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Gas bringt die Order ins Wanken

Von Marina Delcheva

Wirtschaft
© adobe stock / desico

Der Gaspreis treibt auch den Preis für Ökostrom in die Höhe. Die EU-Kommission hat den dafür zuständigen Mechanismus bewerten lassen.


Wer sich in Österreich bewusst für einen Ökostrom-Anbieter entschieden hat, muss nun feststellen, dass auch hier die Stromrechnung deutlich teurer wird - analog zur Gasrechnung. Laut E-Control kostete eine Megawattsunde Ökostrom im ersten Quartal dieses Jahres 257 Euro. Ende 2021 waren es noch 126,56 Euro. Obwohl es bei Wasserkraft, Solar- und Windenergie eigentlich keine Engpässe gibt, deren Verfügbarkeit nicht eingeschränkt ist, und der Krieg in der Ukraine auch keine Auswirkungen auf Verfügbarkeit und Produktion hat.

Die Preisentwicklung hängt mit der sogenannten Merit Order zusammen. Also das Regelwerk, nach dem Strom an den internationalen Strombörsen gehandelt wird, und die Reihenfolge, in der es ins Stromnetz gespeist wird. Zuerst wird Strom aus Kraftwerken mit den niedrigsten Grenzkosten ins Netz gespeist, zum Beispiel Windkraft. Dann werden nach und nach Kraftwerke mit höhren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. Der Strompreis an der Börse wird durch das letzte, teuerste Kraftwerk, das zugeschaltet wird, bestimmt.

In Österreich stammen derzeit rund 75 bis 80 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. "Rund 15 Prozent kommen aber aus Gaskraftwerken", erklärt Christian Zwittnig, Sprecher von Österreichs Energiewirtschaft gegenüber der "Wiener Zeitung".

Österreich hat keine Atomkraftwerke und auch keine Kohlekraftwerke mehr. Und weil der Energiebedarf (noch) nicht nur aus Ökostrom gedeckt werden kann, werden eben immer wieder Gaskraftwerke zugeschaltet. Gas hat den Vorteil, dass es sehr schnell abrufbar ist und bei Engpässen rasch das Netz stabilisieren kann, damit es nicht zu Stromausfällen kommt. Bei den aktuell rekordverdächtigen Gaspreisen, treibt das aber die Strompreise insgesamt massiv in die Höhe (siehe Grafik).

Hilfspakete gegen Gaskrise

Die "European Union Agency for the Cooperation of Energy Regulators" (ACER) hat in ihrer aktuellen Strommarktanalyse für die EU-Kommission auch das aktuelle Strommarktmodell und die Auswirkungen der Gaspreiskrise unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: Am bestehenden Marktmodell sollte grundsätzlich festgehalten werden. Allerdings gerät dieses durch die aktuelle Gaspreiskrise gehörig ins Wanken.

Gegen die stark gestiegenen Preise sollten die EU-Mitgliedsstaaten mit fiskalischen, treffsicheren Maßnahmen bei besonders betroffenen Gruppen gegensteuern, etwa durch Zahlungen an Haushalte. Nicht aber unbedingt das Marktmodell ändern.

Erneuerbare gefördert

Der europäische Strommarkt ist seit gut 20 Jahren liberalisiert. Für heimische Verbraucher bedeutet das, dass sie aus einer Vielzahl von Energieanbietern und Tarifen auswählen können. Laut E-Control hat diese Liberalisierung den Konsumentinnen und Konsumenten jährlich 150 Millionen Euro an Einsparungen gebracht.

In der Energiewirtschaft will man trotz der explodierenden Gaspreise am bestehenden Marktmodell und der Merit Order festhalten. "Das Problem ist, dass es auf den ersten Blick nicht logisch ist, warum dieses System gut funktioniert", sagt Zwittnig. Es habe aber in den vergangenen Jahren deutlich zur Versorgungssicherheit, Dekarbonisierung und günstige Preise beigetragen. Weil zuerst Kraftwerke mit den niedrigsten Grenzkosten ins Netz eingespeist werden, kommen immer vorrangig Wind-, Wasser- und Solaranlagen zum Zug. Das wiederum hat große Investitionen in Richtung dieser Technologien gelenkt.

Zudem war der Gaspreis in den vergangenen zehn Jahren, bis zum Sommer 2021, meist sehr günstig. Im ersten Corona-Jahr 2020 kostete eine Megawattstunde Gas phasenweise 10 bis 20 Euro. Heute sind es mehr als zehn Mal so viel. Auch damals war Gas die zuletzt zugeschaltete Technologie und das damals billige russische Gas hat den Strompreis insgesamt sogar deutlich nach unten gedrückt.

Seit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach den Corona-Lockdowns im vergangenen Sommer und dem erhöhten Energiebedarf und vor allem seit den Unsicherheiten rund um einen möglichen Gaslieferstopp aus Russland wegen des Kriegs ist aber alles anders. Der eigentlich effiziente Marktmechanismus ist ins Wanken geraten und mit ihm auch die Strompreise. "Das System ist an sich sehr gut, aber ist nicht auf die aktuelle Krise ausgelegt", meint Zwittnig. Zu diesem Schluss kommt auch die ACER.

Nun zerbrechen sich die EU-Regierungen, Interessensvertretungen und auch die EU-Kommission den Kopf darüber, mit welchen Maßnahmen man dieser Preiskrise am besten begegnen soll. Unter anderem wird darüber diskutiert, Gas zumindest kurzzeitig aus der Merit Order herauszunehmen, damit die zuletzt zugeschalteten Gaskraftwerke nicht den Strompreis so stark in die Höhe treiben können.

Preishoch an der Energiebörse

Das Problem dabei ist, dass das nur dann spürbare Effekte hätte, wenn das EU-weit passiert, meint Zwittnig. Zudem hätte das nicht kalkulierbare Folgen, auch für die Versorgungssicherheit. Von einer gänzlichen Umstellung des Strommarktmodells raten Ökonomen derzeit auch in Hinblick auf die Dekarbonisierung des Sektors ab. Eine Studie der Austrian Energy Agency hat sich angesehen, welche Folgen ein Umstieg vom derzeitigen "Pay as cleared"-Modell zu einem "Pay as bid"-Modell (siehe Grafik) hätte. Sie kommt zum Schluss, dass der Strompreis vor allem in Nicht-Krisenzeiten höher wäre, weil Produzenten jene Preise vergütet bekommen, die sie geboten haben. Zudem würden zum Beispiel Windkraftanlagen später oder gar nicht ins Netz gespeist werden.

Damit übrigens exakt so viel Strom ins Netz gespeist wird, wie von den Kunden nachgefragt wird, müssen Stromanbieter lang- und kurzfristig Strom kaufen. Sie sichern sich also für ein oder zwei Jahre eine bestimmte Basismenge an Energie zu. Den Rest kaufen sie täglich an Strombörse zu. Und eben dort sind die Preise zuletzt auch massiv in die Höhe geschossen.