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Land der Dämme

Von Florian Graber

Wirtschaft
Österreich ist aufgrund seiner Landschaft mit großem Potenzial für die Wasserkraft gesegnet. Wie stark das genutzt werden soll, wird regelmäßig zum heiklen Politikum.
© getty images / Westend61

Wasserkraft hat viel Potenzial. Der Klimawandel und die Energiekrise bringen neue Impulse, aber auch neue Kritik.


Das Kraftwerk macht einen friedlichen Eindruck. Einige Fußgänger und Radfahrer queren hier die Donau entlang der massiven Staumauer. Die Ein- und Ausgänge liegen etwas verborgen hinter der Vegetation am Ufer. Aber Zäune und Hinweisschilder machen klar, dass es sich hier nicht um öffentlichen Raum handelt. Es ist fast unheimlich ruhig. Schwer lässt sich erahnen, dass im Inneren des Kraftwerks mehrere hunderttausend Liter Wasser pro Sekunde auf jede der massiven Turbinen - neun Stück insgesamt - stürzen und diese zusammen mehr als eine Viertelmillion Haushalte mit Strom versorgen können. Damit ist das Laufkraftwerk Greifenstein nordwestlich von Wien das zweitstärkste seiner Art entlang der Donau, die auf ihrem österreichischen Abschnitt mit etwa 350 Kilometer Länge zehn solcher Anlagen zählt. Samt Staumauern, Schleusen, Wehren und kilometerlangen Stauräumen.

Die Donaukraftwerke werden vom börsennotierten Stromkonzern Verbund AG betrieben, an dem die Republik Österreich einen Mehrheitsanteil von 51 Prozent hält. Insgesamt tragen sie etwa ein Fünftel der gesamten heimischen Stromproduktion bei, was die Donau zu einem der wichtigsten Energielieferanten des Landes macht. Überhaupt hat die Wasserkraft einen enormen Stellenwert in Österreich: 2020 machten Lauf- und Speicherkraftwerke - darunter rund 100 große und tausende kleinere Kraftwerke - fast zwei Drittel der gesamten Stromerzeugung im Inland aus, weit vor thermischen Anlangen, die etwa mit Gas oder Kohle betrieben werden (circa 25 Prozent), oder anderen erneuerbaren Quellen wie Windenergie und Photovoltaik (rund 12 Prozent), so ein Bericht des Energiemarkt-Regulators E-Control.

Weiterer Ausbau bis 2030

Und geht es nach der Bundesregierung, soll die Wasserkraft auch weiter ausgebaut werden. Das Ziel lautet, den Strombedarf bis 2030 vollständig mit erneuerbarer Energie zu decken, und dazu werden etwa fünf Terawattstunden (TWh) an zusätzlichen Wasserkraft-Kapazitäten benötigt. Gegenüber dem Jahr 2020 wäre das ein Zuwachs von rund elf Prozent. Das Gros des Erneuerbaren-Ausbaus wird laut den Regierungsplänen aber von anderen Technologien kommen. So soll etwa die Solarenergie mit zusätzlich elf TWh am stärksten forciert werden, während beim Wind zehn TWh dazukommen sollen. "Wir werden alle verfügbaren Technologien brauchen, um die Ziele zu erreichen. Das Ausbau-Potenzial bei der Wasserkraft ist in Österreich geringer als bei anderen Erneuerbaren, weil der Bestand schon hoch ist", sagt Paul Ablinger, Geschäftsführer des Vereins Kleinwasserkraft Österreich.

In dem Jahrzehnt nach 2030 könnte aber noch einmal die gleiche Menge des von der Regierung anvisierten Ausbaus dazukommen, zumindest aus Sicht der Energiewirtschaft. Laut Karl Heinz Gruber, Geschäftsführer der Verbund-Wasserkraftgesellschaften, beträgt das für die Natur verträgliche und außerhalb bestehender Schutzzonen in Österreich liegende Wasserkraftpotenzial zwischen elf und 13 TWh. "Der überwiegende Teil davon kann durch Effizienz-Steigerungen mit neuer Technik, neuen Materialien und Bestandserweiterungen realisiert werden", so Gruber, der auch bei der Interessenvertretung Oesterreichs Energie für die Erzeugungs-Agenden zuständig ist.

Dass Wasserkraftwerke ein massiver Eingriff in die Natur sind und es sich um keine unbegrenzte Ressource handeln kann, wird schon beim Überqueren der Donau und angesichts der Verbauung rund um Anlagen wie jener in Greifenstein ersichtlich. Und auch beim Verbund spricht man von einem begrenzten Potenzial, was neue Kraftwerke angeht. "Beim ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien in Österreich ist uns bewusst, dass Wasserkraft nur einen bestimmten Teil beitragen kann. Wir streiten nicht ab, dass jede technische Anlage einen Eingriff in die Umwelt darstellt, sondern wir befassen uns damit", so Gruber. Das Unternehmen investiert über 280 Millionen Euro in die Ökologisierung der Wasserkraft, etwa in Maßnahmen zur Gestaltung neuer Lebensräume für Fauna und Flora oder in aufwendige Fischwanderhilfen - die auch gesetzlich vorgesehen sind.

Debatte um Naturschutz

Geht es nach Umweltschutzorganisationen, werden bei der Wasserkraft aber regelmäßig wirtschaftliche und politische Interessen über das Wohl der Natur gestellt. Laut dem Umweltverband WWF Österreich sind bis 2030 nur rund zwei TWh an zusätzlicher Wasserkraftleistung ökologisch vertretbar, also weniger als die Hälfte des Regierungsziels. "Energieunternehmen schauen nur auf das technische Potenzial, sie sehen in einem Fluss nur, wie viele Terawattstunden da herunter rinnen, ohne die negativen ökologischen Auswirkungen zu beachten und die Bedeutung von intakten Ökosystemen in der Klimakrise zu verstehen", sagt Bettina Urbanek zur "Wiener Zeitung", Gewässerschutzexpertin bei WWF Österreich. Zwar werde Wasserkraft ein wichtiger Faktor für die Energieversorgung in Österreich bleiben, andere Arten erneuerbarer Energieerzeugung hätten aber ein weit größeres Potenzial, bei weniger Naturzerstörung. "Der Fokus auf die Wasserkraft ist viel zu groß, für die Energiewende ist es eine Schein-Lösung. Die Flüsse in Österreich bedeuten langfristig die Sicherung der Wasserbestände. Sie jetzt noch mehr zu belasten, geht in der Klimakrise einfach nicht mehr", so Urbanek.

Spätestens seit den 1970er-Jahren steht die Wasserkraft auch im Zentrum der Umweltdebatte in Österreich und sorgte im Folgejahrzehnt für ein politisches Erdbeben. Ursprünglich plante die staatlich gelenkte Donaukraftwerke AG - sie ging später im Verbund-Konzern auf - für den Vollausbau der Staukette zwei weitere Laufkraftwerke entlang des Flusses. 1971 wurden die Pläne für den Bau einer Anlage in der Donau auf der Höhe von Rossatz-Rührsdorf vorgestellt, woraufhin sich in der Region schnell Widerstand gegen das Projekt formierte. Mit dem Medizin-Nobelpreisträger und Zoologen Konrad Lorenz gewannen die Gegner des Kraftwerkbaus einen prominenten Unterstützer. Dass nur einige Dutzend Kilometer weiter flussabwärts das bereits damals umstrittene Kernkraftwerk Zwentendorf gebaut werden sollte, heizte die Kritik an dem Vorhaben weiter an. Nach Protesten und Unterschriftenaktionen kündigte die damalige Bundesregierung unter Kanzler Bruno Kreisky im Herbst 1973 an, vom Bau des Kraftwerks abzusehen. Der Atommeiler in Zwentendorf wurde zwar fertig gebaut, infolge einer Volksabstimmung im Jahr 1978 zugunsten der Projektgegner aber nie in Betrieb genommen.

Proteste in der Au

Wenige Jahre später sorgte das nächste Kraftwerksprojekt für Aufruhr, mit weitreichenden Konsequenzen für die Innenpolitik. Östlich von Wien plante die Donaukraftwerke AG ein Laufkraftwerk nahe Hainburg, wobei mehrere Quadratkilometer Au-Landschaft überflutet werden sollten. Bereits im Februar 1983 startete der WWF eine Kampagne gegen das Projekt und in der Folge schlossen sich mehrere Umweltgruppen zu einer Aktionsgemeinschaft zusammen. Als im Winter 1984 mit den Bauarbeiten begonnen werden sollte, kam es zu Demonstrationen und einer Besetzung der Au, die auch Zusammenstöße zwischen Aktivisten und der Polizei nach sich zogen. Die Regierung unter Bundeskanzler Fred Sinowatz stoppte gegen Ende des Monats die geplanten Rodungsarbeiten. Auch Konrad Lorenz brachte sich wieder in die Proteste ein und diente als Namensgeber für ein Volksbegehren gegen das Kraftwerk Hainburg, das im Folgejahr rund 350.000 Unterstützer fand. Etwa ein Jahrzehnt danach wurde die Hainburger Au als Teil des Nationalparks Donau-Auen zum Naturschutzgebiet. Die Besetzung der Au spielte bei der Gründung der Grünen in Österreich eine wichtige Rolle, die 1986 zum ersten Mal in den Nationalrat einzogen und deren Mitbegründerin Freda Meissner-Blau bei der Besetzung maßgeblich beteiligt war.

Auch heute sorgt der Ausbau der Wasserkraft in Österreich für heftige Debatten, vor allem im Spannungsfeld zwischen Naturverträglichkeit und dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Ersichtlich wird das etwa bei der geplanten Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal durch den Energieversorger Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag), die rund zwei Milliarden Euro kostet und für die eine langwierige Umweltverträglichkeitsprüfung läuft. Die Anlage soll um einen Pumpspeicher erweitert werden, insgesamt werden laut Tiwag bis zu 0,8 TWh an zusätzlicher Leistung hinzukommen. Das Unternehmen bezeichnet die zusätzlichen Kapazitäten als wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und zur Unabhängigkeit bei der Stromversorgung, während etwa der WWF vor einer ökologischen Katastrophe warnt, die Fluss- und Moorlandschaften zerstören könnte.

Stütze der Energiewende?

Der alleinige Fokus auf erneuerbare Energien und der Klimawandel würden einen weiteren Ausbau bei der Wasserkraft erfordern, sagt auch Verbund-Manager Gruber. "Die schwankende Erzeugung zum Beispiel durch Wind und Photovoltaik macht den Ausbau von Pumpspeichern notwendig, um Spitzen auszugleichen und das Stromsystem zu stabilisieren." Dann werde man zusätzliche Flexibilitäts-Leistungen bei der Wasserkraft dringend brauchen, so Gruber. Die anderen Technologien wie Windenergie oder Photovoltaik müssten nachziehen, aber auch hier gebe es große Hürden bei den Genehmigungen von Projekten, sagt Ablinger vom Verein Kleinwasserkraft Österreich. "Das Ausspielen einzelner Technologien gegeneinander finde ich falsch. Es geht auch um die Netzstabilität, bei der die Wasserkraft eine entscheidende Rolle spielt."

Anstatt bei der Stromproduktion mit Wasserkraft weiter auszubauen, sei es hinsichtlich der Klimaziele und der Biodiversitätskrise notwendig, auf naturverträgliche Erneuerbare zu setzen, den Verbrauch zu reduzieren und die Energieeffizienz zu steigern, entgegnet Urbanek vom WWF. "Auch bei der Netzstabilität gibt es viel bessere und modernere Lösungen. Wir haben in Österreich viele bestehende Speicher und viele in Planung, es braucht so schlechte Projekte wie den Speicherausbau Kaunertal nicht."

Abhilfe in der Energiekrise

Mit dem Krieg in der Ukraine und der Bedrohung durch gedrosselte Gaslieferungen aus Russland hat die Diskussion um die Nutzung heimischer Energiequellen wieder Fahrt aufgenommen. Mit Blick auf den Winter haben die Themen Versorgungssicherheit und die Leistbarkeit von Energie stark an Bedeutung gewonnen - und manche Stimmen beklagen, dass gerade bei der Wasserkraft mehr möglich gewesen wäre. "Man hat nicht viel Ausbau geschafft, weil die Genehmigungsverfahren für Wasserkraftwerke ewig dauern und die Umwelt-Auflagen für die Unternehmen sehr teuer sind. Es gab einen gewissen Ausbau, der hat vor allem mit neuen Turbinen für bestehende Kraftwerke stattgefunden. Sonst ist nicht viel passiert, was schade ist, weil wir heute besser dastehen könnten", sagt Walter Boltz, selbstständiger Berater bei Energiethemen und ehemaliger Leiter der E-Control, gegenüber der "Wiener Zeitung".

Eine Analyse des Vereins Ökobüro - Allianz der Umweltbewegung gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur kam indes zu dem Schluss, dass gerade die ausreichende personelle Ausstattung der Behörden wesentlich ist, um Umweltverfahren "gut und rasch abzuwickeln", heißt es in dem Bericht, der im Dezember veröffentlicht wurde.

Gerade jetzt sei der einseitige Fokus auf die Wasserkraft wie in Tirol als Ausweg jedenfalls ein Fehler, weil dadurch ökologische Aspekte auf der Strecke bleiben würden, so Urbanek. "Durch den Krieg in der Ukraine und die hohen Energiepreise wird die Gunst der Stunde genutzt und man genehmigt Wasserkraft-Projekte primär aus Profitinteresse, die umweltzerstörerisch sind, und stellt sie als gute Lösung dar. Viele Wasserkraftwerke könnten wegen der ökologischen Schäden nur mit Ausnahmegenehmigungen gebaut werden", sagt die WWF-Expertin.

Weniger Wasser für Strom

Langfristig ist es aber der Klimawandel selbst, der für die Wasserkraft in Österreich zum Problem werden könnte. Zunehmende Trockenheit im Sommer lässt Flüsse schrumpfen und das Wasser in den Speichern verdampfen, was zu einer geringeren Leistung von Wasserkraftwerken führen kann. Im besonders trocknen Juli erreichte man in Österreich bei der Wasserführung laut Gruber den zweitschlechtesten Wert seit Aufzeichnungsbeginn. Beim Verbund lag der Wert im ersten Halbjahr um zehn Prozentpunkte unter dem langjährigen Durchschnitt und deutlich unter dem Vorjahreswert, so der Zwischenbericht des Konzerns für die ersten beiden Quartale des Jahres.

Dass der Klimawandel zu mehr Hitzewellen und hohen Niederschlagsmengen in kurzen Zeiträumen führen könne, hat der ZAMG- Meteorologe Gerhard Wotawa in einem Bericht der "Presse" zuletzt als problematisch für die Wasserkraft bezeichnet. Man lasse die Prognosen für die grundsätzlich gut planbare Wasserführung derzeit auf den aktuellen Stand bringen, so Verbund-Geschäftsführer Gruber. "Es gibt immer wieder Ausreißer nach unten und nach oben. Für uns ist es noch nicht dramatisch."