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Ukraine-Krieg stürzt Industrie in die Rezession

Von Karl Leban

Wirtschaft

In Summe wird Österreichs Aufschwung heuer gebremst. Die Konjunktur stützen sollte vor allem der Tourismus.


Russlands Krieg gegen die Ukraine wirft lange und dunkle Schatten auf Österreichs Wirtschaft. Für das laufende Jahr zeichnet sich ein nicht unerheblicher Dämpfer für das Wachstum des heimischen Bruttoinlandsprodukts ab – nicht zuletzt wegen der westlichen Sanktionen gegen Moskau und der verstärkten Preisschocks bei Energie.

Entsprechend deutlich haben die Ökonomen des Wifo und des Instituts für Höhere Studien (IHS) ihre Prognosen nach unten revidiert. Lauteten diese noch im Dezember auf ein BIP-Plus von 5,2 beziehungsweise 4,2 Prozent, sind es jetzt nur mehr 3,9 und 3,6 Prozent, die die Konjunkturforscher als Wachstumsrate für das Gesamtjahr annehmen.

Diese Prognosen sind aber mit einer hohen Unsicherheit behaftet, die Abwärtsrisiken sind massiv. So würde etwa ein Stopp der russischen Öl- und Gaslieferungen augenblicklich für eine gesamtwirtschaftliche Rezession sorgen. Für diesen Fall hätte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr für 2022 ein Schrumpfen der heimischen Wirtschaftsleistung um 2 bis 4 Prozent auf der Rechnung, wie er am Freitag vor Journalisten sagte. Aber auch ein Wiederaufflammen der Corona-Krise durch eine neue Virusvariante könnte die jetzige Konjunkturprognose infrage stellen.

Im ersten Quartal dürfte die Wirtschaft noch kräftig gewachsen sein. Für das zweite und dritte Quartal erwartet Felbermayr aber nur noch geringe Zuwächse gegenüber dem Vorquartal.

Die heimische Konjunktur stützen sollte heuer der Tourismus, der zwar unter dem Krieg in der Ukraine leidet, sich gleichzeitig aber von seinem pandemiebedingten Einbruch erholt. Der für Österreich so wichtige Wirtschaftszweig wird laut Felbermayr eine Hälfte des angenommenen Wachstums tragen. Die andere Hälfte tragen vor allem der Handel und die Freizeitwirtschaft mit Nachtgastronomie sowie Kultur- und Sportveranstaltungen, wo die durch Corona bedingten Hemmnisse zuletzt weggefallen sind.

Abrücken von russischem Erdgas käme teuer

Indes wird der Industriesektor 2022 – anders als noch im Jahr davor – keine Konjunkturstütze sein. "Die Industrie leidet unter den hohen Energiepreisen, den verschärften Lieferengpässen und den Unsicherheiten durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine", erklärte Felbermayr. Sie werde im zweiten Quartal in die Rezession stürzen und habe im Gesamtjahr trotz sehr guter Auftragslage bestenfalls Chancen auf ein Nullwachstum. Auch IHS-Ökonom Helmut Hofer geht lediglich von einer Stagnation für den heimischen Produktionssektor aus.

Sollte mit Blick auf Russland nochmals an der Sanktionsschraube gedreht werden müssen, sollte Gas "das Allerletzte sein", wie Felbermayr betonte. Österreich sei derzeit zu rund 80 Prozent von russischem Erdgas abhängig. Längerfristig wäre ein Abrücken davon – hin zu anderen Lieferanten – teuer, gab der Wifo-Chef zu bedenken. "Bekommen wir kein günstiges russisches Gas mehr, sind ganze Industriezweige infrage gestellt." Felbermayr verwies dabei etwa auf die in Oberösterreich besonders stark verankerte Kunststoffindustrie.

Was die Inflation betrifft, die der Russland-Ukraine-Krieg noch zusätzlich befeuert hat, so rechnet der Konjunkturexperte für die kommenden Monate mit einem weiteren Anstieg auf bis zu 7 Prozent und für das Gesamtjahr mit einer durchschnittlichen Rate von 5,8 Prozent. Zu den steigenden Energiepreisen kämen als "nächster Schub" nun die Lebensmittelpreise dazu, sagte Felbermayr. Sein IHS-Kollege Hofer sieht die Inflationsjahresrate bei 5,5 Prozent. Im Februar lag die Teuerung hierzulande bei 5,9 Prozent, das war der höchste Wert seit 28 Jahren.

Für das Jahr 2023 gehen Wifo und IHS zwar von einer gewissen Entspannung an der Preisfront aus. Erwartet wird demnach eine Inflationsrate von 3,2 beziehungsweise 2,3 Prozent. Vor allem das IHS räumt jedoch Aufwärtsrisiken ein.

Wifo-Chef: "Ein Krieg in Europa macht uns alle ärmer"

Den Privatkonsum sieht Felbermayr heuer nach den lockdownbedingten Pausen höher als im Vorjahr. Durch den wegen des Ukraine-Kriegs nochmals beschleunigten Anstieg der Verbraucherpreise werde er jedoch gedämpft, die Menschen in Österreich würden die Teuerung jedenfalls bereits spüren. "Ein Krieg in Europa macht uns alle ärmer, das sehen wir bei den Reallöhnen", so Felbermayr. Die Inflation drücke die Bruttoreallöhne heuer um 2,3 Prozent, was statistisch gesehen der stärkste bisher gemessene Rückgang der Pro-Kopf-Löhne sei. Dass die Nettolöhne nur um 1,1 Prozent fallen, ist, wie Felbermayr erklärt, den Entlastungseffekten der Steuerreform zu verdanken.

Angesichts der erhöhten Inflation rechnet der Leiter des Wifo mit "sehr schwierigen" Lohnverhandlungen im Herbst. In der Elektroindustrie etwa hat die Gewerkschaft vor Kurzem die Forderung nach einem Plus von 6 Prozent angekündigt. Dazu hielt Felbermayr fest: "Es gibt nichts zu verteilen, der Kuchen ist kleiner geworden. Die Unternehmen leiden selber unter den hohen Energiepreisen." In den Lohnverhandlungen sollte daher vielmehr der 2022 bei 3,1 Prozent zu erwartende BIP-Preisdeflator anstelle des Verbraucherpreisindex (VPI) berücksichtigt werden, um die importierte Teuerung beiseitezulassen, wie es bei Wifo und IHS hieß.

Für den Arbeitsmarkt rechnet Felbermayr mit einer Verlangsamung des Beschäftigungsaufbaus. In der Industrie sei indes vermehrt Kurzarbeit zu erwarten. Dass Österreich nach Corona mit einer "Rekordbeschäftigung" in die nächste Krise gehe, wertet der Wifo-Chef als Pluspunkt.