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In der Schuldenfalle

Von Julian Kern

Wirtschaft

Ratenkauf und "pay later" - viele junge Menschen verlieren den Überblick über ihre Finanzen und häufen Schulden an.


Ich wette, niemand kann meine Klarna-Schulden toppen." Beiträge mit Slogans wie diesem oder ähnlichen haben auf der chinesischen Kurzvideoplattform TikTok für Aufmerksamkeit gesorgt. Fast 42 Millionen Aufrufe hat der Hashtag #Klarnaschulden dort. In den einzelnen Videos geht es um teilweise horrende Summen, die sich durch die "shop now. pay later"-Funktion des schwedischen Zahlungsdienstleisters Klarna angehäuft haben. Verbindlichkeiten zwischen wenigen hundert bis zu fast 60.000 Euro sind in den Videos zu sehen. Welche Gefahren liegen in solchen Bezahlmodellen, deren Abrechnungszeitpunkt in der Zukunft liegt?

"Ratenkauf, Kauf auf Ziel oder ein Kauf via Klarna - nichts davon allein ist dazu geeignet, dass man deshalb in Konkurs gehen muss", sagt Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen. Vielmehr gehe es um die Frage, wie gut junge Menschen finanzielle Funktionsweisen einschätzen können. Zahlen bietet die halbjährlich durchgeführte Trendstudie "Jugend in Deutschland". Jede und jeder fünfte zwischen 14 und 29 Jahren hätte demzufolge Schulden. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene in Österreich betroffen sind, ist nicht bekannt: "Wir wissen nicht genau, wie viele Menschen in Österreich Schulden haben", sagt Mitterlehner. Datenmaterial diesbezüglich fehlt hierzulande - eine Erhebung soll es aber in Zukunft gemeinsam mit der Statistik Austria geben. Aktuelle Zahlen kennt man nur aus der eigenen Klientel: Ein Viertel der Hilfesuchenden ist jünger als 30 Jahre.

Eine Schuldnerkarriere beginne oft mit falschen Finanzentscheidungen in jungen Jahren, bemerkt auch Bernd Lausecker, Projektleiter der Sparte Finanzdienstleistung beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). Hilfe suche man sich allerdings erst später, das Durchschnittsalter liegt laut Schuldenbericht 2022 zwischen 40 und 42 Jahren. "Das ist nicht das Alter, wo die Menschen die meisten Schulden machen, sondern das ist das Alter, wo die Schulden zum Problem geworden sind", sagt Mitterlehner. Die Schuldenberatung aufzusuchen, sei die letzte Möglichkeit, "wenn alle anderen Lösungsversuche versagt haben; seien dies Umschuldungen oder ausgeborgtes Geld von Familie und Freunden."

Wege aus der Verschuldung

In allen Fällen, egal ob die Schulden über "buy now, pay later"-Modelle angehäuft wurden oder als Ergebnis einer gescheiterten Selbstständigkeit entstehen, der erste Schritt sei immer die Analyse der individuellen Situation. "Welche Schulden sind da? Wie ist die Existenz dadurch in Gefahr?" Stehee zum Beispiel eine Delogierung an, dann richte sich die Priorität zuerst darauf. Anschließend gleiche man das Einkommen mit den Zahlungsverpflichtungen ab. "Sehr oft kommt bei dieser Analyse heraus, dass die angehäuften Schulden nicht mehr in einer vernünftigen Zeit abbezahlt werden können", sagt Mitterlehner, der selbst 14 Jahre als Schuldenberater tätig war. In vielen Fällen bleibt als einzig gangbarer Weg der Privatkonkurs.

Eben jene Privatinsolvenzen sind es, die nach dreijähriger Entschuldungsdauer einen Ausstieg aus der Schuldenspirale ermöglichen. Knapp 170.000 zählt man seit 1995, rund 7.200 wurden im Jahr 2021 eröffnet. Die Hauptüberschuldungsgründe seien seit Jahren dieselben: Einkommensverminderung und Arbeitslosigkeit.

"Das ist auch nicht verwunderlich, weil die Arbeitslosen-Nettoersatzrate weiterhin bei 55 Prozent liegt. Wenn ich zu Ihnen jetzt sage, dass Sie ab morgen nur noch 55 Prozent Ihres bisherigen Einkommens haben, dann löst das unweigerlich eine finanzielle Krise aus - egal ob man Schulden hat oder nicht", betont der langjährige Schuldenberater. Wie sich die aktuell hohe Inflation auf die Statistiken der Schuldenberatung auswirken wird, sei aufgrund des erst bevorstehenden Jahresberichtes noch nicht absehbar. "Durch die Beratung - das sind aber noch keine statistisch gesicherten Erkenntnisse - bekommen wir schon mit, dass die Teuerung natürlich ein sehr großes Thema ist, dass immer mehr Menschen mit dem Einkommen nicht auskommen", sagt Mitterlehner.

Finanzbildung als Hebel

Bezüglich Inflation befinde man sich zudem in einem Dilemma: "Die Sachen werden immer schneller teurer, vielleicht macht es noch einmal Sinn, da schnell zuzuschlagen", sagt Lausacker. Jedoch empfiehlt der Experte des VKI "vorsichtig zu sein und die finanziellen Möglichkeiten nicht komplett auszureizen. Eventuell braucht man diese noch für die Energierechnung."

41 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in der Finanzbildung der Schuldenberatung. Das Engagement hängt dabei stark vom jeweiligen Bundesland ab, da diese die Schuldenberatung zum Löwenanteil finanzieren. So sei Oberösterreich sehr stark dahinter, dass Finanzbildung stattfinde - "Tirol aber zum Beispiel gar nicht", sagt Mitterlehner.

"Es muss der Fall sein, dass junge Menschen im Rahmen der Pflichtschule mit irgendeiner Form der unabhängigen Finanzbildung in Berührung kommen", bekräftigt der Geschäftsführer der Schuldenberatung. Aktuell gelte laut Erlass im Unterrichtsgesetz, dass Finanzbildung stattfinden soll, jedoch nicht muss. Wie intensiv diese stattfinde, würde also sehr stark vom Engagement der einzelnen Lehrpersonen abhängen. In Zukunft soll es eine österreichweite Finanzbildungsstrategie geben. Diese werde laut Mitterlehner aktuell im Finanzministerium - unter dem Mitwirken der Schuldenberatung - abgestimmt.

Gefahren, Tipps und Tricks

Neben altersgerechtem Finanzwissen gehe es auch darum, den Überblick über das eigene Geld zu bewahren. "Je jünger, desto technikaffiner", bringt es Lausecker auf den Punkt. Bargeld, Bankomatkarte - mittlerweile auch per Smartwatch-Bezahlung am Handgelenk möglich - Kreditkarte, PayPal, Klarna und Co. Möglichkeiten zu bezahlen, gibt es viele. "Klar ist, dass es dabei einen Überblick über die "Ist-Situation" braucht.

Es sollte jede und jeder das eigene Einkommen und die Fixausgaben kennen und somit Bescheid wissen, wieviel für variable Kosten übrigbleibt." Anschließend empfehle es sich, eine Einteilung vorzunehmen, wie viel Geld pro Woche ausgegeben werden darf. Auch kann es nützlich sein, diese variablen Kosten in einem Notizbuch, einer Excel-Liste oder auch in einer App aufzudröseln. Sollte jemand dennoch Schwierigkeiten haben, den Überblick zu behalten, "dann ist ein Tipp von uns auch: Heben Sie zu Beginn der Woche den Betrag ab, den Sie zur Verfügung haben und Sie können über die Woche verteilt genau diesen Betrag verbrauchen, ohne sich zu verschulden."