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Medizin-Apps auf Krankenschein?

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
Den Arzt ersetzen kann das Smartphone nicht - dennoch können digitale Tagebücher die Therapie begleiten und so die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen.
© © jedi-master - Fotolia

Österreichische Firmen mischen bei Entwicklung von Gesundheits-Apps mit.


Wien. Das Handy kann nicht nur an die Einnahme von Tabletten erinnern - über Applikationen unterstützt es Patienten beim Umgang mit ihrer Krankheit und verbessert die Therapietreue. Mobile Helferlein gibt es beispielsweise für chronische Krankheiten wie Diabetes und HIV.

Diabetiker, die ihren Blutzucker unter Kontrolle haben, können Folgeerkrankungen wie Nierenschäden vermeiden - das hilft nicht nur den Patienten, sondern spart auch Kosten im Gesundheitssystem. Bei der Überwachung unterstützt die mySugr-App - ein Diabetestagebuch, in dem Patienten ihre Blutzuckerwerte, die gespritzte Insulinmenge, gegessene Speisen und physische Aktivitäten eintragen - das ganze auf spielerische Weise, mit Punkten und Herausforderungen.

"Weil Diabetes eine von Daten getriebene Krankheit ist, lässt sich aus vergangenen Ereignissen voraussehen, wie man auf Lebensmittel reagiert", sagt Fredrik Debong, Mitgründer des Start-Ups mySugr und selbst seit dem vierten Lebensjahr Diabetiker. "Nutzer können suchen, wie es ihnen das letzte Mal gegangen ist, als sie Käsespätzle gegessen haben."

Das mobile Programm ist seit heuer im April fürs iPhone erhältlich und wurde vom Wiener Unternehmen gemeinsam mit Ärzten und Psychologen gemäß den EU-Normen entwickelt und als Medizinprodukt zertifiziert. Dafür wurde durch qualitative Analyse zusammen mit Ärzten im AKH die Wirksamkeit eines digitalen Tagebuchs bewiesen.

Die eingetragenen Daten können zudem als E-Mail verschickt werden, und somit an den behandelnden Arzt gesendet werden - allerdings nur auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten.

Tagebuch für HIV-Patienten

Zur Therapieunterstützung für HIV-Patienten wurde vergangene Woche die App "Mein positives Tagebuch" in Wien präsentiert, entwickelt vom Pharmaunternehmen MSD mit auf HIV spezialisierten Ärzten sowie Selbsthilfe- und Patientenorganisationen. In das kostenlose Programm können Arzttermine und das Einnahmeschema sämtlicher verordneter Arzneimittel gespeichert und mit einer Erinnerung verknüpft werden. Weiters können das persönliche Befinden, Laborwerte sowie die Gewichtsentwicklung eingetragen werden, um den Krankheitsverlauf zu dokumentieren.

Die App "Rauchfrei durchstarten", "Rheuma AktivApp" und "Darm AktivApp" stammen aus der Kooperation zwischen der Wiener Agentur all about apps und dem Fachverlag MedMedia. "Die Zusammenarbeit mit Ärzten stellt sicher, dass die Inhalte seriös sind", sagt Norbert Striedinger, Chef von all about apps.

In Zusammenarbeit mit Pharmafirmen konzipiert aeskulapp, eine Wiener Mobile-Agentur im Gesundheitsbereich, Therapietreue-Apps. Ein kostenloses Programm für eine "spezielle Patientengruppe" wurde bereits mit Ärzten, Juristen und Beratern entwickelt, steht aber noch nicht zum Download bereit, sagt aeskulapp-Chef Fritz Höllerer.

Vorreiter sind die USA

Während manche Apps kostenlos bereitstehen, zahlen mySugr-Nutzer vier Euro für die Premium-Version derzeit selbst. Noch ab September werden Diabetiker aber im Zuge einer Kooperation mit Sanofi Aventis Austria die Premium-Funktionen gratis nutzen können, kündigt Debong an.

Programme, die vom Arzt verschrieben und deren Nutzung von der Krankenkasse finanziert wird, sind in Österreich noch Zukunftsmusik - im Gegensatz zu den USA: Die "New York Times" zitierte Anand K. Iyer, Chef des IT-Medizin-Dienstleisters WellDoc, dass zwei Versicherungen bereit seien, die monatlichen Kosten von mehr als 100 Dollar pro Patienten für die Diabetes-App WellDoc ab 2013 zu übernehmen. Das Programm wurde als eines von weniger als zehn Apps von der Food and Drug Administration in den USA als Medizinprodukt zugelassen.

Debong ist jedoch zuversichtlich, dass auch hierzulande "Apps in Zukunft auf Krankenschein verschrieben werden. Denn das Management von chronischen Krankheiten passiert hauptsächlich zuhause, nicht im Spital".

Robert Hawlicek, Referent für E-Health in der Österreichischen Ärztekammer, sagt: "Arztbesuche, bei denen nur Blutdruck gemessen wird, sind einsparbar. Eine Arzt-Patientenbeziehung kann eine App aber nicht ersetzen."

Der Markt für Gesundheits-Apps

15.000 bis 20.000 Gesundheits-Apps gibt es laut Schätzungen - inklusive Fitness- und Diätprogrammen. Der Umsatz mit Gesundheits-Apps versiebenfachte sich von 2010 auf 2011 auf 718 Millionen US-Dollar, berechnete der Marktforscher Research2guidance. "Trotzdem ist der Mobile-Health-Markt noch immer in einem embryonalen Status", heißt es. Heuer soll sich der Markt auf 1,3 Milliarden US-Dollar nahezu verdoppeln. Die Zahl der Nutzer, die zumindest eine Gesundheits-App herunterladen, werde sich 2012 zum Vorjahr auf 247 Millionen fast verdoppeln.