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Was der Richtwert richtet

Von Monika Jonasch

Wirtschaft
Mieten sind immer ein heikles Thema, das System der Richtwertmieten in Österreich wäre verbesserungsfähig, meinen Kritiker seit langem.
© adobe stock / bluedesign

Nach pandemiebedingtem Aufschub 2021 sollen die Richtwertmieten per 1. April um fast sechs Prozent steigen.


Die Richtwertmieten sollen per 1. April steigen, laut Arbeiterkammer (AK) um 5,85 Prozent. In Zeiten allgemein stark steigender Kosten, nicht nur im Bereich Wohnen und Energie, sondern auch bei Lebensmitteln und täglichen Ausgaben, sind Mieterhöhungen generell problematisch. Zudem trifft die Teuerung Haushalte mit niedrigen Einkommen wesentlich stärker, erklärte das gewerkschaftsnahe Momentum Institut zuletzt. Wohnen und Energie machen fast ein Viertel der Ausgaben im untersten Einkommensfünftel aus, rechnete das Institut vor.

Betroffen von der Richtwertmieten-Erhöhung sind laut Michael Klien, Wohnbauexperte beim Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, etwa 240.000 Wohnungen. Das sind etwa 6 Prozent des Gesamtbestandes an Wohnungen in Österreich, schätzt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Hinzu kommen allerdings noch die Gemeindewohnungen, die sich freiwillig am Richtwert orientieren, etwa 113.000 sind es allein in Wien, ergänzt Thomas Ritt, Abteilungsleiter für Kommunalpolitik und Wohnen bei der AK.

Normalerweise erfolgt die Anpassung der Richtwertmieten an die Inflation automatisch alle zwei Jahre, wenn die Teuerung über 3 Prozent liegt. 2021 wurde dies aufgeschoben, um die Mieter in der Corona-Zeit zu entlasten, wodurch heuer ein besonders hoher Sprung ansteht. Die Mieterhöhung wird nun wohl nachgeholt, obwohl sich die Sozialpartner, SPÖ und FPÖ zuletzt für einen erneuten Aufschub aussprachen.

Kreativität bei Zuschlägen

Richtwertmieten gibt es jedoch nur in einem bestimmten Segment der Mietwohnungen, in Altbauwohnungen, die vor Ende des Zweiten Weltkrieges erbaut wurden und nicht größer als 130 Quadratmeter sind.

Zudem orientiert sich der Richtwert an einer sogenannten "Normwohnung", die 1994 definiert wurde. Diese hat zwischen 30 und 130 Quadratmeter und ist "in brauchbarem Zustand". Sie besteht aus "Zimmer, Küche (Kochnische), Vorraum, Klosett und einer dem zeitgemäßen Standard entsprechenden Badegelegenheit". Da diese Normwohnung per Definition vor 1945 errichtet wurde, entspricht sie in der Realität jedoch nicht mehr dem heutigen Standard. Und das öffnet ein breites Feld für kreative Manipulationen beim tatsächlichen Mietzins.

Zwar sollte der Richtwertmietzins den Hauptmietzins begrenzen. Tatsächlich dürfen Vermieter jedoch auf diesen noch eine Vielzahl von Zu- und Abschlägen, etwa für Lage, Ausstattung und Zustand der Wohnung, verrechnen. Diese müssen dem Mieter nicht genau dargelegt werden, was zu einem intransparenten Endergebnis führt. Damit sei das System der Richtwertmieten als Deckel für zu hohe Mieten eigentlich ad absurdum geführt, meinen viele Kritiker.

Die wenigsten Mieter können nämlich in ihrem Mietvertrag erkennen, ob und inwieweit sich ihre tatsächlich bezahlte Miete auf den Richtwertzins bezieht und wo genau Zu- und Abschläge verrechnet werden. Wobei: "Abschläge gibt es de facto nicht", meint AK-Experte Ritt. Ob die bezahlte Miete gerechtfertigt ist oder nicht, kann letztlich nur ein Gericht entscheiden. Dorthin wagen sich aber nur wenige Mieter, besonders wenn ihr Mietvertrag befristet ist, denn: "Dann wird der Mietvertrag oft eben einfach nicht verlängert", so Ritt.

Die AK fordert seit Jahren, die Zuschlagsmöglichkeiten der Vermieter auf die baulichen Kriterien des Hauses zu begrenzen. Art und Höhe der Zu- und Abschläge sollten per Gesetz festgelegt und im Mietvertrag genau angegeben werden, heißt es in einer AK-Studie bereits 2010.

Ruf nach Mietrechtsreform

Immer lauter wird der Ruf nach einer grundlegenden Reform des Mietrechts in Österreich. Eigentlich wird seit 20 Jahren darüber geredet, das Mietrechtsgesetz zu novellieren oder komplett zu erneuern, erklärt Wifo-Experte Klien. Ob eine Reform die Mieten günstiger macht, sei allerdings nicht gesagt, gibt er zu bedenken. Er warnt aber davor, dass die Politik Gebühren aussetzt, denn das würde nur zu großen Steigerungen und zu "einem Rattenschwanz an Problemen" führen. Der Problematik stark steigender Mieten könne besser mit zeitlich befristeten Mietbeihilfen begegnet werden, meint Klien.

Mit großem Interesse beobachtet der Wifo-Experte derzeit die diesbezüglichen Bemühungen in Deutschland, wo Regulierungen von Mietpreisbremse bis Mietpreisdeckel ausprobiert werden. "Es ist nicht so einfach, auch die Investitionsanreize für die Vermieter müssen bedacht werden, sonst wird im Altbau-Bestand unzureichend saniert", meint er.

Weniger problematisch sieht man diesen speziellen Punkt naturgemäß bei der AK. "Die Mieteinnahmen sind in Österreich seit 2008 um 100 Prozent gestiegen, das BIP nur um 30 Prozent. Sanierungen - etwa im Sinne des Klimaschutzes - sollten da schon machbar sein. Und thermische Sanierungen werden ohnehin auf die Mieter abgewälzt", kommentiert Thomas Ritt dies daher trocken.