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Goldgräberstimmung bei Lagerlogistik

Von Monika Jonasch

Wirtschaft
Lagerflächen sind extrem gefragt und werden immer teurer.
© adobestock / gopixa

Die Pandemie hat die Grenzen der Globalisierung aufgezeigt. Logistik-Firmen bauen ihre Lagerkapazitäten stark aus.


Lange galten Lagerflächen als Luxus, Lagerung als teuer und vor allem Maschinenbau und Kfz-Industrie setzten massiv auf eng verzahnte internationale Fertigungsprozesse - sogenannte "Just-In-Time-Produktion".

Aber dann kam die Pandemie und die internationalen Lieferketten wurden unzuverlässiger. Zwar traf es augenscheinlich nur wenige Branchen, die prominenteste war sicher die Autoindustrie. Dennoch machte man sich vielerorts Gedanken, wie das Risiko von Lieferausfällen künftig einzudämmen wären.

Auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" bestätigt Krisztian Abzalov, National Product Manager Contract Logistics bei Cargo Partners, die Beobachtung, dass Lagerflächen derzeit sehr gefragt sind: "Tatsächlich werden in ganz Österreich derzeit massiv Logistikkapazitäten aufgebaut, vor allem in Ostösterreich. Der Flughafen Wien bekommt ein 70.000 m² großes Logistikzentrum, auch in den umliegenden Gemeinden gibt es zahlreiche neue Bauprojekte in Reaktion auf die drastisch gestiegene Nachfrage nach Logistikflächen."

Sogar Lagerflächen, die man früher als alt oder baufällig eingestuft hätte, seien nun voll ausgelastet. Die Nachfrage übersteige derzeit bei weitem die Kapazitäten des Markts, erklärt er. Cargo Partners vergrößerte 2021 seine Lagerflächen weltweit auf mehr als 280.000m², in Deutschland, Kroatien, Slowenien, China und Thailand hat man in neue Lagerkapazitäten investiert. Dafür wurden 500 neue Mitarbeiter angestellt, aktuell sind 3.900 Personen in 40 Ländern für das Unternehmen mit Hauptsitz in Fischamend, nahe des Flughafens Wien Schwechat, tätig.

"Wahre Krisengewinner"

Immobilienberater CBRE veröffentlichte dieser Tage eine Studie, wonach im ersten Halbjahr 2022 in und um Wien mit 10.000 Quadratmetern etwa doppelt so viel Logistikflächen vermietet wurden wie im Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig sei der Leerstand mit 0,4 Prozent auf einem historischen Tiefststand. "Viele Unternehmen strukturieren gerade ihr Geschäft und ihre Lieferketten um", so die Studie.

Sie prognostiziert zudem, dass die Fertigstellung neuer Lagerflächen in den kommenden Jahren Rekordhöhe erreichen werde. Allein an den drei Hotspots um Wien, Graz und Linz sollen bis 2024 1,4 Millionen Quadratmeter hinzukommen, was einem Zuwachs von 20 Prozent entspricht.

Logistikimmobilien gehören zu den "wahren Krisengewinnern", konstatiert das Unternehmen in seinem "Logistikmarktbericht 2022". Weiter heißt es dort: "In Österreich ist dieser Effekt besonders spürbar. Internationale Entwickler haben den Markt für sich entdeckt und entwickeln mittlerweile rein spekulativ." Der Trend gehe von Eigentum zu Mietkapazitäten, wobei nicht allein die Pandemie, sondern auch das wachsende Volumen des Online-Handels die gestiegene Nachfrage auslöse.

"Peitschenschlag-Effekt"

Die Goldgräberstimmung am heimischen Logistikmarkt könnte allerdings in Zukunft auch ins Gegenteil umschlagen. So warnt Wifo-Ökonom Werner Hölzl gegenüber der WZ vor leeren - und damit umso teureren - Lagern, wenn der Boom sich dann wieder abschwächt.

"Einige Beobachter rechnen mit einem ‚Peitschenschlag-Effekt‘, das heißt, aufgrund der großen Nachfrage wird immer mehr Logistikfläche produziert, bis eines Tages die Nachfrage plötzlich sinkt und es zu einem Überangebot kommt. Wann dieser Punkt erreicht sein wird, ist schwer einzuschätzen", erläutert auch Cargo-Partners-Logistikspezialist Abzalov mit Hinweis auf Unsicherheitsfaktoren von Corona bis Ukraine-Krieg.

Mieten steigen

"Die Immobilienpreise sind jedenfalls gestiegen, was sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ergibt. Hinzu kommen Faktoren wie höhere Mietkosten, Fachkräftemangel, hohe Baukosten und gestiegene Materialkosten. Auch die Betriebskosten für die Bewirtschaftung eines Lagers sind aufgrund der höheren Gas- bzw. Energiepreise gestiegen. Das spürt natürlich auch der Kunde und am Ende des Tages leider auch der Konsument", beschreibt Abzalov die Situation am Markt.

Von den höheren Preisen für Lagerlogistik könne man jedenfalls nicht großartig profitieren, erklärt er dann: "Die Margen sind größtenteils gleichgeblieben oder sogar gesunken. Erhöhte Preise seitens der Carrier und Logistikdienstleister sind in erster Linie durch die volatilen Lieferketten und dadurch entstandenen Mehrkosten bedingt."

Kosten steigen

Wifo-Ökonom Hölzl weist daraufhin, dass auch der Bauboom im Lagerflächen-Markt durch Lieferengpässe, steigende Kosten in der Bauwirtschaft generell und bei Stahl im Besonderen, ausgebremst werde. "In den letzten eineinhalb Jahren sind die Baukosten massiv gestiegen, errichtet man jetzt ein neues Lager, ist das also teuer. Damit sich das rechnet, müsste der aktuelle Boom zehn Jahre anhalten."

Verstärkte Lagerhaltung sei zudem nicht das einzige Mittel, um die Lieferengpässe auszubalancieren, gibt er zu bedenken. Betroffen seien hier eher kleinere Unternehmen, denn Großunternehmen würden die Problematik durch ihr Verhandlungsgewicht oft an ihre Zulieferer auslagern. Noch sehe die Industrie in einem Mehr an Lagerflächen keinen Wettbewerbsvorteil, betont er. Es sei vielmehr so, dass man statt reiner Just-In-Time-Produktion nun für etwa eine Woche die nötigen Teile bevorratet.

Aber welches sind nun jene Branchen, die besonders auf Lagerflächen angewiesen sind, wollen wir vom Logistiker Abzalov wissen. "Dieser Trend zieht sich durch alle Branchen, von einfachen Lagerflächen bis hin zu komplexen Anfragen wie z.B. Lagerung bei minus 70°C für Impfstoffe. Im Maschinenbau sind wir vor allem in der Ersatzteillogistik aktiv und sehen, dass hier ganz klar Bestände aufgebaut werden."

Gehe es um die Versorgungssicherheit, hätten Betriebe, die in Österreich produzieren, einen klaren Vorteil gegenüber jenen, die von der Produktion in China abhängig sind, meint er.

"Aber auch erstere bauen ihre Lagerbestände aus, denn niemand ist vor Corona gefeit. Wenn Mitarbeiter ausfallen, sinkt die Produktionskapazität. Höhere Lagerbestände bieten hier Sicherheit", so Abzalov von Cargo Partners.

Lager für Lebensmittel

Nachgefragt bei Österreichs großen Lebensmittelversorgern, hört man eher Kalmierendes: "Globale Lieferketten gibt es bei Spar nur sehr bedingt. Der überwiegende Teil des Sortiments stammt aus Österreich oder den umliegenden Ländern" heißt es da etwa.

"Wir bauen laufend die Logistikkapazitäten aus. Derzeit wird die vierte Erweiterung des Zentrallagers Wels in Betrieb genommen und das Regionallager Graz erweitert", wird dann allerdings hinzugefügt. Durch langfristige Logistikplanung habe sich die Supermarkt-Kette die notwendigen Flächen bereits vor Jahren gesichert, wird betont. "Kein Unternehmen im Lebensmittelbereich produziert gern "auf Lager" erklärt man dann. Ziel im Lebensmittelhandel sei es generell, so wenig wie möglich zu lagern, insbesondere verderbliche Ware werde sofort verteilt. Nur für Grundnahrungsmittel gebe es größere Lagerbestände im Land.

"Lidl ist in den Bereichen Logistik und Lagerflächen sowohl national als auch international sehr gut aufgestellt - und das nicht erst seit der Pandemie. Auch wir passen unsere Logistikzentren an den gestiegenen Bedarf an und erweitern, wo möglich, unsere Lagerflächen", erklärt die Konkurrenz von Lidl.

Beide Lebensmittel-Konzerne betonen, dass die Versorgungssicherheit auf jeden Fall gewährleistet sei, wie man auch bereits in den Lockdowns gesehen hätte.

Trends und Prognose

"Der Trend geht zunehmend in Richtung regionale Lagerung nahe am Kunden, statt Waren quer durch die Welt zu transportieren", hat man bei Cargo Partners beobachtet. Ob sich dies auszahlen werde, sei "seit jeher eine Kosten-Nutzen-Frage", meint Krisztian Abzalov pragmatisch.

Auch wenn die Analysten von Price Waterhouse Coopers zuletzt gar Trends zur Deglobalisierung, insbesondere im Hinblick auf China, orteten, hält es Wifo-Ökonom Hölzl dennoch für eher unwahrscheinlich, dass "die Globalisierung komplett zurückgedreht wird". Außer bei Microchips sehe man noch keine großen Bewegungen. Zudem betont er die auch in diesem Zusammenhang nach wie vor relevante Kostenfrage sowie die Produktionskapazitäten, die - etwa bei Photovoltaik - in China deutlich höher seien als in Europa.