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Wenn die Ukrainer keine Gurkerl pflücken

Von Julian Kern

Wirtschaft

Der Krieg in der Ukraine wirkt sich auch auf die Landwirtschaft in Österreich aus. Eine Reportage aus Oberösterreich.


Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich der Gurkerlflieger über das Feld. Seitlich, auf zwei langen tragflächenartigen Plattformen liegen bis zu 30 Erntearbeiter, die bäuchlings die Einlegegurken per Hand pflücken. Eine körperlich enorm anstrengende Aufgabe, für die sich immer schwieriger Personal finden lässt. Der Krieg in der Ukraine, der sich für heimische Landwirte bereits bei den höheren Energiekosten und gestiegenen Preisen bei Dünger- und Futtermitteln durchschlägt, verschärft die Personalsuche zusätzlich.

Ein Hof, der im vergangenen Jahr auf sein ukrainisches Stammpersonal verzichten musste, liegt im oberösterreichischen Zentralraum, dort, wo von der A1 weitere Autobahnstränge in fast alle Himmelsrichtungen abzweigen. Anstelle der ukrainischen Arbeiter kamen im vergangenen Sommer deren neun Frauen und sieben Kinder auf den Hof der Familie Mayr nach Ansfelden. Geerntet wurden die Gurkerl aber dennoch. Zusätzlich zu den rund zehn polnischen Erntearbeitern, einigen ukrainischen Männern, die bereits vor Kriegsbeginn im Schengenraum waren, sprangen eben die ukrainischen Frauen für ihre Männer ein.

Kindergarten und Deutschkurse

Dass auf einmal die Frauen die Arbeit übernahmen, stellte die Familie Mayr aber vor völlig neue Herausforderungen. "Neben Unterkunft und Verpflegung mussten nun auch Schul-, Kinder- und Krabbelstubenplätze und Deutschkurse organisiert werden", sagt Bernhard Mayr. Am Hof hat sich darum vor allem seine Frau Gerlinde gekümmert. "Da braucht es eine Person im Betrieb, die sich nur um die sozialen Bedürfnisse der Familien kümmert", sagt sie. "Da nimmt man dann viele Aufgaben auch ins Wochenende oder in die Feiertage mit."

Schul- und Kindergartenplätze konnten zwar mit einiger Mühe in umliegenden Gemeinden und der Landeshauptstadt Linz gefunden werden, bei der Beschaffung von Aufenthaltstiteln für die Frauen stießen die Mayrs aber von Tag zu Tag auf neue Hürden. So konnten etwa Menschen, die vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 aus der Ukraine ausgereist waren, lange Zeit keinen Ausweis für Vertriebene beantragen. Abhilfe brachte erst die Reform der sogenannten blauen Karten im April dieses Jahres. "Die Behörden haben sich sehr lange Zeit gelassen, das zu überarbeiten, und in der Zwischenzeit sind jegliche Visa abgelaufen und auch die 90-Tage-Frist ist verstrichen. Die sind dann ohne jeglichen Aufenthaltstitel dagesessen", sagt der Landwirt Mayr.

Für das Visum nach Kroatien

Um den Frauen dennoch einen gültigen Aufenthaltstatus und eine Beschäftigungsbewilligung zu beschaffen, musste man in Ansfelden daher improvisieren. "Mit allen, deren Visa nicht schon mehr als 90 Tage abgelaufen war, sind wir im Sommer nach Bratislava gefahren, um es zu erneuern. Alle anderen mussten das Visum außerhalb des Schengenraums neu beantragen", sagt Gerlinde Mayr. Die Landwirtin musste daher für ihre Erntearbeiter nicht nur fünf Flüge nach Kroatien buchen, sondern auch einen Fahrer sowie einen Dolmetscher für die dortigen Behördenwege organisieren. "Das war sehr kosten- und zeitintensiv", sagt Mayr, der sich mehr Unterstützung von Seiten der Behörden gewünscht hätte.

So wie in Ansfelden dürfte es österreichweit auch anderen Bauern ergangen sein. Zwar lasse sich nicht genau sagen, wie viele ukrainische Saisonarbeitskräfte auf Österreichs Feldern kriegsbedingt tatsächlich gefehlt haben, sagt Fabian Schaup, Generalsekräter der Österreichischen Landarbeiterkammer. Die Frauen der ukrainischen Männer spielten jedoch neben Arbeitern aus Drittstaaten wie dem Kosovo eine zentrale Rolle. "Es befanden sich viele geflüchtete Angehörige von ukrainischen Arbeitern der letzten Jahre bei den Betrieben und sprangen daher für diese ein", sagt Schaup.

Unklar, wer noch kommt

Probleme bezüglich des Aufenthalts und der Beschäftigungsbewilligungen soll es bei der kommenden Ernte, die in fünf bis sechs Wochen beginnt, keine geben. Am Hof der Mayrs in Ansfelden steht das Team dafür auch bereits großteils schon. "In Summe werden uns wieder zehn polnische Arbeitskräfte unterstützen, einige ukrainische Frauen und auch ein paar Männer", sagt Gurkerlbauer Mayr. Welche ukrainischen Männer von der im Jänner fixierten Kontingentliste dann wirklich kommen, wisse man aber noch nicht. Manche sind bereits im Schengenraum, bei anderen erscheint aufgrund der Generalmobilmachung eine Ausreise unrealistisch. "Manche haben wohl darauf gehofft, dass der Krieg bis zur Erntezeit vorbei ist", sagt Gerlinde Mayr.

Aus Sicht des Landwirteehepaars geht es aber auch unabhängig von der Entwicklung im Kriegsgebiet darum, neue Arbeitszeitmodelle zu finden und regionale Produzenten besser zu unterstützen. Denn viele heimische Bauern kämpfen mittlerweile mit der Konkurrenz im Nachbarland Deutschland, wo Saisonniers den gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde erhalten. "Da ist die Attraktivität gewachsen, wenn ein Arbeiter einfach um 150 bis 200 Kilometer weiter fährt und dort netto mehr auf die Hand kriegt", sagt Stefan Hameder, Referent für Gemüsebau in der Landwirtschaftskammer Oberösterreich. Hinzukommt, dass es nur in Italien höhere Sozialabgaben auf der Arbeitgeberseite in der Landwirtschaft gibt als in Österreich. "Das bedeutet Marktanteils-, Flächen- und schlussendlich auch den Verlust zahlreicher Landwirte", sagt Hameder.

Nach Ansicht von Gurkerlbauer Mayr lässt die Betriebsstruktur der österreichischen Gemüsebauern bereits heute keine Eigenversorgung des heimischen Marktes mehr zu. "Kommen dann noch weitere globale Verwerfungen dazu, würden wir auch in Österreich leere Regale wie in Großbritannien sehen", sagt der Landwirt. Mayr geht es aber nicht primär um eine Senkung der Abgaben. "In den Supermarkt-Regalen stehen Produkte, die unter verschiedensten sozialen Standards produziert wurden. Da braucht es ein Bewusstsein dafür, dass man mit heimischer Ware Geld in die Sozialtöpfe einzahlt, das wir so dringend benötigen", so der Gurkerlbauer.