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Länder sollen ihre Versorger zur Kasse bitten

Von Walter Hämmerle

Politik
© buero butter / Christoph Liebentritt

Finanzminister Brunner sieht Vorgehen bei Verbund als Vorbild und will Zeitplan für CO2-Bepreisung hinterfragen.


Die Regierung steht unter massivem Druck. Zum ungebrochenen Höhenflug der Inflation - für Juni hat Eurostat 8,6 Prozent errechnet, der höchste Wert seit fast 50 Jahren - kommen die Sorgen von immer mehr Menschen, die explodierenden Energiekosten nicht mehr berappen zu können. Zudem drohen Versorgungsengpässe im Winter, wenn Russland seine Gaslieferungen weiter reduziert. Vor diesem geballten Krisen-Hintergrund sprach die "Wiener Zeitung" mit Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP).

"Wiener Zeitung": Der Strompreisdeckel ist also fix?Magnus Brunner: Diese Diskussion führen wir gerade, und ja, ich halte eine Maßnahme zur Senkung der Kosten für sinnvoll. Aber man muss, wenn man seriös ist, angesichts der vielen Begriffe genau unterscheiden: Wir prüfen eine Begrenzung der Rechnung, das ist kein nationaler Preisdeckel. Entscheidend ist, dass die Anreize zum Energiesparen bleiben. An den Details arbeiten wir nun mit den Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts, den Unternehmen und dem Energieministerium, weil es einige offene Fragen gibt, etwa wie werden jene behandelt, die ein gut gedämmtes Haus haben, eine Wärmepumpe betreiben oder selbst Strom über Photovoltaik produzieren.

Wenn auf dieser Ebene differenziert werden soll, wird eine einfache und schnelle Umsetzung schwierig.

Ziel ist eine unbürokratische, effiziente Abwicklung, die in der Heizperiode wirkt - und dass wir eben nicht in einen Markt eingreifen.

Sollen die Haushalte einen Gutschein bekommen oder die Versorger einen Grundverbrauch gratis liefern? Und falls Letzteres, wie werden die Unternehmen entschädigt: Ersetzt der Staat Kosten oder entgangenen Gewinn?

Genau diese Fragen müssen wir jetzt seriös klären.

Wo liegt Ihre Schmerzgrenze bei der zusätzlichen Budgetentlastung?

Die Regierung hat bereits zur Abfederung der Teuerung extrem viel Geld in die Hand genommen - vier Milliarden Euro in einem ersten Paket, dann noch einmal 28 Milliarden, die auch das Aus für die kalte Progression umfassen. Auf die Kosten für den Rechnungsdeckel zu achten, ist deshalb notwendig: Wie verändern sich diese, wenn es nur um Strom geht, wie, wenn Gas inkludiert wird? Das prüfen wir.

Die Regierung erscheint als Getriebene, die erst unter dem Druck ins Handeln kommt.

Dieser Eindruck besteht, das muss ich akzeptieren. In der Sache selbst kann ich den Vorwurf aber nicht nachvollziehen: Wir haben bereits in Jänner und dann noch einmal im März Pakete vorgelegt, die die Menschen schnell und wirksam entlasten. Österreichs Regierung war hier, sowohl was das Volumen als auch das Tempo betrifft, schneller als die meisten anderen Staaten, auch, was die parlamentarische Beschlussfassung angeht. Andere waren vielleicht beim Ankündigen schneller, aber beginnen wie etwa Deutschland erst jetzt mit der Umsetzung. Die Realität entspricht also nicht der öffentlichen Gefühlslage.

Trotzdem hat sich Kanzler Karl Nehammer zuerst gegen einen Strompreisdeckel ausgesprochen.

Ja, weil wir nicht in einen Markt eingreifen wollen. In der Debatte wird wild mit allen Begriffen herumgeworfen, es wird nicht zwischen nationalen und europäischen Maßnahmen unterschieden, dabei ist das entscheidend. Gegen einen Rechnungsdeckel, wie er jetzt erarbeitet wird, waren wir nie. Dieser Vorschlag ist auch erst seit kurzem auf dem Tapet.

Wie lange soll der Rechnungsdeckel gelten, nur für die kommende Heizperiode oder länger?

Man muss sehen, wie sich die Situation weiter entwickelt.

Der teilstaatliche Verbund stimmte, nachdem der Kanzler mit der Forderung einer Gewinnbesteuerung für ein Absacken der Aktie gesorgt hat, einer Sonderdividende und Hilfen für Haushaltskunden zu. Was ist mit den anderen Energieversorgern, die teils der öffentlichen Hand gehören?

Im Einflussbereich des Bundes steht nur der Verbund, und ich bin froh, dass hier eine gute Lösung gefunden wurde. Was die anderen Energieversorgen angeht, die sich im Einflussbereich der Länder befinden, sind nicht alle gleich aufgestellt, manche müssen mehr, andere weniger Strom zukaufen. Hier muss man also differenzieren. Grundsätzlich plädiere ich für den Fall von Übergewinnen, dass die Länder vergleichbare Maßnahmen nach dem Vorbild des Verbunds setzen. Strafsteuern kann ich nichts abgewinnen.

Sie haben Anfang April eingemahnt, die Sanktionen zu Ende zu denken: Ist das ausreichend geschehen?

Ja, davon bin ich überzeugt. Für Österreich war immer entscheidend, dass es aufgrund unserer Abhängigkeit zu keinem Gasboykott der EU gegen Russland kommt.

Allerdings dreht jetzt eben Moskau den Gashahn zu.

Diese Gefahr besteht, und wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Folgen so gering wie möglich zu halten, unter anderem, indem wir Gas von alternativen Produzenten bekommen. Hier hat die OMV mit dem Erwerb von zusätzlichen Lieferkapazitäten einen wichtigen Beitrag geleistet.

Entscheidend beim Kampf gegen die Rekordinflation ist es, die Erwartungshaltung der Menschen zu dämpfen. Welche Möglichkeiten hat hier die Regierung, was soll die EZB tun?

Diese Frage ist entscheidend, weil hier so viel Psychologie dabei ist. Grundsätzlich ist die EZB für Preisstabilität zuständig. Das kann sie, indem sie etwa ihre Anleihenkäufe reduziert oder die Zinsen schneller erhöht. Was die Anleihen angeht, sollte die EZB konsequenter und ohne Unterscheidung zwischen EU-Staaten vorgehen. Schwieriger ist das bei den Zinsen, weil einige stark verschuldete Staaten in Schieflage geraten könnten. Was wir als Regierung machen können, tun wir: Neben den zahlreichen Einzelmaßnahmen sind das vor allem die strukturellen Reformen im Steuersystem und die Signale, die wir den Sozialpartnern für die Kollektivverhandlungen geben, also die Senkung der Lohnnebenkosten und die Förderung von Prämien. Es gilt, eine Lohn-Preis-Spirale oder Preis-Lohn-Spirale, wie auch immer man sie nennen will, zu verhindern.

Die Rufe nach einer neuerlichen Verschiebung der CO2-Bepreisung verstummen nicht. Ihre Position?

Die hohen Energiepreise sind eine Herausforderung. Ich persönlich sehe das differenziert, kann die Sorgen nachvollziehen. Grundsätzlich sind die Auszahlung des regionalen Klimabonus, des Anti-Teuerungsbonus und die Einführung der CO2-Bepreisung ein Paket, aber wir sind jetzt in einer neuen Lage und wer weiß, wie es im Herbst aussieht. Ich stehe zur Einführung der Bepreisung, aber in so einer Lage darf ständig hinterfragt werden.

Über wie viel politisches Kapital verfügt die Koalition noch? Die ÖVP liegt in Umfragen weit hinter der SPÖ, gemeinsam kommt die Regierung auf 35 Prozent, eine Mehrheit will Neuwahlen.

Gerade in dieser Krise ist es unsere Aufgabe, für die Menschen zu arbeiten. Dies seriös und sachlich zu tun, ist der einzige Weg, wie wir aus der Vertrauenskrise herauskommen. Das tun wir täglich 24 Stunden.