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Digitale Schmieden laufen heiß

Von Stefan Meisterle

Wirtschaft
Bund der Einzelkämpfer: Bei Sproing wird Teamarbeit groß geschrieben.
© B.V. Ederer/Photosandmore.at

Qualität wird im globalen Konkurrenzkampf als entscheidendes Kriterium gesehen.


Wien. Hinter dem neuen Wiener Hauptbahnhof herrscht Baustelle – und zwar seit geraumer und auf absehbare Zeit. Gebaut wird hier aber weder an Gleisen noch an Bahnsteigen, sondern an Programmen, Levels und Geschichten: Die Wiener Spieleschmiede Sproing Interactive residiert ausgerechnet an einem unscheinbaren Ort wie diesen. Und das, obwohl sich das Unternehmen mit seinen Titeln für Konsolen, PCs und Smartphones längst ins internationale Rampenlicht gespielt hat. Überraschend ist das aus einem Grund nicht: Denn obwohl die Wiener Software- und Spieleindustrie durchaus beachtliche Erfolge vorweisen kann, ist ihre Existenz im öffentlichen Bewusstsein noch nicht angekommen.

Rund 2,8 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet der Bereich "Software und Games" der Wiener Kreativwirtschaft, nicht weniger als 3000 Unternehmen beschäftigen rund 16.000 Menschen. Nach Angaben der Wirtschaftskammer Wien beträgt der Beitrag der IT-Branche in einem weiteren Sinn zur Wiener Wertschöpfung rund 18 Prozent - und lässt damit ausgerechnet in der Stadt der Theater, Fiaker und Kaffeehäuser bereits selbst den Tourismus alt aussehen.

Spiel mit der Dynamik
So überzeugend diese Zahlen auch sind, so wenig vermögen sie über die Dynamik der Branche auszusagen. "IT-Betriebe wachsen wie Schwammerln aus dem Boden", bestätigt Silvia Payer, die sich mit ihrer Unternehmensberatung Co.Systems Consulting auf kleine und mittelständische Betriebe spezialisiert hat. Was diese Unternehmen gegenüber anderen Branchen auszeichnet, ist, sofern sie die ersten Jahre überstehen, die Bereitschaft, sich ständig neu zu erfinden – auch weil die technologische Entwicklung das erfordert. "IT-Unternehmen zeichnet eine besondere Technologienähe aus, sie haben die Tendenz, einem anwachsenden Arbeitsvolumen mit technischem Knowhow zu begegnen", befindet Payer. Doch die Wiener Spiele- und Softwarebranche kann mehr, als lediglich der Technologie zu folgen. Denn das Image von Software-Entwicklern als einsamen Programmierern, die in stillen Kämmerchen zu Werke gehen, ist längst überholt. Vielmehr pflegen die Unternehmen der Branche eine besondere Nähe zum Kunden, die es gerade den kleinen Betrieben gestattet, den Wettbewerb auch mit größeren Anbietern aufzunehmen. "Der direkte Kontakt zum Kunden ist ein Marktvorteil, den die IT-KMU auch nutzen", fasst Payer zusammen.

Ein Marktvorteil, den die Unternehmen auch im Ausland einzusetzen wissen: Mit einer Exportquote von über 90 Prozent ist kaum ein anderer Wirtschaftszweig so stark auf das internationale Geschäft ausgerichtet wie die Softwarebranche. Das trifft auch auf Sproing zu. "Wir exportieren 100 Prozent unserer Entwicklungen", sagt Harald Riegler, Gründer und Geschäftsführer des mittlerweile fast 12 Jahre alten Wiener Spielestudios. Mit mittlerweile über 50 veröffentlichten Spielen feierte man kreative, aber auch kommerzielle Erfolge. Der Titel "Skyrama" etwa zählt inzwischen 10 Millionen Spieler, internationale Preise räumte man beispielsweise mit "Mein Fitness Coach Club" ab.

Internationale Grenzen
Doch gerade auf den internationalen Märkten offenbaren sich die Grenzen, die der Wiener Software-Szene gesetzt sind. "Wien ist ein schwieriger Standort, weil Österreich ein Hochpreisland ist. Wir stehen in direkter Konkurrenz mit Entwicklerstudios, die – selbst in Deutschland oder England  – viel billiger arbeiten können als wir", meint Riegler. Im globalen Wettbewerb muss die Wiener Software-und Spielebranche daher auf andere Argumente setzen: "Wir können uns nur durch besondere Qualität durchsetzen", ist Riegler überzeugt. Dass das möglich ist, glaubt Riegler in jedem Fall: "Die österreichische Mentalität ist, bei aller Raunzerei, eine professionelle. Der Bildungsgrad ist hoch und eine Mischung aus Technologie und Kunst zu finden, ist uns immer schon gelegen." Dass es auch gelingt, beweisen die Unternehmen nicht nur mit wirtschaftlichen Erfolgen, sondern auch internationalen Preisen. So heimsten beispielsweise erst diese Woche die Wiener Entwickler des gesellschaftskritischen Browser-Spiels "Data Dealer" einen pädagogischen Interaktiv-Preis ein, den die deutsche Facheinrichtung Studio im Netz vergab.

Die Qualität, der sich die heimischen Entwickler verpflichten, muss freilich auch gepflegt werden, was viele Unternehmen durchaus vor Schwierigkeiten stellt. Und zwar weniger, weil es am Willen zur hochpreisigen und wertvollen Arbeit mangelt, sondern weil in Wien zwei entscheidende Rahmenbedingungen als problematisch zu bewerten sind: der Zugang zu Fachkräften und die Verfügbarkeit von Kapital.

Gehälter und Aufstieg
Der viel zitierte Fachkräftemangel äußert sich dabei weniger in einem Mangel an Fachwissen, sondern vielfach daran, dass die Einordnung in einen Klein- oder Mittelbetrieb oft nicht mehr das vorrangige Berufsziel von IT-Experten ist. So würden nach Ansicht der Unternehmensberaterin Payer gerade karriereorientierte Fachleute eher in große Betriebe drängen, die höhere Gehälter zahlen und Aufstiegsmöglichkeiten bieten könnten. Andererseits versuchen viele IT-Fachkräfte ihr Glück auf eigene Faust. "Es ist schwierig, Leute zu finden, die gut sind und sich auch in ein Team einfügen können, statt als Einzelkämpfer unterwegs zu sein", urteilt Alexander Pöll, Leiter des Webunternehmens Infound. Auf der Suche nach geeignetem Personal sei man daher vielfach auf Netzwerke und persönliche Bekanntschaften angewiesen.

Noch mehr Probleme als bei der Personalsuche haben viele IT-Unternehmen, wenn es um das Thema Finanzierung geht. "Die Finanzierung von kleineren Projekten ist ein Drama, wenig Geld ist schwer zu bekommen", gibt Payer die Klage vieler IT-KMUs wieder. "Es ist für Kleinbetriebe sehr schwer, für notwendige Investitionen Kapital aufzutreiben, um konkurrenzfähig zu sein", erläutert die Unternehmensberaterin. "Will ich für ein Projekt vier bis sechs Millionen Euro, bekomme ich das von Banken eher als Beträge von 20.000 bis 30.000 Euro: Da muss man dermaßen viele Sicherheiten vorweisen, dass es fast uninteressant wird", sagt Payer kritisch.

Erfolg statt Titelseiten
Der Ausweg, den viele Unternehmen anstreben, ist daher, sich von Anfang an so unabhängig wie möglich zu machen - auch und gerade von Geldgebern. Rasante Wachstumskurse kann man ohne umfangreiche Fremdfinanzierungen zwar im Regelfall nicht fahren, das ist aber auch gar nicht das vorrangige Ziel vieler Softwarebetriebe. Stattdessen ist der Wille zum langsamen, aber sicheren Wachstum eine in der Wiener Softwarebranche verbreitete Tugend. Auf Titelseiten, vor Hauptbahnhöfe und ins öffentliche Bewusstsein mag man es so zwar vielleicht nicht auf Anhieb schaffen – aber dafür zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Und damit zu sicheren Arbeitsplätzen.