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Das Kloster der ausgestorbenen Berufe

Von Werner Grotte

Wirtschaft

In der 700 Jahre alten Kartause Mauerbach beten schon lange keine Mönche mehr. Heute befindet sich hier die Schaltzentrale jener Spezialisten, ohne die kein Baudenkmal in Österreich mehr stehen würde: die Lehrwerkstätten des Bundesdenkmalamtes.


Wer durch die beschauliche Wienerwaldgemeinde Mauerbach fährt, passiert unweigerlich ein großes, geheimnisvolles Gemäuer - die Kartause Mauerbach. Welche Schätze die 1314 errichtete und nach Zerstörung durch die Türken 1616 wieder aufgebaute Anlage verbirgt, wissen allerdings wenige. Denn Mönche beten hier schon lange keine mehr. Die mussten bereits 1782 im Zuge der Profanisierung durch Kaiser Joseph II. ausziehen. Fortan diente das Kloster als Armen- und Siechenheim. 1984 übernahm das Bundesdenkmalamt (BDA) die desolate Anlage und hat im Zuge der Restaurierung darin einen der exklusivsten Expertenklubs Europas etabliert: die BDA-Lehrwerkstätten. Hier werden die Geheimnisse nahezu ausgestorbener Handwerke bewahrt, erforscht und weitergegeben.

Von links: Die Kartause Mauerbach beherbergt heute die Lehrwerkstätten des Bundesdenkmalamtes; Mineralien-Mörser; Lehmziegel mit Mauerbach-Wappen
© © Andreas Pessenlehner

Ohne die hier ausgebildeten und organisierten Spezialisten wären Touristenmagneten wie Schönbrunn, Belvedere, Steffl oder Otto Wagner-Kirche bald dem Verfall preisgegeben. Fensterrestaurator, Naturfarbenerzeuger, Stukkateur, Stuckmarmor-Hersteller, Ziegelbrenner, Kalkbrenner, Schmied, Glasbläser - alles Handwerker, deren Können oder Produkte in der modernen Bauwelt kaum noch vorkommen.

"Priorin" als Chefin

"Wenn wir Baudenkmäler restaurieren, können wir nicht einfach Kunststoff-Fenster oder Laminatböden einsetzen. Das gleiche gilt für Mauerputz oder Anstriche. Beim Denkmalschutz ist möglichst authentische Verwendung originaler Materialien und Techniken oberstes Gebot", sagt Lehrwerkstätten-"Priorin" Astrid Huber. Seit zehn Jahren leitet die 38-Jährige das "Kloster der ausgestorbenen Berufe", schon davor werkte sie hier weitere zehn Jahre im Rahmen ihres Kunstgeschichte-Studiums. Und kennt das Kloster wie ihre Westentasche.

"Die meisten Leute wissen gar nicht mehr, wie Natur-Farben oder -Verputze ausschauen", sagt Pigmentfarbenerzeuger Stefan Enzinger. Vor ihm stehen etwa 50 Probegefäße mit verschieden bunten Pulvern. "Ich geh‘ noch selbst in die Dörfer zu den Alten und lasse mir die besten Mineralien-Plätze zeigen", erzählt der Kleinunternehmer aus St. Georgen bei Salzburg. Farben, Nuancen und Wert der Mineralien sind höchst unterschiedlich: "Da gibt es etwa Tiroler Ocker oder Salzburger Blau, Ocker ist billig, der Kilo zehn Euro, Blau aus Lapislazuli ist teuer, der Kilo 38.000 Euro. Deshalb war Blau auch jahrhundertelang die Farbe der Reichen", weiß Enzinger.

Die jeweiligen Steine werden zerrieben, gesiebt und mit Leinöl gemischt - fertig. Der Unterschied zu den genormten Industriefarben (RAL) auf Erdölbasis ist die Körnung, die bei Pigmentfarben im Verhältnis 80:2 größer ist. "Entsprechend stärker ist die Lichtbrechung, es entsteht ein typischer Farbton, mit der Betonung auf Ton, in verschiedenen Nuancen, eben nicht normiert. Leute, die Einheitsfassaden gewohnt sind, können damit wenig anfangen", so Enzinger.

800 Jahre haltbar

Ähnliches weiß Baufachmann Karl Stingl. Er arbeitet mit natürlichen Putzen und Mörteln aus Kalk, Tonerde und Sand. "Wir haben historische Gebäude, wo solche Putze seit 800 Jahren halten. Da kommt kein modernes Produkt mit", erklärt der studierte Geologe. Zudem genüge es bei Naturputzen, lediglich Schadflächen zu ergänzen, anstatt, wie heute üblich, die ganze Fassade abzuschlagen. Das ergänzte Material gleiche sich nach gewisser Zeit farblich an das alte an, wie Stingl an den Übungsfassaden der Kartause eindrucksvoll demonstriert. Nur noch schwache, helle Flecken zeigen, wo ausgebessert wurde.

Besonders schlimm seien sogenannte "Betonsanierungen", wie sie von der Nachkriegszeit bis weit in die 1980er Jahre hinein üblich waren. "Beton ist viel härter und dichter als natürliche Baustoffe, er nimmt Spannungen anders auf. Die größten Schäden entstehen aber durch gestautes Regenwasser hinter dem Beton", sagt Huber. Immer wieder müsse man Baudenkmäler von solchen "Sanierungen" befreien, teils mit beträchtlichem Aufwand.

Maß-Ziegel mit Wappen

Wie zur Bestätigung lässt Alois Falkinger einen rohen Lehmziegel mit Mauerbach-Wappen aus der Holzform auf die Arbeitsfläche krachen und stapelt ihn dann auf den Stoß zum Brennen. "Ich bin der letzte kommerzielle Ziegelmacher Österreichs. Bei mir bekommt man Kleinserien von Ziegeln oder Bodenplatten in Sondergrößen, auf Wunsch mit Wappen oder Initialen", erklärt der bärtige Kärntner. Der gelernte Müller führt seinen Ein-Mann-Betrieb in Grafenstein bei Klagenfurt seit 17 Jahren und fertigt vor allem Material für Baudenkmäler. "Ein gut gebrannter Ziegel ist quasi ewig haltbar. Nicht umsonst ist der schlichte, gebrannte Lehmziegel der älteste vom Menschen hergestellte Baustoff, den es seit etlichen tausend Jahren gibt."

In Ziegelwurfweite von Meister Falkinger bestrahlt Fenster-Restaurator Johannes Mosler aus dem deutschen Hessen ein altes Holzkastenfenster mit einem seltsamen Apparat. "Wir nennen das ‚zerstörungsfreies Ausglasen‘, indem wir den alten Kitt mittels Infrarotlampe erhitzen, damit wir ihn dann leicht herauslösen können, ohne Holz oder Glas zu beschädigen", erklärt Mosler. Gemeinsam mit seiner akademischen Kollegin Christine Rotter aus Braunau demonstriert er historischen Leinöl-Anstrich. "Im Gegensatz zu Petrolfarben dichtet Leinöl das Holz nicht völlig ab, sondern lässt es atmen", so Mosler. Der Lack wird auch nicht blättrig und braucht zur Erneuerung nicht abgeschliffen zu werden. Da Leinöl verdunstet, bleibt der Farbpigmentstaub im Holz übrig, der mit frischem Leinöl wieder belebt wird.

"Priorin" Astrid Huber in historischem Fenster
© © Wiener Zeitung

Fenster-Mysterien

Der Begriff "Kunststoff-Fenster" ruft bei den Experten nur Kopfschütteln hervor. Abgesehen vom Material, das wie Styropor nach 20 Jahren Sondermüll darstelle, seien Holzfenster quasi "unendlich" reparierbar; Kitt, Glas, Holz und Beschläge ließen sich immer wieder erneuern. Man schaffe damit auch besseres Raumklima.

"Ein altes Holzkastenfenster besteht aus eher luftdurchlässigen Außen- und eher dichten Innenscheiben. Dazwischen liegen 18 Zentimeter Luftpolster. Die Innenscheibe wird stets warm und trocken sein", weiß Rotter. Ein modernes Isolierglasfenster sei nur zwei Zentimeter dick und trotz seiner Dichtheit feucht und eiskalt, "eine Katastrophe für Raumklima und Heizkosten".

"Kling, klong". Klingt wie in einem Ritterfilm - und sieht auch so aus, wenn Schmied Siegfried Steiner den Hammer über dem Amboss schwingt und einen Türbeschlag herstellt. Auch er führt einen Kleinbetrieb mit sieben Angestellten in Stockenboi am Kärntner Weissensee, mit einer Filiale in Wien. Derzeit arbeitet er bei der Sanierung der Werkbundsiedlung in Wien-Hietzing mit. "Wir machen halt noch so Sachen wie Aus- oder Einbleien, wo andere die Flex nehmen", so Steiner, dessen Firmenchronik bis 1709 zurück reicht.

Flüssiges Metall

Bei großen Metallkonstruktionen wie der Nordtreppe bei Schloss Schönbrunn wurden früher die Teile mit flüssigem, modellierbarem Blei verbunden. "Das macht die temperaturbedingten Spannungen in Stein und Metall optimal mit und lässt sich ebenso einfach wieder demontieren", beschreibt Steiner. Leider wüssten das viele Handwerker nicht und würden das Metall mit der Flex kappen, sandstrahlen und dann wieder zusammenschweissen. "Dadurch wird viel zerstört, auch der früher aufgebrachte Schutzfilm aus Bleiminium gegen Rost. Weil das alte Metall dafür nicht geeignet ist, reißen und rosten die Schweißnähte sehr leicht", klagt Steiner. Wo kein Blei eingesetzt werden kann, arbeitet er daher mit Nieten: "Die sind elastisch und leicht ersetzbar."

Eine früher sehr gefragte, heute aber kaum noch praktizierte Profession beherrscht Stefan Ernetzl: die Herstellung und Verarbeitung von Stuckmarmor, einer beliebig modellier- und färbbaren Masse aus Gips, Wasser, Leim und Farbpigmenten. "In der Barockzeit, wo dieses Material seine Hochblüte hatte, war weder ausreichend Marmor in so großen Stücken verfügbar, noch hätte man diesen von den Vorkommen in Afrika oder Italien zu uns transportieren können", weiß der akademische Maler und gelernte Stuckateur. Gewisse damit herstellbare "Marmor"-Färbungen gebe es in der Natur so gar nicht.

Marmor aus Gips

Das Bearbeiten der Masse ist hohe Handwerkskunst. Die Oberflächen müssen immer wieder geschliffen, neu verschmiert und wieder geschliffen werden, bis auch die kleinsten Poren beseitigt sind. "Ohne Stuckmarmor hätten wir keine Barockkirchen oder -Schlösser. Altäre, Säulen, Statuen; alles wurde daraus gemacht und er war teils teurer als echter Marmor. Nur für Nassräume eignet er sich aufgrund des Gipsanteiles nicht."

Im Kartausenhof wird zur Saison-eröffnung Anfang Juni stets Kalk gebrannt. Drei Tage lang muss alle 15 Minuten Holz nachgelegt werden - eine erste Motivationsprüfung für Studenten, die hier ihre Ausbildung beginnen. "Der Brandkalk wird mit Wasser gelöscht und dann im Rahmen unserer Restaurier- und Lehrprojekte hier verarbeitet", erklärt Astrid Huber. Denn Kalk ohne chemische Zusätze finde man im Baustoffhandel kaum.

Echte Angestellte hat Huber nur fünf - dafür aber ein Netzwerk an Spezialisten bis hin zur Glashütte Lambers in Bayern, einer der letzten drei Glasbläsereien der Welt, die noch denkmal-taugliches Glas produzieren. Während im Sommer eher außen gelehrt und restauriert wird, finden im Winter hier meist theoretische Seminare und Kurse statt. "Platz haben wir genug und alte Gemäuer auch." Als größte Herausforderung für den Denkmalschutz sieht Huber die zunehmende Zahl "stillgelegter" Kirchen oder Klöster. Wer soll die künftig erhalten oder restaurieren?

Artikel erschienen am 17. August 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 4-7

Info & Kursprogramm:
BDA-Lehrwerkstätten, Kartäuserplatz 2, A-3001 Mauerbach, T: 01/97 98 808, E-Mail: mauerbach@bda.at, www.bda.at
www.johannes-mosler.de, www.lamberts.de, www.pigmentmanufaktur.com