich, so Glaser, eine neue Vertrauenskultur etabliert: "Es gab eine Abkehr vom Präsenz-Wahn - nur weil jemand immer da ist, bedeutet das nicht, dass er oder sie auch immer produktiv ist. Im Umkehrschluss: Nur weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice sind, bedeutet das nicht, dass sie weniger produktiv sind - im Gegenteil." In Ländern mit einem hohen Grad an Vertrauen in der Gesellschaft habe die Übersiedlung ins Homeoffice viel besser funktioniert: In Dänemark gibt es schon seit vielen Jahren einen Vertrauensvorschuss der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern, dort sei man es gewohnt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst frei arbeiten zu lassen, sagt Glaser.

© Illustration; Quelle: stock.adobe.com / Baan Taksin Studio

Es gebe aber im Homeoffice eine Menge von Fragen: "Wie oft muss sich das ganze Team treffen? An welchem Wochentag? Welche Flächen stehen dann im Büro zur Verfügung?" Auch die Büroinnenarchitektur müsse diesem neuen Arbeiten gerecht werden: "Es braucht Räume, in denen man sich über den Weg läuft, wo man ins Plaudern kommt. Im Englischen gibt es den schönen Begriff ‚Serendipity‘, also einen Glücksfall, der aus einer Zufallsentdeckung kommt." Denn das sei die Stärke des Büros: die soziale Interaktion und Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen. "Genau das ist es, was man im Homeoffice vermisst, wenn man alleine vor seinem Computerbildschirm sitzt."

Der Wiener Consulter und Gesellschafter des Beratungsunternehmens trainconsulting, Lothar Wenzl, sieht - wie Glaser - den wichtigsten Vorteil des Büros darin, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Gespräch kommen - und zwar nicht nur entlang der Hierarchien und Abteilungsgrenzen. Gerade in der Zeit des Homeoffice habe sich gezeigt, wie wichtig informelle Kommunikation - die sich mit Tools wie Teams oder Slack nur schwer abbilden lasse - für Unternehmen sei.

"In der Frage Homeoffice oder 3:2- oder 2:3-Regel wird es nicht darum gehen, ob die Arbeitgeber wollen, dass man drei Tage im Büro und zwei Tage zuhause oder zwei Tage im Büro und drei Tage zuhause ist, sondern das werden bei den qualifizierteren Jobs die Arbeitnehmer entscheiden", meint Wenzl. Vor allem jüngere, kreative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden mehr Flexibilität erwarten, doch oft seien die Arbeitsprozesse darauf nicht vorbereitet, und es gebe darüber hinaus auch Arbeitnehmergruppen, die einen fixen Arbeitszeitrahmen durchaus schätzen würden und sich von zu viel Flexibilität überfordert fühlen könnten.

© Illustration; Quelle: stock.adobe.com / Baan Taksin Studio

"Was man lange vorausgesagt hat, trifft nun mit voller Wucht ein: Der Arbeitskräftemangel erschöpft sich nicht mehr nur im Fachkräftemangel, sondern hat alle Bereiche der Arbeitswelt erfasst", stellt Wenzl fest. "Das erhöht den Druck auf die Arbeitgeber, Arbeitsumfelder zu schaffen, die attraktiv sind. Jene Arbeitgeber werden erfolgreich sein, wo sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zuhause fühlen, wo sie ernstgenommen werden, so sie ein angenehmes Arbeitsumfeld - und dazu gehören die Werkstätten, Anlagen und Büros - vorfinden." Es gehe aber nicht allein um bessere Strukturen und formschönere Buroinnenarchitektur, sondern auch um das Büroumfeld. "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich unwohl, wenn es rund ums Büro nichts zu essen gibt, oder wenn das Ambiente der Nachbarschaft zu wünschen übrig lässt."

Gegen die Monokultur

"Willst du deinen Wald vernichten, pflanze Fichten, nichts als Fichten." Patricia Möckesch kennt den Spruch, sie ist Head of Innovation and Design beim Büroausstatter Bene Büromöbel in Waidhofen an der Ybbs im niederösterreichischen Mostviertel und sitzt bei ihrem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" vor einer Forst-Bildtapete in einem Telefon-Cubicle. Aber nicht nur ihre Arbeit mit Holz hat sie gelehrt, sich mit Monokulturen zu beschäftigen, sie stammt auch aus Frankfurt, wo ein Wald aus Büro-Türmen es der Stadt am Main schwer macht, das pulsierende Leben einer bunten Metropole zu entfalten. "Frankfurt ist am Abend komplett verwaist, eine große Zahl von Büroleuten verlässt abends die Stadt, weil sie im Umland wohnen. Dieser Trend wird sich nach der Pandemie noch verstärken", sagt Moeckesch.

Doch zurück zu Bene in Waidhofen: Homeoffice sei nun Teil des Büro-Ökosystems. "Ich glaube aber nicht, dass das Büro dadurch weniger relevant geworden ist. Eher im Gegenteil", sagt Möckesch. Früher hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Homeoffice als den Heiligen Gral betrachtet, jetzt sei es für viele ein Graus, daran zu denken, wie man, während die Kinder im Homeschooling sind, die Arbeit zuhause erledigen muss. Dass der Partner oder die Partnerin ebenfalls im Homeoffice ist, steigert die Lust auf Remote-Work nicht unbedingt. "Unser Leben ist durchdigitalisiert: Medien, E-Commerce, Social Media und Datingplattformen. Das Büro ist zwar auch durchdigitalisiert, aber dort trifft man wenigstens Kolleginnen und Kollegen. Unternehmen leben vom Austausch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Firma ist ein sozialer Raum - das ist uns im Homeoffice so richtig bewusst geworden", erklärt Möckesch.

Sie hält ein Plädoyer für den Multispace, also für eine Büroumgebung, die eine Vielfalt von Arbeitsbereichen in sich vereint: Einzelbüros für konzentriertes, introvertiertes Arbeiten, Büros, die zum Teamwork einladen und Büroflächen, die keinen definierten Zweck erfüllen, wie etwa Sitzungsräume oder Kaffeeküchen.

© Illustration; Quelle: stock.adobe.com / Baan Taksin Studio

Dieser Sicht kann der Grazer Architekt Atelier Thomas Pucher einiges abgewinnen: Die Aufgabe von Büroflächen der Zukunft sei eine Mischung aus effizientem Büro und gemütlicher Hotellobby. Es sei aber nicht so, dass die Menschen in der Post-Covid-Ära quasi ins Büro tratschen gingen und der Unterschied zwischen Arbeit und Urlaub fließend sei. Im Gegenteil, die Produktivität sei seit der Pandemie sogar gestiegen: Früher sei man froh gewesen, wenn man in zwei Tagen zwei Termine geschafft habe: am einen Tag den Flug nach Belgrad, am nächsten Tag weiter nach Bukarest. Heute würden die Microsoft-Teams-, Skype- oder Zoom-Calls eng getaktet, an guten Tagen schaffe man da sechs Online-Termine. Damit müssten die Strukturen und Prozesse Schritt halten.

In den vergangenen Jahren haben Developer und Investoren bei ihren Objekten auf klare Trennung der Bereiche gesetzt: Büroimmobilien an einem Ort, Wohnimmobilien in einem zweiten Projekt und Einkaufs- und Gewerbe-Immobilien in einem dritten. Nun würden die unterschiedlichen Funktionen zusammengedacht, durch die immer stärkere Verbreitung des Homeoffice würden neue Erfordernisse auf Wohnimmobilien zukommen. "Bisher ging der Trend dazu, die Raumfunktionen zu vermischen, denken Sie etwa an Wohnküchen. Homeoffice-Worker benötigen aber ein Arbeitszimmer, auch wenn es winzig ist." Und wenn man herauszoomt aus dem Bild der Büroviertel und den Blick auf das Gesamtbild der Stadt richtet? "Auf dem Weg zur Stadt der Zukunft ist Covid-19 ein weiterer Puzzlestein", sagt Pucher.

Spuren im Weichbild der Stadt

Rudolf Scheuvens, Leiter des future.lab der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der TU-Wien, ist der Überzeugung, dass Covid-19 und der damit einhergehende Homeoffice- und Online-Handel-Boom tiefe Spuren im Weichbild der Städte hinterlassen werden. "Die Folge: Die Leerstände werden zunehmen und die Raumbeziehung zwischen Büro- und Wohnvierteln werden sich neu ordnen." Eintönige Einkaufsstraßen ohne Flair werden es tatsächlich schwer haben - Konsumenten suchen nach der Pandemie umso mehr nach Inspiration, Vielfalt, Originalität und Erlebnis-Shopping. Für Städte bietet sich sogar die Möglichkeit, Kunden von den Shopping-Centern in der Peripherie zurück in die Innenstädte zu locken.

Diese Suburbanisierungswelle werde über den Speckgürtel der Städte hinausgehen, ist Scheuvens überzeugt: "Menschen werden versuchen, die Annehmlichkeiten eines Hauses am Land mit der Nähe zur Stadt zu verknüpfen. Wocation - Arbeit und Urlaub - das wird weiter Druck auf die Bodenpreise - gerade in touristisch attraktiven Gebieten machen." Im Burgenland und in Niederösterreich gebe es Leerstände - aber die Zuzügler aus Wien würden sich nur schwer in die dörflichen Strukturen integrieren. Vor allem für touristisch geprägte Regionen ortet Scheuvens einen höheren Flächenbedarf.

Nach der Corona-Krise ist vor der Klimakrise: Die Politik hat in den vergangenen eineinhalb Jahren Handlungsfähigkeit bewiesen. Zuvor lautete das Schlagwort allzu oft: T.I.N.A. - there is no alternative. Und dann? Kam die Pandemie. Flugzeuge blieben auf dem Boden, Verordnungen wurden im Stundentakt erlassen, und Politik und Gesellschaft schalteten in den Krisenmodus um. Darauf kann man nun aufbauen - und aus den bisherigen Fehlern lernen: Denn die drohende Klimakatastrophe verlangt - so wie Covid-19 - schnelles, konsequentes und entschlossenes Handeln. Bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen Städte eine herausragende Rolle: Mehr als 55 Prozent der Weltbevölkerung leben in Städten (in Österreich sind es 58 Prozent, in Deutschland 77 Prozent, in der Schweiz 74 Prozent, in Tschechien 74 Prozent). Städte machen nur 3 Prozent der Landfläche aus, sind aber laut einem Report der EU-Kommission für 72 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Und sie wachsen schnell: Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 fast 85 Prozent der Europäer in Städten leben werden.

Nach der Krise? Vor der Krise!

Die Städte müssten sich nun der Klimakrise stellen, sagt Scheuvens: Einerseits gehe es um Begrünung, andererseits um eine bessere Verkehrsplanung. Der Wandel im Mobilitätsbereich müsse in den Köpfen stattfinden. Die erste Maßnahme sei es, Parkplätze gegen Bäume einzutauschen. Das erfordere "ein klein wenig Mut bei den Politikern, die das durchsetzen müssen", so Scheuvens. Es brauche das Lernen von guten Beispielen, es brauche Weitsicht in der Planung, um gute Angebote zu schaffen - aber dass es härtere Kämpfe um Flächen in der Stadt geben werde, sei vorhersehbar. Der Flächenverbrauch, der Bodenverbrauch sei enorm.

Covid-19 hat die Städte vor eine schwere Herausforderung gestellt: Denn sie sind die Petrischalen der Pandemie. Und: Social Distancing ist die Negation der städtischen Idee. Doch wie sieht die Post-Covid-Stadt aus? Digitaler, smarter, flexibler, lebenswerter, aufregender und nachhaltiger. Die Idee der Stadt - Gemeinschaft, Zusammenarbeit, Kommunikation - lebt.

Gibt es nach der Pandemie Grund zum Aufatmen, kehren wir zur Normalität zurück? Diana Ürge-Vorsaltz, Professorin an der Central European University, hofft, dass das nicht so sein wird: "Lasst uns nicht zur Normalität zurückkehren, denn diese Normalität hat nicht funktioniert", wird sie im Artikel "Future of Cities Will Shape Post-COVID-19 World" auf der Website der Weltbank zitiert. Denn nach der Krise ist vor der Krise.