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Ein Pickerl gegen die Energiekrise

Von Christoph Rella

Wirtschaft

Österreichs Regierung beschloss in der Ölkrise 1973/74 zahlreiche Maßnahmen. Nicht jede Idee erwies sich als sinnvoll.


Als die SPÖ-Regierung im Jänner 1974 in der "Krainerhütte" im Helenental zur Klausur zusammentrat, galt er bereits als der wichtigste Minister des Landes: Handelsminister Josef Staribacher. Er verkörperte jene Stellung, die in Pandemiezeiten etwa dem Gesundheitsminister zukommt. Und so waren auch in dem mondänen Hotel, in welchem schon Kronprinz Rudolf, Fürst Hans-Adam von Liechtenstein oder der persische Schah diniert hatten, alle Blicke auf den 52-Jährigen gerichtet. Dabei waren die Weihen, die er hier im Wienerwald von seiner Partei erhalten sollte, durchaus hohe. Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte beschlossen, den "Pepi" zum "Superminister" zu machen. Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie werde, ließ die SPÖ verlauten, einen "Energieplan" ausarbeiten und hierfür mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet. Die alleinregierende SPÖ konnte sich das leisten, außerdem war angesichts des großen Schadens, den die internationale Ölkrise in Österreich bereits angerichtet hatte, Eile geboten.

Ausgelöst wurde die außerordentliche Rohstoff- und Teuerungskrise von 1973/74 durch einen Angriffskrieg der vereinten ägyptischen und syrischen Armeen im Nahen Osten. Ihr Ziel war Israel, das erst sechs Jahre zuvor weite arabische Gebiete, darunter das Westjordanland, Jerusalem und die Golan-Höhen, erobert hatte und nach wie vor (völkerrechtswidrig) besetzt hielt. Als der erhoffte militärische Erfolg in dem Jom-Kippur-Krieg oder Oktoberkrieg genannten Konflikt ausblieb, drehten die arabischen OPEC-Staaten den mit Israel verbündeten westlichen Ländern einfach den Ölhahn zu. Das heißt, eigentlich drosselten sie nur die tägliche Fördermenge, doch reichte dies aus, um die Preise für Erdöl und damit für andere Rohstoffe und Produkte explodieren zu lassen. Hinzu kam die Inflation.

Vor den Konsequenzen nicht gefeit war auch das neutrale Österreich. Die Erdölvorräte in Westeuropa schmolzen dahin und die Benzin- und Heizölpreise kletterten in ungeahnte Höhen. Von einem Tag auf den anderen kostete eine Tankfüllung mehr als 100 Schilling. Als die Preisschilder an den Zapfsäulen diese psychologische Marke übersprangen, kam es zu Panikkäufen, da niemand wusste, ob der Sprit in wenigen Tagen nicht bereits das Doppelte kosten würde. Benzinkanister waren plötzlich Mangelware, manche Zeitgenossen sollen sogar, wie einige Zeitungen berichteten, vorsorglich die Badewanne zu Hause mit dem begehrten Mineralöl angefüllt haben. Politiker, Ökonomen und Wissenschaftler wussten keinen Rat und verharrten wochenlang in Schockstarre.

Ging es nach der um ihre Popularität bangende SPÖ, sollte Handelsminister Staribacher also die Misere lösen. Tatsächlich waren die Voraussetzungen, unter welchen der Gewerkschafter und ehemalige Widerstandskämpfer im Jänner 1974 zu Werke ging, durchaus komfortabel. Die Alleinregierung der Sozialdemokraten, aber auch die konstruktive Opposition von ÖVP und FPÖ ermöglichten es dem Mann, innerhalb weniger Wochen derart einschneidende Maßnahmen zu setzen, die heute so wohl undenkbar wären. Ohne lange Verhandlungen, ohne Streiterei, ohne Buhlen um Zustimmung der Opposition. Staribachers Instrument des Handelns: die Verordnung.

Autofreie Tage

Die erste Maßnahme kam schnell. Schon am 14. Jänner 1974 erließ das Handelsministerium die Verordnung über den sogenannten "autofreien Tag" für Pkw-Nutzer. Jeder Lenker war demnach verpflichtet, das Auto zumindest an einem Tag der Woche stehen zu lassen und dies mit eigens ausgegebenen (oder auch selbst gestalteten) Tages-Pickerln an der Windschutzscheibe zu dokumentieren. Aus irgendeinem Grund war damals das "DI", der Dienstag, besonders beliebt. Allein in Wien wählten 29,4 Prozent diesen Wochentag. Noch begehrter war freilich das Pickerl mit der Aufschrift "S" - wie "Sondergenehmigung" -, deren Besitzer von der Regelung ausgenommen waren.

Die Privilegierten-Liste war lang: Lastwagen, Arbeitsmaschinen, Taxis und Zweiräder durften ebenso weiter täglich benutzt werden wie Einsatzfahrzeuge oder Autos von Post, Bahn, Bundesheer und Diplomaten. Pendler auf dem Land wiederum mussten eine Bestätigung des Arbeitgebers beibringen, die belegte, dass das Erreichen der Arbeitsstätte mit einem öffentlichen Verkehrsmittel unmöglich sei. Gratis war das nicht, 45 Schilling Verwaltungsabgabe inklusive Stempelmarke kostete die Befreiung vom autofreien Tag. Findige Unternehmen wussten aus der Situation insofern Kapital zu schlagen, als sie den Kunden werbewirksam Pickerln aus Eigenproduktion anboten - inklusive Firmenlogo, versteht sich.

Mehr Zeit fürs Volk

Es war nicht die langlebigste Idee zum Energiesparen, die Staribacher in jenen Tagen umsetzte. Nach fünf Wochen war der Spuk, der dem Handelsminister immerhin den zweifelhaften Spitznamen "Pickerl-Pepi" einbrachte, auch schon wieder vorbei. In dieselbe Kategorie fallen im Übrigen die bereits im November 1973 verfügte Begrenzung der Geschwindigkeit im Straßenverkehr auf 100 Stundenkilometer - sie wurde im März 1974 abgeschafft - oder Kreiskys kurioser Einfall, den überheizten Büros den Kampf anzusagen, indem er verfügte, dass in öffentlichen Gebäuden nicht mehr als 20 Grad herrschen dürften. Kaum eine Aussicht auf Befolgung hatte zudem der allseits belächelte Appell des Kanzlers an die österreichischen Männer, sich nass zu rasieren und so Strom zu sparen. Woraufhin die ÖVP nicht ohne Sarkasmus vorschlug, Kreisky möge gleich eine Barttragepflicht einführen.

Während diese Ideen kaum Nutzen brachten und rasch wieder zurückgezogen wurden, erwiesen sich zwei weitere Maßnahmen aus Staribachers Zauberkiste als langlebig: die Einführung der Energieferien und der Sommerzeit. Um Heizöl, Strom und Wasser zu sparen, wurden ab Februar 1974 alle österreichischen Schulen für eine Woche geschlossen. Damit gelang der SPÖ tatsächlich die Quadratur des Kreises: Nicht nur versprach die Maßnahme große Ressourceneinsparungen, auch war sie ungemein populär. Die Schülerinnen und Schüler jubelten, ebenso die Schulwarte und - die Hoteliers. Die heimische Tourismusbranche dankt es den Sozialdemokraten bis heute, dass die Betten und Skipisten in den Wintersportorten im Februar gut gefüllt sind.

Ob die Energieferien den Titel heute noch verdienen, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Man nehme etwa Wiens 670 Schulen als Beispiel. Zwar werde hier, wie die zuständige Magistratsabteilung und die Wiener Linien vorrechnen, durch die Schulschließungen viel Energie gespart, allerdings schlage sich diese wieder an anderer Stelle zu Buche. Was an den Schulen und Universitäten an Strom und Gas nicht verbraucht wird, werde stattdessen in den Haushalten und Tourismusgebieten benötigt. Von einer Einsparung zu sprechen, sei also ein Irrtum. Ähnliches gilt im Übrigen für die Gastronomie. Zwar verzeichnen die Wirte in der Stadt während der Ferien sinkende Besucherzahlen, allerdings zahlt sich ein Zurückfahren oder Zusperren nicht aus.

Während die Energieferien damals eine Neuheit darstellten, war das bei der Sommerzeit nicht der Fall. Schon im Ersten Weltkrieg, 1917, hatte Österreich die Uhren um eine Stunde zurückgestellt, um so unter Ausnutzung des Tageslichts Energie zu sparen. Die Basis für die Verordnung, mit der hierzulande die Sommerzeit neuerlich eingeführt wurde, war das sogenannte Zeitzählungsgesetz von 1976. Der Beschluss erfolgte in Abstimmung mit anderen europäischen Staaten, wobei festgelegt wurde, dass die Sommerzeit zwischen dem 1. März und dem 31. Oktober zu liegen und an einem Wochenende zu beginnen und zu enden habe. Seither wurde und wird die Sommerzeitregelung auf nationaler wie auf europäischer Ebene immer wieder in Frage gestellt. Eine EU-weite Abstimmung ergab unlängst eine klare Ablehnung, allerdings wurde die Entscheidung darüber vertagt.

Hannes Androsch in Nöten

So umfangreich und folgenschwer die Verordnungen des Handelsministers Staribacher waren, so gering war ihr Effekt auf die unmittelbaren Folgen der Ölkrise von 1973. Diese hatte ein anderer Minister zu stemmen: Hannes Androsch. Schon die Monate vor der Krise waren für den Finanzminister nicht leicht gewesen. Die Inflation stieg, Lohnerhöhungen, aber auch Tarif- und Gebührenanhebungen trieben die Kosten in die Höhe und setzten die Unternehmensgewinne unter Druck. Dazu gesellten sich die Mehrwertsteuer ab 1. Jänner 1973 und eine "Investitionssteuer", gegen die die ÖVP Sturm lief. Mit Ausbruch der Ölkrise stand Androsch wegen der dominierenden Stagflation im Feuer: Das Wachstum stagnierte, Arbeitslosigkeit und Preise nahmen erneut zu. Die Inflation erreichte 1974 einen Höchstwert von 9,5 Prozent.

Gelöst wurde das Problem durch das Öffnen des Geldhahns. Die Regierung versuchte, den Einbruch der Konjunktur in klassisch keynesianischer Manier zu bekämpfen, und zwar durch Schulden, um so öffentliche Aufträge an die Wirtschaft zu finanzieren und der Wirtschaft einen Schub zu verleihen, mit dem Ziel: Vollbeschäftigung. Ab 1975 erwirtschaftete der Staat keinen Budgetüberschuss mehr - 43 Jahre lang. 2018 schloss man das Haushaltsjahr erstmals wieder mit einem Plus ab. Es war nicht von langer Dauer.