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Energieexperte: "Gasversorgung wird nicht unterbrochen"

Von Michael Ortner

Wirtschaft

Die Speicher reichen vorerst. Kurzfristig gibt es wenige Alternativen zu russischem Gas, sagt Energieexperte Alfred Schuch.


"Wiener Zeitung": Österreich bezieht rund 80 Prozent seines Gases aus Russland. Wie können wir angesichts der Eskalation in der Ukraine in Zukunft die Abhängigkeit verringern?Alfred Schuch: Die heimischen Erdgasspeicher sind nicht gut gefüllt, allerdings ist es noch kein Grund zur Beunruhigung. Und zwar aus einem einfachen Grund: Wir haben in den Speichern derzeit ziemlich genau 18 Prozent. Das bedeutet, dass wir - sofern es mit dem Wetter so weitergeht und wir keinen Kälteeinbruch haben - auch bei vollem Gasbedarf durch den Winter kommen werden. Falls der russische Gaskonzern Gazprom auf Anraten von Putin sagt, sie würden das Gas abdrehen, dann würden wir zumindest für die Haushaltskunden und geschützte Kunden wie Spitäler und Pflegeheime noch ausreichend Gas haben. Diese haben zusammen einen Jahresverbrauch von 1,7 Milliarden Kubikmeter Gas, in den Speichern sind rund 700 Millionen Kubikmeter. Wir haben also noch rund 50 Prozent ihres Jahresbedarfs im Speicher. Keiner braucht Angst haben, dass er frieren wird. Ich glaube auch nicht, dass Putin anordnen wird, dass die Gasversorgung unterbrochen wird.

Was macht sie da so sicher?

Die Russen halten sich seit 50 Jahren an die Lieferverträge. Aber das ist kein Grund. Man muss sich vorstellen, was passiert, wenn Russland den Gashahn zudreht. Die Wiedereinstiegskosten in den EU-Markt sind hoch - in einem Umfeld, wo alle um Marktanteile kämpfen. Wenn Russland aus dem Markt aussteigt, ist die Vertrauensbasis zerstört. Das kann zu einem Rattenschwanz von Prozessen mit Schadenersatzzahlungen führen. Wenn Putin nicht komplett auf Zerstörung aus ist, wird das nicht passieren. Außerdem sind Pipelines leitungsgebundene Energieträger. Putin kann das Gas aus den mit diesen Leitungen verbundenen Erdgasfeldern nur nach Europa transportieren. Er kann mit Gas aus diesen Feldern nicht nach China - dafür sind andere Erdgasfelder, die tausende Kilometer entfernt liegen, angeschlossen. Russland muss bei Erdgaslagerstätten und bei der Transportinfrastruktur fortlaufend Investitionen tätigen. Ein Feld stirbt, das nächste muss erschlossen werden, das ist ein rollierender Prozess. Putin würde sich also selbst unheimlich viel wirtschaftlichen Schaden zufügen.

Und Erdgas beschert Russland hohe Einnahmen . . .

Die EU schickt für Erdgas - beim jetzigen Preisniveau - ungefähr 100 Milliarden Euro pro Jahr nach Russland. Für Erdöl kommen weitere 80 bis 90 Milliarden Dollar dazu. Liefert Russland nicht, würde das den russischen Haushalt belasten. 200 Milliarden Euro in Summe ist nicht wirklich wenig. Das BIP von Russland beträgt nur rund 1,6 Billionen Dollar - das der USA beträgt knapp 23 Billionen Dollar.

Welche Alternativen gibt es zu russischem Gas?

Kurzfristig leider wenig. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat mit Katar gesprochen - dem weltweit größten Lieferanten von Flüssigerdgas (LNG, Liquefied Natural Gas). In einen großen LNG-Tanker passen ca. 150 Millionen Kubikmeter Gas. Russland liefert 140 Milliarden Kubikmeter. Da müssten sehr viele Schiffe nach Europa kommen. Der Bau eines LNG-Terminals dauert rund sieben Jahre, dann sind sie 2029 fertig. Deutschland etwa will 2045 klimaneutral sein, dann hat man als Investor 15 Jahre, um Geld zu verdienen. Das ist verdammt knapp.

Werden die Gaspreise weiter steigen?

Beim derzeitigen Preis ist ein Sprung erfolgt, aber ich glaube, dass der Krieg schon eingepreist ist. Auch wenn man sich die Futures für 2022 ansieht: Da wird der Erdgaspreis leicht sinken und ungefähr auf dem Niveau verbleiben wie jetzt, also bei rund 80 Euro pro Megawattstunde. Danach sollen die Gaspreise gemäß den Futures sinken aber die Gaspreise werden voraussichtlich wieder im asiatischen Raum gesetzt - in Abhängigkeit vom Kohleverbrauch und dem Wachstum der Wirtschaft.

Welche Rolle wird Erdgas in der Transformation zu einer klimaneutralen Welt spielen?

Ich befürchte, dass wir es mit der Klimaneutralität bis 2040 nicht hinbekommen. Gas ist ein wesentlicher Teil davon. Man muss klarerweise sagen: Die Fernwärme in Wien - als Beispiel - ist zu zwei Dritteln fossil. Das heißt, es werden Gaskraftwerke eingeschaltet und die Abwärme geht ins Fernwärmenetz - was grundsätzlich sehr sinnvoll ist. Aber wir schaffen die Transformation nicht mal mangels beispielsweise Handwerkerkapazität, allein wie viele Fenster hier in Wien getauscht werden müssen.

Was wird die größte Hürde bei der Energiewende sein?

Der größte Brocken wird der Stromnetzausbau sein. Wir haben im Stromnetz derzeit eine Spitzenlast - also eine kurzzeitig auftretende hohe Leistungsnachfrage - von 11 Gigawatt. Für 100 Prozent Ökostrom bis 2030 sind erneuerbare Erzeugungskapazitäten von 27 Terrawattstunden nötig. Dafür sind laut Angaben der APG ca. 19 Gigawatt zusätzliche Leistung für das Stromnetz erforderlich. Wir brauchen eine Verdreifachung der jetzigen Kapazität. Das wird nicht so einfach. Die Genehmigungsverfahren in diesem Bereich müssen beschleunigt werden - die Zeitschiene ist sehr knapp bemessen.

E-Autos, Wärmepumpen, Industrie: Künftig sollen viele Bereiche mit grünem Strom versorgt werden. Geht sich das aus?

Die Menge könnten wir hinkriegen. Wir bräuchten ungefähr 6.000 Windräder mit einer Leistung von 12 Megawatt. Damit ersetze ich die gesamten fossilen Energieträger mit grünem Wasserstoff bei jetzigem Bedarfsniveau. Das heißt aber, dass ich von jetzt an jeden Tag bis 2040 so eine Anlage bauen muss. Es wird ein Problem geben bei der Akzeptanz der Bevölkerung. Wenn man alternativ ausreichend Photovoltaik-Anlagen installiert wird natürlich der Bedarf an Windrädern sinken, aber das Akzeptanz- und Zeitproblem bleibt weiterhin bestehen.

Grüner Wasserstoff gilt als großer Hoffnungsträger in der Energiewende. Wo soll er herkommen?

Wir werden ihn großteils importieren müssen. Ich war damals in einer Arbeitsgruppe bei der Internationalen Energieagentur. Wir haben Beispiele gerechnet für die Produktion von grünem Wasserstoff in Patagonien, der nach Japan transportiert wird. Der riesige Vorteil von Patagonien: Sie haben dort mit Windkraft ca. 5.500 Vollaststunden im Jahr, in Österreich sind es 1.800 bis 1.900. Wenn sie in Patagonien ein Investment tätigen, werden die Fixkosten auf viel mehr erzeugte Einheiten verteilt, der grüne Wasserstoff wird viel billiger. Dann müssen sie aber den Wasserstoff von Patagonien in Schiffen nach Europa bringen und auch hier eine entsprechende Infrastruktur - von Wasserstofftransportschiffen über Pipelines bis zu Häfen - aufbauen, dies innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes. Japan und Südkorea sind da viel weiter. Diese Länder fangen mit grauem, fossil erzeugtem Wasserstoff an. Damit schaffen sie Nachfrage und Infrastruktur. Und parallel dazu investieren sie in Patagonien oder Saudi-Arabien und an anderen geeigneten Orten in die Produktion von grünem Wasserstoff. Erste Transporte vom flüssigen Wasserstoff von Australien nach Japan erfolgen bereits.