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Wie der Rasierer zu Amazon kommt

Von Mirjam Hangler

Wirtschaft
© getty images / Carol Yepes

Unternehmer werden - diesen Traum haben sich zwei junge Oberösterreicher erfüllt. Sie verkaufen Rasierer, Staubsaugerfilter und andere Produkte über Amazon.


Wenn ein Rasierer vom Online-Riesen Amazon im Postkasten landet, hat er in der Regel einen weiten Weg hinter sich, bevor er die unrasierten Beine des Endkonsumenten erreicht. Eine Station auf der oft sehr langen Reise sind Adrian Müller und Felix Reindl.

Die beiden Oberösterreicher kaufen Rasierer und Co bei europäischen Großhändlern ein und verkaufen sie mit Gewinn an Amazon weiter. Dabei können sie fast alle Arbeitsschritte vom Schreibtisch aus erledigen. Die Bestellung der Rasierer führen Müller und Reindl nämlich über den Online-Shop des Großhändlers durch. Der ist aufgebaut wie ein gewöhnlicher Online-Shop - nur mit Mindestbestellmengen und niedrigeren Preisen als für den Endkonsumenten. Die dort bestellte Ware nehmen Müller und Reindl in ihrem rund 40 Quadratmeter großen Lager im oberösterreichischen Neuhofen an der Krems entgegen.

Das "Pufferlager", wie Müller den versperrbaren Metallcontainer liebevoll bezeichnet, ist aber nicht für die dauerhafte Lagerung von Produkten gedacht. Dort bereiten sie die Ware nur für die Weiterreise vor, die die Rasierer zunächst zu Amazon führt. "Amazon braucht für den Wareneingang Strichcodes, die kleben wir in unserem Lager auf die Produkte, bevor wir sie weiterschicken", erklärt Müller.

Anhand der Strichcodes kann Amazon die - vorher mittels Online-Formular angekündigten - Rasierer sofort identifizieren und an den richtigen Lagerort bringen. Mit dem Absenden der Pakete aus dem "Pufferlager" an das Amazon-Lager in Deutschland ist die Arbeit für Müller und Reindl fast erledigt. Den Rest, also Verkaufsabwicklung, Kundenkontakt und Versand, übernimmt Amazon. Das kostet aber: Pro Verkauf müssen die beiden 8 bis 15 Prozent des Bruttoverkaufspreises als Provision an Amazon abtreten und zusätzlich die Lagerung und den Versand durch Amazon bezahlen.

Modernes Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell von Adrian Müller und Felix Reindl hat einen Namen: Amazon FBA. "FBA" steht für "Fulfillment by Amazon", also "Durchführung durch Amazon". Das nötige Wissen dafür haben sie sich im Selbststudium angeeignet und im April 2022 die Boldnet Handels GmbH gegründet. "Amazon FBA ist in Wahrheit relativ einfach. Das, was es komplex macht, ist, was im Hintergrund passiert", so Müller. Damit meint der 24-Jährige die Auswahl der zu verkaufenden Produkte, die Buchhaltung und die Gesetze, die sie einhalten müssen.

Aufgrund rechtlicher Bestimmungen kaufen Müller und Reindl etwa nur bei europäischen Großhändlern ein, die Einfuhr von Produkten aus Asien in die Europäische Union (EU) ist den beiden zu heikel. Denn bei Schäden, die durch Produktfehler entstehen, haftet derjenige, der das Produkt in die EU eingeführt hat. Im Fall des Rasierers, der in China produziert wird, ist das der Großhändler, bei dem die beiden Jungunternehmer einkaufen.

Unter dem Suchbegriff "Rasierer" spuckt Amazon.de mehr als 9.000 Ergebnisse aus. Den Rasierer von Müller und Reindl zu finden, ist bei der Menge an Listings gar nicht so einfach. "Ein Listing ist die Angebotsseite eines Produkts, das die Konsumenten auf Amazon finden", fasst Müller zusammen. Es beinhaltet meist mehrere Fotos, eine Produktbeschreibung und den Preis. Für den Rasierer, den sie verkaufen, gibt es bereits ein Listing, deshalb verkaufen sie ihr Produkt über ein Listing, das von jemand anderem erstellt wurde. Dort konkurriert der Rasierer von Boldnet Handels GmbH mit den Rasierern von anderen Händlern, die ihre Produkte über das gleiche Listing verkaufen. Amazon legt dann automatisch den günstigsten Rasierer in den Einkaufskorb, wenn der Kunde auf "Kaufen" klickt.

Gewinnmargen steigen

Weltweit nahmen die Umsätze von Amazon 2021 im Vergleich zum Jahr davor um 22 Prozent zu und stiegen laut eigenen Aussagen auf 469,8 Milliarden US-Dollar. Ein Teil davon ist auf Händler aus Österreich zurückzuführen. Die 2.500 über Amazon tätigen österreichischen Klein- und Mittelunternehmen verkauften im Vorjahr rund 20 Millionen Produkte im Wert von 500 Millionen Euro ins Ausland, gab Amazon bekannt. Zahlen zu Verkäufen im Inland wollte der Konzernriese nicht verraten.

Die rund 250 Produkte, die Müller und Reindl monatlich verkaufen, werden von Amazon in ganz Europa verschickt. Verkäuferin von Rasierern und Co ist trotzdem die Boldnet Handels GmbH. "Amazon ist nur der Dienstleister, quasi der Marktplatz, auf dem wir unsere Produkte anbieten", erklärt Müller. Der Kunde bezahlt den Kaufpreis zwar an Amazon, der Online-Riese überweist diesen Betrag dann auf das Amazon-Konto der Boldnet Handels GmbH. Von diesem Amazon-internen Konto werden alle Gebühren an Amazon bezahlt und die Einnahmen gesammelt. "Alle zwei Wochen zahlt Amazon die Umsätze dann auf unser reguläres Bankkonto aus", erklärt Müller.

Im Moment erzielen die Jungunternehmer bei einer durchschnittlichen Gewinnmarge von 15 bis 20 Prozent einen monatlichen Gewinn von insgesamt etwa 2.000 Euro. Dem gegenüber stehen um die 6.000 Euro, die sie zu Beginn investiert haben. Reich sind Adrian Müller und Felix Reindl noch nicht, denn die Gewinne reinvestieren sie momentan noch vollständig in ihr Unternehmen.

Reinvestieren bedeutet in dem Fall: mehr Produkte beim Großhändler einkaufen. Im virtuellen Schaufenster der Boldnet Handels GmbH tummeln sich neben den Rasierern noch spezielle Markenprodukte wie Staubsaugerbürsten, Bratwender oder Zubehör für den Fleischwolf - insgesamt 18 verschiedene Artikel hat die Boldnet Handels GmbH momentan im Angebot. Wenn sie das Kapital dafür hätten, würden sie auch ihr Rasiererangebot vergrößern, verrät Müller, "das ist ein Verbrauchsprodukt, das wird immer irgendwer benötigen". Und so werden auch in Zukunft Rasierer der beiden Oberösterreicher in Postkästen in ganz Europa landen.