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"Ich verdiene halt das Doppelte von dir"

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Gleichbehandlungsanwältin Konstatzky über intransparente Gehaltskultur, Mütter in Teilzeit und Väter in Karenz.


Bis heute, den 16. Februar, haben Frauen in Österreich, im Durchschnitt und auf das Jahr gerechnet, im Vergleich zu Männern gratis gearbeitet. Verantwortlich dafür ist der sogenannte Gender Pay Gap. Auch um die Faktoren Teilzeit und geschlechterspezifische Branchenunterschiede bereinigt, beträgt dieser in Österreich 13 Prozent.

Die Gründe für die ungleiche Entlohnung von gleicher Arbeit sind mannigfaltig, erklärt Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Ein Gespräch über strukturelle Schwächen, traditionelle Rollenbilder und neuen Anforderungen an den Job.

"Wiener Zeitung": Der sogenannte Equal Pay Day entfällt heuer auf den 16. Februar. Bis zu diesem Tag haben Frauen im Vergleich zu Männern im Durchschnitt gratis gearbeitet. Wenn wir die Gehaltsschere in diesem Tempo schließen, ist die finanzielle Gleichstellung der Geschlechter 2076 erreicht. Warum geht hier so wenig weiter?

Sandra Konstatzky: Das Problem beim "Equal Pay" ist vielschichtig. Es geht um Gehältertransparenz, um Geschlechterstereotype im Job, darum, wie wir Branchen mit hohen Frauenanteil auch finanziell bewerten. Es sind sehr viele Schrauben, an denen man drehen muss, um gegen Entgeltdiskriminierung vorzugehen. Ich glaube, dass nach wie vor sehr viel auf Stereotype zurückzuführen ist und man nachhaltig versuchen muss, diese aufzudecken. Als Gleichbehandlungsanwaltschaft können wir zum Beispiel bei ganz konkreten Fällen aufzeigen, warum dort Entgeltdiskriminierung passiert ist. Und das hilft wiederum Unternehmen auf struktureller Ebene, ihre Gehaltsstrukturen zu hinterfragen.

Wie viele solche Fälle pro Jahr vertreten Sie und was sind denn typische Gründe für ungleiche Entlohnung bei gleichwertiger Arbeit?

Die Dunkelziffer ist hier deutlich höher, weil viele Frauen in einem aufrechten Arbeitsverhältnis dieses nicht gefährden wollen. Wir haben im Schnitt 50 bis 60 Dieskriminierungsfälle pro Jahr. Sehr viele Frauen beraten sich aber auch einfach nur zu diesem Thema mit uns.

Wenn wir zum Beispiel in einem konkreten Fall beim Arbeitgeber nachfragen, warum unsere Klientin weniger Stundenlohn als ihr männlicher Kollege in der gleichen Position bekommt, kommen sehr oft ähnliche Ausreden: Einer der häufigsten Punkte ist das Verhandlungsgeschick. Wenn sie weniger Gehalt verlangt, dann braucht sie sich jetzt nicht aufregen. Hier gibt es aber eine eindeutige Judikatur, das darf kein Grund sein. Ein weiteres großes Problem ist die fehlende Lohntransparenz in Unternehmen. Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie deutlich weniger als die männlichen Kollegen verdienen.

Müssen wir also offener über Geld sprechen?

Unbedingt! Wir müssen auch über die Bewertung von Tätigkeiten sprechen. Es gibt viele Tätigkeiten, die eine sehr hohe psychosoziale Kompetenz erfordern. Und diese Arbeit wird selten in dem Ausmaß abgegolten, die ihr angemessen wäre. Diese Fähigkeiten brauche ich im Handel, im Sekretariat, in der Pflege . . .

Mit einem Gender Pay Gap von 18 Prozent (Anm., nach Eurostat-Berechnungsmethode) lag Österreich zuletzt über dem EU-Schnitt von 13 Prozent und weit hinter den Top-3 Luxemburg, Rumänien und Slowenien mit höchstens drei Prozent. Was machen diese Länder anders?

Beim Gender Pay Gap muss man auch immer darauf schauen, wie hoch die Erwerbsquote von Frauen in dem Land ist. Wenn weniger Frauen arbeiten, arbeiten sie meistens in höheren Positionen. Wenn - wie in Österreich - viele Frauen arbeiten, arbeiten diese sehr häufig auch in Teilzeit. Wenn man zum Beispiel die Niederlande heranzieht, gibt es dort einen andere Umgang mit Teilzeit: Sowohl Männer, als auch Frauen arbeiten dort gleichermaßen in Teilzeit. Dort wird Teilzeitarbeit auch nicht per se schlechter bewertet. Es geht auch um Gehälter-Transparenz. In Ländern mit einem geringeren Gap ist die Gehältertransparenz höher.

Eine EU-Richtlinie zur Lohntransparenz soll das ändern. Wie soll sie aussehen?

Die Details kenne ich noch nicht, weil sie noch nicht fertig verhandelt ist. Wir haben in Österreich seit 2011 entsprechende Transparenzregelungen, die aber ihre Lücken hat. Die EU-Richtlinie sollte diese schließen. Bei uns wird zum Beispiel nur das Jahresgehalt herangezogen, man müsste aber im Detail aufschlüsseln, was davon das Grundgehalt, was Zulagen, was Überstunden sind.

Auch neu ist: Es soll ein zentrales Register und ganz konkrete Vorgaben geben, wo und wie die Unternehmensdaten gemeldet werden müssen. Dann hat man auch eine bessere Vergleichbarkeit. Außerdem sind bei uns derzeit nur Unternehmen ab 151 MitarbeiterInnen berichtspflichtig, was dazu führt, dass ganz viele Betriebe von der Berichtspflicht befreit sind. Die EU-Richtlinie setzt bei der MitarbeiterInnenzahl niedriger an. Außerdem sind Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen vorgesehen. Das ist bis jetzt in Österreich nicht der Fall.

Ein wesentlicher Grund für die finanzielle Ungleichheit ist die hohe Teilzeitquote vor allem bei Müttern (72,3 Prozent). Bei Vätern beträgt sie laut Statistik Austria nur 6,9 Prozent und ist damit halb so groß wie bei Männern ohne Kinder. Wie erklären Sie sich diese ungleiche Verteilung von Care- und Erwerbsarbeit?

Wir haben in Österreich noch sehr stark verankerte Geschlechterrollen. Einerseits ist es oft so, dass der Mann sagt: Ich würde ja gern in Karenz gehen, aber ich verdiene halt das Doppelte von dir. Das ist dann eine wirtschaftliche Entscheidung, die man individuell kaum lösen kann. Außerdem ist eine für die Geschlechtergleichstellung wichtige Vereinbarkeitsrichtlinie in Österreich noch immer nicht umgesetzt. Das heißt, derzeit können Frauen den nicht konsumierten Teil der Karenz der Männer in Anspruch nehmen. Nach dieser Richtlinie verfällt die Zeit, die für die Väterkarenz bestimmt ist, wenn die Männer sie nicht konsumieren. Bei uns landen auch Fälle von Vätern, die in Karenz gehen möchten, und vom Arbeitgeber dafür sehr stark sanktioniert werden, um ein Exempel zu statuieren. Diese Männer werden dann manchmal sogar noch stärker diskriminiert als Frauen, von denen man das ja eh erwartet. Also es wird schon von allen Seiten darauf geschaut, dass das eh alles die Frauen machen.

Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher hat zuletzt im "Kurier" angeregt, bestimmte Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit zu kürzen, um mehr Menschen für eine Vollzeitbeschäftigung zu erwärmen. Wie bewerten Sie solche Aussagen?

Ehrlich gesagt möchte ich die politischen Aussagen eines Ministers nicht bewerten. Allerdings sehe ich hier keine Ansätze, die zu mehr Lohngleichheit führen würden oder das Problem der ungleichen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit lösen würden. Wichtig wäre, nachhaltig an der Bekämpfung der Geschlechterstereotypen zu arbeiten.

Kann man das für Eltern angesichts der aktuellen institutionellen Betreuungssituation fordern? Hortplätze sind rar und teuer, der Anteil der sogenannten Vif-konformen Kindergärten, also jene, deren Öffnungszeiten Vollzeitbeschäftigung ermöglichen, ist zuletzt sogar auf 49 Prozent gesunken. Und es gibt ein starkes Stadt-Land-Gefälle.

Es ist nicht so, dass nur Frauen in Teilzeit arbeiten wollen. Wir sehen uns auch einer jungen Generation gegenüber, die zwar gerne arbeitet, aber auch genug Zeit für ihr Sozialleben haben möchten. Vollzeitarbeit und dieses "ich lebe nur für den Job" ist nicht nur aus Sicht der Vereinbarkeit mit Familie schwierig, das wollen viele junge Menschen so auch einfach nicht mehr. Im Hinblick auf die Verteilung müssen wir uns auch überlegen, wie wir gute, qualitativ hochwertige Teilzeitarbeitsplätze schaffen, von denen man auch gut leben kann.

Ungleichbehandlung findet auch in der Partnerschaft statt. Lassen sich manche Frauen zu viel von den eigenen Männern gefallen? Müssten sie nicht in bestimmten Fällen auf den Tisch hauen und sagen: Ich kann die Kinder von Montag bis Mittwoch abholen, an den anderen beiden Tagen bist du dran, also überleg dir bitte was.

Ich glaube schon, dass das sehr viele Frauen tatsächlich machen. Ich glaube aber auch, dass es zu viele strukturelle Rahmenbedingungen gibt, die Frauen daran scheitern lassen. Als Gleichbehandlungsanwältin schaue ich immer vom individuellen Fall auf die Strukturen. Jede Frau, die sich an uns wendet, macht einen Schritt aus diesen diskriminierenden Strukturen heraus, und sie zeigt in jedem dieser Fälle auch auf, was sich im Großen ändern müsste.