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Mit (Voll-)Gas in die Zukunft

Von Julian Kern

Wirtschaft

Wie sind neue Erdgasprojekte mit den Klimazielen vereinbar? Und braucht es diese überhaupt, wenn Russland liefert?


Die Pläne des Energieunternehmens ADX Vie GmbH sorgen seit Mitte Jänner vielerorts für Diskussionen. Neben dem Projekt Welchau 1 in der oberösterreichischen Nationalparkgemeinde Molln finden sich zahlreiche weitere potenzielle Projekte in den Gebieten, für die die Österreich-Tochter des australischen Börsenunternehmens Aufsuchungslizenzen besitzt. Bis 2038 darf gesucht werden. Wie lange im Erfolgsfall gefördert werden darf, ergibt sich laut Finanzministerium "aus den natürlichen lagerstättentechnischen Rahmenbedingungen". Seriöse Einschätzungen zum Ausmaß allfälliger späterer Gewinnung seien bis zu den Ergebnissen einer Probebohrung demnach nicht möglich. Die Unterlagen für die Probebohrgenehmigung für Molln wolle man bis Ende März einreichen, heißt es seitens ADX.

Während die einen mehr Diversifizierung und somit die Förderung potenzieller Gasneuerschließungen fordern, warnen Experten davor, dass neben Eingriffen in die Natur der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger verzögert oder gar verhindert wird. So auch Daniel Huppmann, Klima- und Energieforscher am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien: "Das Problem ist, dass solche Projekte auf jeden Fall keine kurzfristigen Lösungen sein können, weil bis zur Inbetriebnahme Jahre vergehen."

Keine kurzfristige Lösung

Gegen die aktuelle Abhängigkeit von russischem Gas würden solche Projekte demnach nicht helfen, so Huppmann. Die Frage sei vielmehr, ob Neuerschließungen für den Zeitraum 2025 bis 2035 helfen, die Abhängigkeit von amerikanischem Fracking- oder Flüssiggas aus dem arabischen Raum zu reduzieren. Am Papier sei dies möglich, jedoch handle es sich um eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit: "Wenn wir jetzt anfangen, das zu erschließen, wie glaubwürdig ist es dann, dass diese Gasförderstätten tatsächlich im Jahr 2040, in dem Österreich klimaneutral sein möchte, geschlossen werden?", so der Klimaforscher.

Österreich hat ambitionierte Ziele: Das Energieeffizienzgesetz 2023 sieht vor, dass der gesamte Energieverbrauch Österreichs bis 2030 um 18 Prozent sinken muss. Von derzeit 310 auf 255 Terawattstunden. Bis 2040 soll Österreich klimaneutral sein. Deshalb ist es laut Huppmann aktuell wichtiger, die Frage zu stellen: "Wie kann man jetzt die rechtlichen Rahmenbedingungen setzen, damit dann im Jahr 2040 alle Gasförderstätten abgedreht werden?"

Der Rubel rollt

Während sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Dezember noch zufrieden ob der reduzierten Abhängigkeit von Gas aus Russland im Laufe des vergangenen Jahres zeigte, hat sich die Lage mittlerweile gedreht. Zahlen dazu liefern der Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (Entsog) sowie die heimischen Regulierungsbehörde E-Control: Der Gasimport aus Russland hat seit September des Vorjahres wieder zugenommen - und das deutlich.

Im Dezember betrug dieser 71 Prozent, womit Österreich wieder nahezu auf Vorkriegsniveau (rund 80 Prozent) liegt. Laut Außenhandelsstatistik der Statistik Austria und Berechnungen des pinken Neos Lab wurden von Jänner bis November 2022 fast 7 Milliarden Euro für russisches Gas nach Moskau überwiesen.

Gaspreis entscheidend

Jene Abhängigkeit sei es auch, die potenzielle Gasneuerschließungen in Österreich wirtschaftlich unrentabel machen würden: "Wir haben in Österreich noch viele Gaslagerstätten, die in den letzten Jahrzehnten alle nicht aufgeschlossen wurden, weil das russische Erdgas viel zu billig gewesen ist", sagt Helmuth Bulla. Als Erdöl- und Erdgaslagerstättentechniker war er beim Energiespeicherunternehmen RAG (Renewables and Gas) tätig und den Großteil der 21 Dienstjahre für die sogenannten "virgin borehole tests" verantwortlich: "Das sind die initialen Bohrlochtests für Öl und Gas, wo festgestellt wird, ob eine Bohrung wirtschaftlich fündig ist oder nicht." Seiner Meinung nach sind neue Öl- und Gasprojekte hauptsächlich von den Preisen am Weltmarkt abhängig: "Zurzeit ist der Gaspreis hoch. Die Frage ist, wie lange das so bleibt. Sobald der Gaspreis wieder runtergeht, wird das Projekt (Welchau 1 in Molln, Anm.) nicht mehr interessant sein."Paul Fink, technischer Direktor von ADX Energy, möchte das so nicht stehenlassen: "ADX hat die Wirtschaftlichkeit von Projekten mit Gaspreisen lange vor der russischen Invasion in der Ukraine bewertet. Da es mehrere Jahre dauert, bis ein Vorkommen produziert ist, muss man auch mit Perioden weit geringerer Energiepreise rechnen."

Innovationen reichen nicht aus

Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, sei die Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 und Klimaneutralität vor 2050 notwendig: "Die Regierung hat das im Prinzip ambitioniert angelegt, aber die gesetzten Maßnahmen sind weit davon entfernt, diese Ziele zu erreichen", so Huppmann. Innovationen seien auf jeden Fall notwendig, "aber diese Technologien brauchen wir für die letzten 20 Prozent unserer CO2-Emissionen". "Carbon capture" sei eine solche Zukunftstechnologie, mit der CO2 aus der Erdatmosphäre gebunden und zur Herstellung für E-Fuels verwendet wird.

Bevor solche Innovationen breitenwirksam zur Anwendung kommen könnten, seien bereits erforschte Maßnahmen umzusetzen: "Tempo 100, ein Erneuerbaren-Wärme-Gesetz, ein Stopp für alle Autobahn- und Schnellstraßenprojekte, mehr Kreislaufwirtschaft und die Erhöhung des CO2-Preises."