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"Wahl zwischen Pest und Cholera"

Von Andrea Möchel

Wirtschaft
Kopfweh bereiten vielen Ein-Personen-Unternehmen die Beiträge zur Sozialversicherung.
© © jggordienko - Fotolia

Ur-Befragung der SVA stößt auf heftige Kritik.


Wien. Es hätte eine echte Pioniertat werden können: Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) befragt derzeit ihre Mitglieder erstmals zu wesentlichen Versicherungsfragen wie Selbstbehalten und Beitragshöhen. "Es ist unser Ziel, einen Meilenstein für eine bessere soziale Absicherung von Kleinstunternehmern zu setzen", begründet Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), die Mitglieder-Befragung. Bei vielen Selbständigen verursachen Form und Inhalt der "Ur-Befragung" nun aber eher Empörung als Euphorie.

Arme Selbständige

Dabei brennt bei vielen der 240.000 Ein-Personen-Unternehmen (EPU) längst der Hut: Fast zehn Prozent der Selbständigen sind armutsgefährdet, 50 Prozent der SVA-Versicherten haben Einkommen unterhalb der Mindestbeitragsgrundlage. Zugleich verzweifeln immer mehr Kleinstunternehmer an den Forderungen der SVA, die auch dann gnadenlos eingetrieben werden, wenn Aufträge und Honorare ausbleiben. Ans Licht gebracht wurden die Härten des gegenwärtigen Versicherungssystems vor allem von der unabhängigen Interessenvertretung "Amici delle SVA". An deren Protesten konnte die SVA schließlich nicht mehr vorbei, und so lud die Wirtschaftskammer die Amici und andere EPU-Initiativen dazu ein, an der Themenfindung zur Ur-Befragung mitzuarbeiten. Diese fühlen sich nun brüskiert.

"Laut WKO soll die Ur-Befragung dazu dienen, sich gezielt für die wesentlichsten Anliegen der 240.000 EPU in Österreich einzusetzen", ärgert sich Martina Schubert, Leiterin des Forums zur Förderung der Selbständigen, die gemeinsam mit dem Kabarettisten und "Amici delle SVA"-Sprecher Werner Brix Mitglied jener Expertengruppe war. "Der Fragebogen wird jedoch an alle 500.000 Versicherten versendet. Ob jemand EPU ist oder nicht, ob aktiv oder in Pension, ob mit Gewerbeschein oder als Neuer Selbständiger tätig, wird gar nicht erst abgefragt." Die Versicherten werden per Fragebogen unter anderem gebeten, ihre Prioritäten für einzelne Gesetzesänderungen bekanntzugeben. Neun Themen stehen zur Auswahl, von denen man lediglich drei ankreuzen darf. "Unter den Vorschlägen befinden sich Themen, die zwar nur eine Minderheit betreffen, diese aber mit voller Härte", gibt Schubert zu bedenken.

Zankapfel Selbstbehalte

So werden die Beiträge von zehn Prozent der Versicherten von der SVA per Exekution eingetrieben, plus 8,88 Prozent Verzugszinsen. Schubert: "Wenn 90 Prozent der Befragten gar nicht wissen, wie hart bei Zahlungsverzug vorgegangen wird, wird das Thema schwer unter die Top-Prioritäten kommen."

Für Ärger sorgt auch die Frage zum leidigen Thema Selbstbehalte. "Die SVA hat derzeit in der Krankenversicherung eine ausgeglichene Gebarung, das heißt, die Ausgaben werden durch die Versicherungsbeiträge gedeckt", kann man dem Text der Befragung entnehmen. "Was wäre Ihnen persönlich lieber: die Beibehaltung des Selbstbehaltes und keine Erhöhung der Versicherungsbeiträge oder die Abschaffung des Selbstbehalts und eine Erhöhung der Versicherungsbeiträge?"

"Für die vielen Geringverdienenden kommt das der Wahl zwischen Pest und Cholera gleich", ätzt Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft. Zudem habe die SVA zwischen 2003 und 2010 einen Überschuss von 124 Millionen Euro erwirtschaftet, rechnet Martina Schubert vor. "Es wäre also durchaus möglich, die Selbstbehalte zumindest bei Geringverdienern abzuschaffen, ohne die Versicherungsbeiträge zu erhöhen."

Ungerechtes System

Auch die Fragestellung zum Thema "Umverteilung" sorgt für Verärgerung. "Was wäre Ihnen lieber? Alle Versicherten der SVA sollen einen nach Einkommen gestaffelten Versicherungsbeitrag leisten, oder Selbständige mit geringen Einkünften sollen bei aufrechtem Versicherungsschutz von den Beiträgen befreit werden, dafür werden die Beiträge der anderen entsprechend erhöht?"

Die Art der Fragestellung sei eindeutig manipulativ, meint Schubert. "Es wird suggeriert, dass das bestehende System gerecht sei, dabei ist das Beitragssystem der SVA regressiv gestaltet." Das bedeutet: Je mehr ein Selbständiger verdient, desto weniger zahlt er prozentuell an Sozialversicherungsbeiträgen. Die Versicherten, die wenig verdienen, zahlen somit prozentuell die höchsten Beiträge.

Amici-Sprecher Werner Brix hat angesichts der Ur-Befragung offenbar die Nase voll. "Es wird Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und zu kämpfen", fordert Brix. "Immerhin gibt es mehr EPU und Neue Selbstständige, als die größten österreichischen Unternehmen - von Voest bis ÖBB - insgesamt an Mitarbeitern beschäftigen."