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"Chance zu scheitern stand noch nie so gut"

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Scheucher: Spitzenleistungen sind meist viele Niederlagen vorausgegangen.


Wien. Während Erfolge hochgejubelt werden, kehren Menschen Niederlagen lieber unter den Teppich. Warum man Scheitern in die Karriere einplanen muss und wie Berufstätige und Unternehmer mit Niederlagen umgehen, erklärt Unternehmensberater und Buchautor Gerhard Scheucher.

"Wiener Zeitung": Müssen wir uns künftig an berufliche Niederlagen gewöhnen?

Gerhard Scheucher: Der Umgang mit Scheitern wird zu einer Schlüsselqualifikation im 21. Jahrhundert werden. Die Chance zu scheitern stand noch nie so gut. Früher hat eine gute Ausbildung gereicht, um ein Leben lang beruflich zu reüssieren. Mittlerweile haben wir aber eine Lebensgeschwindigkeit erreicht, bei der sich Berufstätige laufend weiterqualifizieren müssen. Auch Produktzyklen sind kürzer geworden. Übersieht man den richtigen Zeitpunkt, um sich weiterzubilden, oder ist eine Produktidee nicht mehr gefragt, besteht die Gefahr zu scheitern. Daher werden künftig mehr Menschen von Misserfolgen betroffen sein.

Gehören Niederlagen zum Erfolg dazu?

Man muss sich bewusst machen, dass jeder tagtäglich scheitert, auch wenn es nur kleine Misserfolge sind. In der Gesellschaft wird eine Erfolgs-Scheinwelt vorgegaukelt, in Realität besteht das Leben aber aus Aufs und Abs. Wir wollen nur den Erfolgsmoment wahrnehmen - dem sind aber bei Spitzenleistungen viele Niederlagen vorausgegangen. Erfinder Thomas Edison hat um die 9000 Kohlefäden ausprobiert, bis die Glühbirne dauerhaft geleuchtet hat - er brauchte eine hohe Leidensfähigkeit. Das Beispiel zeigt, dass es sich sehr oft lohnt, bei Erfolgen nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Geschichte dahinter zu beleuchten.

Kann man lernen, mit Misserfolgen umzugehen?

Lernen setzt Offenheit voraus. Weil die Gesellschaft in Österreich bei Niederlagen lieber wegschaut und daher Scheitern als Tabu gilt, fehlt vielen die nötige Reflexion und der Austausch darüber. Das Sichtbarmachen von Fehlern führt jedoch dazu, dass andere diesen nicht mehr machen. Daher sollten Fehler in Unternehmen reflektiert werden, um sie künftig zu verhindern.

Wird berufliches Scheitern in der Gesellschaft akzeptiert?

Wenn es jemanden auf die Schnauze haut, erntet er von seinem Umfeld Schadenfreude. Erfolge werden hingegen gar nicht wahrgenommen. Gesellschaftlich akzeptiert ist Arbeitslosigkeit als eine Form des Scheiterns. Wenn allerdings ein Unternehmer Schiffbruch erleidet, ist er in der Öffentlichkeit stigmatisiert.

Hier muss die Gesellschaft umdenken: Es gibt immer weniger klassische Unternehmen, und viele Ein-Personen-Unternehmen sind zur Selbständigkeit gezwungen, weil sie am Arbeitsmarkt keine Chance haben. Fällt dann ein Haupt-Auftraggeber weg, ist das Ende der Fahnenstange meist erreicht. In Finnland ist beispielsweise der 13. Oktober der nationale Tag des Misslingens. Das zeigt, dass Scheitern zum Erfolg dazugehört.

Welchen Rat können Sie Berufstätigen geben, um Misserfolge zu meistern?

Mein Rat lautet: Stehe einmal öfter auf, als du hinfällst. Das gilt beim Erreichen von Zielen ähnlich wie bei einem Kleinkind. Vorausgesetzt, die Ziele sind realistisch und das Umfeld passt, sollte man einen zweiten Anlauf wagen. Ein längerer Atem ist der Schlüssel zum Erfolg.

Gerhard Scheucher ist ein international tätiger Strategie- und Kommunikationsberater. Der Autor von Büchern wie "Die Kraft des Scheiterns" und "Die Aufwärtsspirale" spricht am Donnerstag, den 20. Oktober, auf dem Congress des DMVÖ (Dialog Marketing Verbandes Österreich) in Wien zum Thema "Stolpersteine sind Glücksschweine".