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Unter Russlands Gas-Fittiche

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Energieagentur: Abhängigkeit von russischem Gas ist historisch gewachsen und politisch gewollt.


"Druschba" bedeutet auf Russisch Freundschaft. Die russische Bedeutung geht aber weit über den deutschen Freundschaftsbegriff hinaus. Es ist eine absolute, feste Verbindung, die grenzenlose Loyalität voraussetzt. Ein Wir-und-die-anderen. So heißt auch eine der ersten Pipelines, die zunächst Öl und später Gas von Russland über die Ukraine förderte und deren Südstrang weiter nach Ungarn und in die ehemalige Tschechoslowakei führt. In den 1970ern wurde sie an den niederösterreichischen Gasknotenpunkt Baumgarten angebunden.

Die OMV hat im Juni 1968 den ersten Erdgasliefervertrag mit der damaligen UdSSR unterzeichnet - als erstes westeuropäisches Unternehmen überhaupt. Über die Pipeline Druschba kommt seit mehr als 50 Jahren russisches Gas über die Ukraine in die Verdichtungsstation in Baumgarten. Bis Kriegsbeginn kamen jährlich um die 40 Milliarden Kubikmeter und damit ein Drittel aller russischen EU-Gasimporte in Baumgarten an und wurden dort in Richtung Süd- und Westeuropa weitergeleitet. Seit Russlands kriegerischer Invasion in die Ukraine vor einem Jahr hat sich viel verändert, aber nicht alles.

Das Gas-Dogma

Österreich bezog vor einem Jahr rund 80 Prozent seines Erdgases aus Russland. Heute sind es, nach einem starken Einbruch im Sommer, wieder knapp über 70 Prozent. In ihrer aktuellen Analyse stellt Österreichs Energieagentur eine überaus hohe, historisch gewachsene sowie wirtschaftlich und politisch geförderte Abhängigkeit von russischem Gas fest. "Ein wesentlicher Faktor für die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas war sicher, dass die politisch Verantwortlichen sich bereits ab den 1960ern von einer energiepolitisch aktiven Rolle verabschiedet und sämtliche Aufgaben rund um den Gasimport als privatwirtschaftliche Angelegenheit an Unternehmen, in erster Linie die OMV, abgegeben haben", sagte Studienautor Herbert Lechner von der Energieagentur am Dienstag vor Journalisten. Der wissenschaftliche Leiter und Geschäftsführer der Energieagentur nimmt in seiner Analyse auch die in den vergangenen Jahrzehnten zuständigen SPÖ- und ÖVP-Kanzler sowie -Wirtschaftsminister in die politische Verantwortung.

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Die langjährigen, engen energiepolitischen Verflechtungen zwischen Russland und Österreich fußen laut Lechner auf vier Dogmen, die nicht hinterfragt wurden. Erstens: Russisches Gas ist alternativlos. "Dabei haben die letzten Monate gezeigt, dass es sehr wohl Alternativen gibt, und hätte man früher diversifiziert, wäre uns das deutlich günstiger gekommen." Zweitens: Russland ist ein zuverlässiger Lieferant. Auch hier merkt Lechner an, dass Russland über die Jahre immer wieder mit Lieferstopps gedroht hat. Fraglich ist auch, ob Gazprom wegen der stark gedrosselten Lieferungen im Sommer und Herbst vertragsbrüchig war.

Drittens: Russland und Österreich sind voneinander abhängig. Wobei diese Abhängigkeit mit der Zeit asymmetrischer wurde - zugunsten Russlands. Und viertens: Russisches Gas ist billiger. Tatsächlich galt russisches Pipelinegas im letzten Jahrzehnt als um 20 bis 25 Prozent günstiger als LNG aus den USA. Lechner merkt aber an, dass interne Gazprom-Analysen ergeben, dass es für den Konzern wirtschaftlich rentabler sei, langfristige Lieferverträge abzuschließen, als etwa Gas an der Börse zu handeln.

Die hohe Abhängigkeit Österreichs wurde über die Jahre immer wieder kritisiert. So sagte der ÖVP-Abgeordnete Siegmund Burger 1971 im Nationalrat, dass Österreichs Energieversorgung auf der Prämisse von Frieden in Europa fuße, es aber keinen Plan B für Krisenzeiten gäbe. 2008 warnte die Europäische Kommission: "Russland setzt Gas als geopolitische Waffe ein."

Unabhängig bis 2027?

Dennoch wurden die Lieferverträge, deren Inhalt streng geheim ist, immer wieder erneuert. Zuletzt 2018 im Beisein von Ex-OMV-Chef Rainer Seele, Gazprom-CEO Alexej Miller, Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Der Vertrag läuft bis 2040.

Eigentlich hat sich die Bundesregierung im Zuge des russischen Angriffskriegs und der volatilen Gaslieferungen aus Russland das Ziel gesteckt, bis 2027 unabhängig von russischem Gas zu werden. Im Zuge dessen wurde auch die strategische Gasreserve von 20 Terawattstunden beschlossen. Und es sollten neue Energielieferverträge abgeschlossen werden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sprach sich aber zuletzt in der "Zeit im Bild 2" dagegen aus, den bestehenden Gasliefervertrag der OMV mit Gazprom zu kündigen, weil das die Versorgungssicherheit gefährden könne.

Dass die Regierung von diesem Ziel abgekommen sei, glaubt Lechner trotzdem nicht. Allerdings sei es "besorgniserregend", dass im Dezember wieder 70 Prozent der Gaslieferungen aus Russland kamen. Mit einer entsprechenden politischen Strategie und Energieeinsparungen, sowie dem Ausbau heimischer, vor allem erneuerbarer Energiequellen, sei das Ziel 2027 machbar.