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"Die 30-Stunden-Woche wäre ideal"

Von Claudia Peintner

Wirtschaft

Mehr freie Jahre um die Lebensmitte, dafür länger arbeiten im Alter.
| "Die soziale Absicherung sollte nicht mehr nur an Beruf und Betrieb gebunden sein." | Jobs der Zukunft in IT und Tourismus.


"Wiener Zeitung": Was lässt sich aus der Geschichte der Arbeit für die Zukunft ableiten?

Josef Ehmer: Man kann lernen, dass die Definition von Arbeit variabel ist. Wenn wir heute von Arbeit sprechen, meinen wir ausschließlich bezahlte Erwerbsarbeit. Erwerbsarbeit hat sich erst in der Neuzeit und im späten Mittelalter etabliert. Wenn wir in Zukunft Arbeit in Blick nehmen, müssen wir fragen, welche anderen Formen von Arbeit gibt es auch in unserer Gesellschaft und hat es in der Geschichte immer gegeben? Dazu gehören Hausarbeit, Pflegearbeit, Freiwilligenarbeit und Ausbildung. Hausarbeit war 150 Jahre lang eine Aufgabe von Hausfrauen, vorher von Mägden. Es könnte sein, dass in Zukunft wieder Verlagerungen stattfinden. Vom Pizzaservice bis zur schwarzarbeitenden Putzfrau.

Welche Ereignisse haben in der Vergangenheit einen Wandel der Arbeitswelt bewirkt?

Verallgemeinernd kann man sagen, dass das Wirtschaftswachstum und der Wandel der wirtschaftlichen Sektoren die Tätigkeiten verändert haben.

Zukunftsforscher sprechen von Parallelarbeitern, Brotjobbern und Jobwechslern, die in der Arbeitswelt Usus werden. Ein Mythos?

Ich denke schon, dass in diesen Entwicklungen ein wahrer Kern steckt. Dass Menschen im Laufe ihres Lebens bei unterschiedlichen Arbeitgebern und in verschiedenen Berufen tätig sind, hat es immer gegeben. Das zeigen Memoiren und Autobiografien. In den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts hat das vielleicht etwas abgenommen. Jetzt ist es aber wieder im Zunehmen, da durch die schnelle technologische Entwicklung neue Arbeitsfelder geschaffen werden. Das ist eine Herausforderung an das Bildungssystem. Die Vorstellung, dass man seine Ausbildung mit 24 Jahren an der Universität abschließt und das fürs Leben reicht, ist absurd.

Was sollte Ihrer Meinung nach passieren?

Ich hielte es für vernünftig, die erste Phase der Ausbildung zu verkürzen und dafür im Laufe des Lebens immer wieder zwei bis drei Jahre eine Ausbildung einzuplanen, ohne zu arbeiten oder parallel dazu verkürzt zu arbeiten. In den letzten Jahrzehnten ist das größte Ausmaß an Freizeit im letzten Lebensdrittel entstanden - durch Frühpensionierungen. Das Arbeitsalter wird sich in Zukunft verlängern - vor 100 Jahren war es selbstverständlich, jenseits der 65 zu arbeiten -, dafür werden größere Freizeitphasen in den 30er und 40er Jahren verankert werden. Dass Sabbatical-Angebote zunehmen, ist ein Indiz dafür.

Welcher Form von Arbeit werden wir in Zukunft nachgehen?

Es wird eine stärkere Vermischung von Arbeitsformen geben. Zwischen 30 und 50 werden wir nicht nur Erwerbsarbeit nachgehen, sondern auch Bildungsarbeit, Familien- und Pflegearbeit.

Arbeiten, die unbezahlt sind?

Es stimmt, dass Auszeiten eine finanzielle Basis brauchen. In den letzten Jahren ist der allgemeine gesellschaftliche Wohlstand jedoch kontinuierlich gestiegen. Es ist also eher eine Frage der Umverteilung des gesellschaftlichen, aber auch persönlichen Einkommens. Investiere ich es auch, um mir neue Freiräume zu schaffen, und Ausbildungen zu finanzieren?

Wie kann die Politik diesen Wandel unterstützen?

Sie müsste sich nur der Realität stellen und nicht meinen, dass Ausbildung eine Aufgabe der Schule, der Fachhochschulen und Universitäten ist und mit 24 Jahren abgeschlossen ist. Es geht auch ein bisschen in die andere Richtung. Die Ausbildung beginnt ja immer früher. Wir sind gerade in einer Phase, in der das Kindergartenwesen sich stark ausweitet. Das ist auch eine Tendenz, die die Ausbildung vor dem Beginn der Schulpflicht verlängert.

Es gibt Thesen, die behaupten, bis 2020 verliert die Arbeit ihre Bindung an Bürosessel und Zeit.

Wenn man sich Umfragen anschaut, dann kommt heraus, dass die Teilzeit-Beschäftigten ein paar Stunden mehr und die Vollzeitbeschäftigten ein paar Stunden weniger arbeiten möchten. Von den Wünschen der Menschen her wäre eine 30-Stunden-Woche für alle das Ideal.

Junge Berufseinsteiger müssen sich darauf einstellen, dass auf sie unbezahlte Praktika, keine Fix-Anstellung und Arbeiten unter ihren Qualifikationen, warten. Was sind die Gründe dafür?

Das ist schwer einzuschätzen. Eine These, die ich für sehr plausibel halte ist: Es könnte sein, dass das die Kehrseite einer hohen sozialen Absicherung der Arbeitskräfte mittleren Lebensalters ist. Jüngere Leute haben es somit schwer hineinzukommen. Gerade Länder wie Italien und Frankreich zeichnen sich dadurch aus, dass eine sehr hohe Stabilität der Arbeitsverhältnisse für diejenigen herrscht, die bereits drinnen sind.

Ein Umstand, mit dem man also bis zur nächsten Pensionswelle leben muss?

Es könnten in diesen Verhältnissen auch strukturelle Umwälzungen zum Ausdruck kommen. Die industrielle Revolution hatte die Vernichtung vieler traditioneller Arbeitsplätze zur Folge. Gesamtwirtschaftlich gesehen hat sich nach einigen Jahrzehnten aber ein so starkes wirtschaftliches Wachstum in Gang gesetzt, dass die Nachfrage nach Arbeitsplätzen anderer Sektoren die potentiellen Arbeitskräfte aufgefangen hat. Und das könnte in der aktuellen Übergangsperiode zur Dienstleistungsgesellschaft jetzt auch der Fall sein. Die Frage ist, findet der Wandel der Arbeitsmärkte gleich schnell statt?

Wie lässt sich diese Gruppe sozial abfedern?

Wir müssen überlegen, ob ein Netz sozialer Sicherung weiterhin noch so stark wie im 20. Jahrhundert an den Beruf und an den Betrieb gebunden sein kann. Oder ob nicht überbetrieblichen Formen wie Sozialhilfe stärker aufgewertet werden sollten.

In welchen Branchen entstehen die Jobs der Zukunft?

Alles, was mit Telekommunikation und elektronischer Datenverarbeitung zu tun hat, wird weiterhin noch wachsen. Je mehr Freizeit wir konsumieren, desto mehr steigt auch der Bedarf im Bereich Unterhaltung und Tourismus. An Bedeutung gewinnen werden auch private Dienstleistungen - vom Pizzaservice bis hin zur Haushaltshilfe.

Zur Person: Josef Ehmer ist seit 2005
Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien.
Sein Forschungsschwerpunkt: Die Geschichte und Praxis der Arbeit.