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Eine gemischte Bilanz des Jahres

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Die Krise ist noch nicht vorbei - doch der ganz große Horror blieb 2011 aus.


Auf den ersten Blick ist das zu Ende gehende Jahr nicht schlecht gelaufen: Das Bruttoinlandsprodukt wächst um rund 3,2 Prozent, Österreichs Wirtschaft hat sich wacker geschlagen.

Insbesonders die Lage am Arbeitsmarkt war stabil: Die Arbeitslosenquote sank tendenziell sogar - von 8,5 Prozent im Jänner auf 5,9 Prozent im November. Salzburg und Oberösterreich können mit den besten Werten aufwarten, Wien ist Schlusslicht. Das Arbeitsmarktservice registrierte kürzlich 215.700 Arbeitslose und durfte sich über einen deutlichen Rückgang freuen. Die Situation bei Langzeitarbeitslosen verbesserte sich ebenso wie die der joblosen Jugendlichen. Mit fast 4,2 Millionen Erwerbstätigen im dritten Quartal wurde sogar ein Allzeithoch der Beschäftigung erzielt.

Die Computer der Statistik Austria sorgten, mit wenigen Ausnahmen, für erfreuliches Datenmaterial: Österreichs Staatsschulden, die Mitte des Jahres 213 Milliarden Euro betrugen, stiegen zwar verlässlich, und die Inflationsrate lag ab Februar konstant über der Drei-Prozent-Marke (mit dem Hoch von 3,6 Prozent im November), dennoch war in den meisten Bereichen lange von Krise keine Rede: Die Umsätze der Dienstleistungsbetriebe etwa stiegen in den ersten neun Monaten, verglichen mit dem Vorjahreszeitraum, nominell um 3,9 Prozent. Die Handelsfirmen verzeichneten im selben Zeitraum ein Plus von 5,9 Prozent, das sich allerdings etwas abflachte: Inflationsbereinigt setzte es im dritten Quartal bereits einen Rückgang um 0,8 Prozent.

Tourismus feiert Rekorde

Die Tourismusbranche hatte keinen Grund zur Klage: In der Wintersaison 2010/11 schaffte sie mit 15,7 Millionen Gästen ein Rekordergebnis; in der Sommersaison wurde mit 64 Millionen Nächtigungen sogar das beste Resultat seit 1995 erzielt, wobei die 12 Millionen ausländischen Urlauber für ein sechsprozentiges Plus sorgten. Auch die Landwirtschaft dürfte das auslaufende Jahr in guter Erinnerung behalten: Das reale Agrareinkommen wird laut vorläufigen Berechnungen dank höherer Erntemengen im Acker-, Gemüse- und Obstbau, aber auch dank der gestiegenen Erzeugerpreise, etwa bei Milch und Fleisch, gegenüber dem Vorjahr um 12 Prozent zunehmen.

Der Export-Motor läuft

Für die angenehmste Überraschung sind allerdings die rot-weiß-roten Exportfirmen zuständig: Laut Statistik Austria stiegen die Ausfuhren im Zeitraum Jänner bis September um mehr als 14 Prozent auf 91 Milliarden Euro - die Importe nahmen sogar um etwa 17 Prozent auf 97 Milliarden zu. Aufs ganze Jahr hochgerechnet werden Österreichs Exporteure weltweit Waren im Wert von 121 Milliarden Euro verkauft haben, was gegenüber dem Vorjahr 11 Prozent Zuwachs bedeutet - das bislang beste Ergebnis überhaupt.

Der Boom ist nicht zuletzt den hinlänglich bekannten Exportkaisern zu danken, die einen Riesenauftrag nach dem anderen an Land ziehen konnten. Top-Firmen wie Andritz, Rosenbauer, Doppelmayr oder Siemens Österreich glänzten auch heuer in aller Welt: Der Grazer Anlagenbauer kam beispielsweise bei einem Staudammprojekt im Amazonas-Regenwald zum Zug. Der führende Hersteller von Feuerwehrfahrzeugen wiederum konnte das saudi-arabische Innenministerium sowie den staatlichen Flughafenbetreiber Brasiliens als Kunden gewinnen. Der Vorarlberger Seilbahnspezialist erhielt den Zuschlag für ein Projekt am Mont Blanc. Siemens Österreich sicherte sich in Warschau einen Megaauftrag über die Lieferung von 35 Garnituren der neuen U-Bahn "Inspiro".

Österreich international tätige Bau-Riesen trumpften ebenfalls unentwegt auf: Die Strabag etwa wird für 150 Millionen Euro die Ausbauarbeiten eines Hafengeländes in Oman übernehmen, die Porr AG in Deutschland um 200 Millionen ein 90 Kilometer zweigleisig geführtes Teilstück der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke Erfurt-Halle bauen.

Und die Alpine schloss mit der bulgarischen Straßenbaubehörde einen Vertrag über die Sanierung einer 100 Kilometer langen Bundesstraße ab.

Banken in der Krise

Während das Exportbusiness heimischen Industrie-Konzernen zahllose Erfolgserlebnisse beschert hat, blieben solche den Kreditinstituten weitgehend verwehrt: Die vor zwei Jahren notverstaatlichte Hypo Alpe Adria etwa musste zwecks Verlustausgleichs ihr Grundkapital herabsetzen und braucht dringend eine Geldspitze in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Die Österreichische Volksbanken AG (ÖVAG) wiederum fiel beim europaweiten Stresstest durch und musste daraufhin ihre Osteuropa-Holding VBI versilbern - die russische Sberbank wird zwischen 500 und 600 Millionen Euro berappen.

Die Erste Group musste zur allgemeinen Überraschung einen Verlust von 1,5 Milliarden Euro für das dritte Quartal eingestehen - ihr Boss Andreas Treichl musste nach seiner Politiker-Beschimpfung darob viel Spott einstecken.

Seit Ende Oktober in Brüssel beschlossen wurde, dass Europas systemrelevante Banken ihr hartes Kernkapital bis Mitte 2012 auf neun Prozent zu erhöhen haben, ist die Nervosität in der Bankenbranche weiter gestiegen. Die RZB-Gruppe etwa muss 2,2 Milliarden Euro aufstellen und hat im Handumdrehen signalisiert, sich aus einigen Ostmärkten zurückziehen zu wollen, darunter aus Slowenien oder der Ukraine. Die krisengeschüttelten Volksbanken, die heuer einen Verlust von bis zu 1,2 Milliarden hingelegt haben, müssen sich künftig im Zuge der nötigen Redimensionierung auf das Kerngeschäft konzentrieren und sich daher etwa von ihren Immo- und Leasing-Engagements trennen sowie Personal abbauen.

Auch andere Großunternehmen sind in beträchtliche Turbulenzen geschlittert, wobei es die Telekom Austria am massivsten getroffen hat - nicht nur wegen enttäuschender Halbjahreszahlen: Eine erst jetzt aufgeflogene Kursmanipulation im Jahr 2004, umstrittene Immobiliendeals sowie dubiose Geldflüsse, etwa an die Ex-Infrastrukturminister Hubert Gorbach und Mathias Reichhold, bescherten dem Management um CEO Hannes Ametsreiter viel Unbill und der Firma ein riesiges Imageproblem. Jetzt sorgt Investor Ronny Pecik mit seinem Einstieg für Aufruhr.

Hektische Zeiten durchlebte die burgenländische Energielieferant Bewag: Einstige Millionen-Geschäfte mit dem Ex-Lobbyisten Peter Hochegger, umrankt von wilden Korruptionsvorwürfen, haben deren Ex-Vorstände Hans Lukits und Josef Münzenrieder eingeholt. Die beiden wurden nach ihrem erzwungenen Abschied im vergangenen Jahr fristlos entlassen, die Staatsanwaltschaft Wien nahm sich des Falles an und untersucht den Verdacht der Untreue. Das Duo bestreitet sämtliche Vorwürfe und hat seinen früheren Arbeitgeber geklagt.

AvW und Libro vor Gericht

Eine andere Affäre fand vor Gericht ihr Ende: Wolfgang Auer-Welsbach, Chef der zusammengebrochenen Kärntner Finanzgruppe AvW, wurde nach einem Geständnis zu acht Jahren Haft verurteilt. Er soll laut Anklage rund 12.500 Anleger geprellt und einen Schaden von mehr als 450 Millionen Euro angerichtet haben. Auch Ex-Libro-Chef Andre Rettberg wurde, rund ein Jahrzehnt nach der Pleite, verurteilt: Er fasste, zusätzlich zu einer bereits verhängten Strafe, dreieinhalb Jahre Gefängnis aus. Der einstige Bawag-Boss Helmut Elsner wurde dagegen nach viereinhalb Jahren Haft Mitte Juli auf freien Fuß gesetzt. Schon Ende März war der frühere Hypo-Manager Wolfgang Kulterer in Klagenfurt heil davongekommen: Das Gericht sprach ihn vom Untreuevorwurf frei. Die endlose Causa von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser zählte ebenso zu den Highlights wie die Aufräumarbeiten beim insolventen Mischkonzern A-Tec von Mirko Kovats oder ein ominöses Swap-Geschäft der Stadt Linz aus dem Jahr 2007, das in ein Klagen-Duell mit der Bawag ausartete. Die Bank entledigte sich immerhin zweier anderer Probleme, als es ihr gelang, die defizitären Schuhfirmen Delka (an Salamander) und Stiefelkönig (an Leder & Schuh) zu verhökern.

Für Aufsehen sorgte die Entscheidung der in japanischem Besitz befindlichen Austria Tabak, die Produktion in Hainburg zu stoppen und 320 Arbeitsplätze zu streichen. Schließlich landete Niki Lauda mit dem Totalausstieg aus seiner Airline Flyniki im November einen Supercoup: Der Verkauf an Air Berlin brachte ihm dem Vernehmen nach 40 Millionen ein.

Weniger Pleiten & Schulden

Dass die Krise - was vielfach erst spät erkannt wurde - 2011 prolongiert war, wird in etlichen Bilanzen nachzulesen sein.

Hautnah bekamen das insbesonders jene nahezu 6000 Firmen zu spüren, die Schiffbruch erlitten. In rund 3300 Fällen, um acht Prozent weniger als 2010, wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet, wobei die gesamten Verbindlichkeiten vom KSV1870 auf 2,7 Milliarden Euro geschätzt werden (im Vorjahr waren es 4,7 Milliarden). Bei 2600 Firmen wurde das Verfahren mangels kostendeckendem Vermögen nicht eröffnet.

Der Konkurs der Wiener Immobiliengruppe R-Quadrat, der Zusammenbruch der Güssinger Blue Chip Energy sowie die Insolvenz der Tullner Druckerei Goldmann waren die größten Schlappen. Für eine riesige Pleite sorgte auch die Kärntner Baufirma Plantrans aus Obervellach erst vor wenigen Tagen. Sie ging mit 11 Millionen Euro Schulden baden, rund 350 Gläubiger und 133 Dienstnehmer sind betroffen.

Fazit: Selbst die Pleiten-Statistik beweist, dass 2011 nicht jenes Horror-Jahr war, wie es bisweilen den Anschein hatte.