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"Ein Wunder, dass nicht viel mehr passiert"

Von Stefan Meisterle

Wirtschaft
Wilfried Pruschak bricht als Informatiker eine Lanze für seine Kollegen.
© Raiffeisen Informatik

Der Informatiker über IT-Pannen, den Markt und warum sein Unternehmen nicht überall dort ist, wo auch Raiffeisen ist.


Wilfried Pruschak, Geschäftsführer von Raiffeisen Informatik, leitet das umsatzstärkste IT-Unternehmen Österreichs. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erläutert er, warum der Stundenlohn von Informatikern eine "Schande" ist, weshalb Mitarbeiter der Bank Austria keine Schadenfreude verdient haben und wie es um den IT-Markt eigentlich bestellt ist.

Wiener Zeitung: Raiffeisen  INFORMATIK machte 2011 1,4 Mrd. Euro Umsatz und 19 Mio. EBIT - wie sieht es 2012 aus?Wilfried Pruschak: Wir werden auch in diesem Jahr diesen positiven Trend fortsetzen und rechnen mit einem Umsatzwachstum von ca. 12% auf 1,5 Mrd. EUR.  Das Wachstum begründet sich einerseits  in einigen Großprojekten, andererseits haben wir mit der Comparex-Gruppe, die sich in Deutschland verstärkt hat, ein anorganisches Wachstum erzielt. Wir haben gemerkt: Deutschland ist in der Krise ein  Markt, auf den  man setzen kann. Was Konjunktur und Stabilität betrifft, gibt es in Europa wenige Märkte, die so gut performen.

Auch beim Ergebnis rechnen wir mit einer ähnlich positiven Entwicklung wie im letzten Jahr. Man spürt aber auch die Wirtschaftskrise, die den Druck auf die Margen erhöht. Das Kostenbewusstsein der Kunden ist höher, der Preiskampf wir härter. Wir arbeiten jetzt sozusagen mehr für das gleiche Geld.

Wie ist es um den IT-Markt in Österreich bestellt?
Wir sehen in Österreich derzeit eher ein verhaltenes Wachstum. Die Branche befindet sich in einem Konsolidierungsprozess, was dazu führt, das der Markt enger wird. Die gesamte  Branche muss sich mehr anstrengen, um einigermaßen stabiles Wachstum hinzulegen. Ich erwarte nicht mehr als zwei bis drei Prozent Wachstum, was nicht  heißt, dass einzelne Unternehmen nicht besser performen können.

Worauf ist dieses schwache Wachstum zurückzuführen?
Es sind mehrere Effekte, die in diesem Zusammenhang greifen. Das größte Wachstum, das sich derzeit am IT-Markt abspielt, ist im Consumer-Markt  zu beobachten, also bei Smartphones, Tablets usw. Bei den IT-Services und im Software-Bereich hat es wenig Wachstum gegeben. In wirtschaftlich angespannten Zeiten setzen die Unternehmen auch bei der IT den Sparstift an. Das schafft aber gleichzeitig wieder neue Geschäftsmodelle. Outsourcing etwa, das zuletzt an Bedeutung verloren hat, ist jetzt, in Zeiten der nachhaltigen Wirtschaftskrise, wieder ein großes Thema - weil sich Kunden mit diesem Modell vor allem Kosten sparen können.

Verspricht der Cloud-Markt mehr Wachstum?
Cloud als Thema kommt und wächst sozusagen von unten nach oben - kommend aus dem Consumer-Bereich über KMUs bis  hin zu Großunternehmen. Dort ist die Cloud aber noch nicht in erwähnenswerter Dimension angekommen, weil viele Fragestellungen in Bezug auf den Datenschutz und Compliance noch nicht ganz gelöst sind.

Welche sind das?
Jene Bereiche, die in letzter Zeit stark gewachsen sind, wie z. B. das öffentliche Cloud-Angebot von Amazon, sind nicht an die strengen Auflagen, etwa was Governance, Compliance, Datenschutz usw. betrifft, gebunden. Wo ich meine privaten Fotos  ablege, ist  meine Angelegenheit - sobald ich aber Verantwortung für die Daten Dritter habe, kommt die Rechtssituation ins Spiel. Und  diese ist noch nicht harmonisiert - weder in Europa, und schon gar nicht international.  Cloud-Mechanismen finden dennoch bereits jetzt Eingang in Angebote und Services auch für Business-Kunden: als Private Clouds in einer abgeschotteten Umgebung.

Wie ist der Markt für IT-Dienstleistungen zu beurteilen?
Der IT-Dienstleistungsmarkt ist in Europa zur Zeit sicher unter Druck. Aber das wird sich wieder ändern. Über Virtualisierung, Cloud und Standardisierung erfindet sich unsere Branche derzeit wieder neu. Da ist eine neue, hochgradig dienstleistungsorientierte Welle im Anrollen.
<br style="font-style: italic;" /> Von der Branche wird immer wieder der Fachkräftemangel hervorgekehrt. Erlebt Raiffeisen Informatik das ähnlich?
Das Paradoxe ist, dass wir den Fachkräftemangel haben, trotzdem aber keine entsprechenden Preise für IT-Spezialisten zahlen. Es  ist eine Schande, dass der Markt für einen Informatiker  40 Euro in der Stunde  zahlt, für einen Installateur hingegen sicher schon mehr. Ich möchte an alle Verantwortungsträger in unserer Branche appellieren, dass wir uns nicht in einen Erosionsprozess begeben, der ungesund ist und der Wirtschaft schadet.

<br style="font-style: italic;" /> Wie wichtig ist die Raiffeisengruppe und ihre vielfältigen Beteiligungen für die Raiffeisen Informatik?  
Wir machen von unseren prognostizierten 1,5 Milliarden Umsatz in 2012 etwa 350 Millionen innerhalb der Raiffeisen-Bankengruppe, wo wir eine besondere Wertschöpfungstiefe haben.Wir verstehen das Bankgeschäft sehr gut, so dass wir  mit unseren IT-Services breiter aufgestellt sind als  in anderen Branchen. Rechnet man dann noch Sektor-Unternehmen wie Uniqa, Agrana, Strabag etc.  zur Gruppe, werden es etwa 30 Prozent unseres gesamten Umsatzes sein.

Ist die Raiffeisen Informatik überall dort, wo auch Raiffeisen ist?
Nein. Nicht, dass wir es nicht wollten, aber es liegt daran, dass es in der Raiffeisengruppe eine starke Expansion gegeben hat, die auch anorganisch erfolgt ist. Dort wo Raiffeisen aktiv geworden ist, hat  natürlich bereits vorher eine IT-Welt existiert.  Es gab bereits Rechenzentren und Dienstleister. Jetzt überall gleichzeitig  die Rolle des Full-Service-Providers zu übernehmen, würden wir nicht schaffen. Wir bemühen uns aber sehr, den Raiffeisensektor in Österreich  sowie international stärker zu  servicieren. Die Bankenwelt durchlebt derzeit sicherlich eine schwierige Phase, was aber gleichzeitig zu einem Zusammenrücken führt..

Sie wollen die IT der Raiffeisen Bankengruppe in Österreich bis 2014 harmonisieren bzw. vereinheitlichen. Wie weit sind diese Bemühungen gediehen?
Beim Projekt "Eine IT für Österreich" wollen wir  alle Banksystemeharmonisieren. Wir haben bei der Bankensoftware noch verschiedene Lösungen in Österreich im Einsatz und bemühen uns daher,  diese mittelfristig auf ein System zu z usammen zu führenDas ist anspruchsvoll, weil sich die bestehenden Systeme unterschiedlich entwickelt haben und in jedem von ihnen  unterschiedliches Knowhow und Arbeit stecken. Das in einem Schlag wieder zu vereinheitlichen, ist  nicht  einfach. Insgesamt ist das Projekt aber gut unterwegs.
Das wichtige ist, dass man am Ende des Tages  ein einheitliches System schafft. Denn die wahren Einsparungsmöglichkeiten liegen ja schließlich in der Vereinheitlichung von Geschäftsprozessen und Prozessorganisationen.. Software soll ja Arbeit unterstützen und nicht Selbstzweck sein.
<br style="font-style: italic;" /> Wie viele Leute werden bei dieser Harmonisierung eingesetzt?
Das lässt sich schwer beantworten, in Summe arbeiten aber sicher über 100  Mitarbeiter daran.

Strebt Raiffeisen die Vereinheitlichung der Bankensysteme der Raiffeisen International an?
Es gibt diesbezüglich Überlegungen, man hat aber bei den Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern ganz unterschiedliche Voraussetzungen. In der Ukraine gibt es beispielsweise ein ganz anderes Bankwesengesetz als in Ungarn, Tschechien, Polen oder Österreich. Nachdem solche IT-Systeme auch das juristische Korsett, innerhalb dessen sich eine Bank bewegt, abbilden, ist es extrem schwierig, eine Standardsoftware, wie z. B. eine Art "SAP" für alle Banken zu machen. In der gesamten Bankenwelt wird das wohl auch nicht gelingen - höchstens in einzelnen Segmenten wie z. B. dem Zahlungsverkehr. Darum wird bei den Banken die Entwicklung von Individualsoftware immer wichtig sein.

Was sagen Sie zu den Vorfällen bei der Umstellung der IT-Systeme der Bank Austria?
Mir tut es leid für die IT-Leute, die in dieser Krise arbeiten mussten und einer unglaublichen Belastung ausgesetzt waren. Unsere Kollegen haben da sicher keine Schadenfreude verdient. Solche Migrationen sind immer mit Risiken verbunden. Von außen betrachtet hat es den Eindruck gemacht, als hätte ein großer Termindruck bestanden. Ich bin mir nicht sicher, ob die IT-Leute diese Termine unbedingt auch so haben wollten, wie sie gesetzt wurden. Oft besteht die Gefahr, dass man einen warnenden Experten nicht hört, weil er nicht laut genug schreit.

Solche Ereignisse führen uns aber immer wieder vor Augen, dass wir die Technologie zur Selbstverständlichkeit haben werden lassen. Wir müssten uns bewusst machen, dass es manchmal eher ein Wunder ist, dass in unserer hochtechnologisierten Welt nicht viel mehr passiert. Bei Systemen wie dem einer Bank bewegt man sich in derartig komplexen Systemarchitekturen und wechselseitigen Abhängigkeiten von Logik und Daten - dagegen ist der Flug zum Mond ein Spaziergang. Es wird wirklich unterschätzt, was da in 30 Jahren an permanenter  Weiterentwicklung passiert ist. Seit Generationen wurde auf bestehendem Knowhow und Lösungen aufgebaut. Millionen und Abermillionen von Sourcecode-Zeilen in verschiedenen Programmiersprachen, Datenbanksystemen, Fremdsystemen undSchnittstellen! So gesehen konnte das, was passiert ist, zumindest der Öffentlichkeit und den Verantwortungsträgern ein bisschen vor Augen führen, wie schwierig der Job der IT-Verantwortlichen ist.

Es existiert wahrscheinlich auch  keine einzelne Person mehr, die  das gesamte Knowhow noch vernetzen kann. Das originäre Wissen ist in Wirklichkeit schon ausgestorben, wir haben eigentlich schon die dritte Generation derjenigen, die das System nur mehr anwenden können. Eine Person zu finden, die ihnen die ursprünglichen fachlichen Algorithmen eines Systems aus den 70ern noch erklären kann, ist  schon mehr als schwer geworden.

Im Raiffeisensektor sind unterschiedliche Systeme noch im Einsatz - auch alte Mainframe-Systeme?
Es gibt sogar sehr aktuelle Mainframe-Systeme! Mainframes sind in der Bankenwelt nach wie vor massiv zu finden, Raiffeisen hat etwa das Kernbanksystem auf Großrechnern laufen. Man muss aber schon sagen, dass die Population an Großrechnern in Österreich überschaubar ist, es gibt vielleicht 20 namhafte Exemplare. Bei größeren Banken, wo eine immense Menge an Transaktionsarbeit durchgeführt wird, etwa bei der Deutschen Bank, ist der "Host" immer noch die Nummer eins. So oft der Großrechner totgesagt wurde - hinsichtlich Transaktionssicherheit und Prozessstabilität ist er nach wie vor eine sehr wichtige Plattform.

Sie haben eine Vielzahl an Kunden, die eine noch größere Menge an Daten anhäufen. Wie werden Sie des gewaltigen Datenbergs Herr?
Das Datenwachstum bereitet in unserer Branche allen Kopfzerbrechen, Big Data kommt in einem unglaublichen Ausmaß auf uns alle zu. Vor allem, wenn es um nicht mehr strukturierte Daten geht, etwa bei der Bildverarbeitung. Bei strukturierten Daten konnte man relativ speicherschonend vorgehen, das ist jetzt nicht mehr möglich. Wir halten bei einem Wachstum des Datenvolumens von ca. 50 Prozent pro Jahr. In Wirklichkeit wachsen wir um das Dreifache, schaffen es aber, durch intelligente De-Duplizierungsmechanismen, die Steigerungen einigermaßen in Grenzen zu halten. Der Rest geht über Miniaturisierung: Die Speichermedien werden immer kleiner, mit dem Nachteil, dass die Speichermedien langsamer werden, je dichter sie werden. Dem begegnet die Industrie mit SSD, das es mittlerweile auch für große Storage-Systeme gibt.

Big Data stellt im Grunde eigentlich kein räumliches Problem dar, sondern wirft die Frage auf, wie man genug Speicher mit genug Energie und der richtigen Zugriffsgeschwindigkeit zur Verfügung stellt. Da gibt es aber inzwischen schon sehr intelligente Ansätze, bei denen die Systeme sich merken, auf welche Datensätze häufiger zugegriffen wird und selbsttätig eine Speicherhierarchisierung vornehmen. Jene Daten, die am häufigsten abgerufen werden, kommen in SSD-Chips,  jene, die selten aufgerufen werden landen in einem Archivsystem. Das können dann Platten mit immenser Speicherdichte, aber eben langsamen Zugriffzeiten sein.

Wie wird für die Ausfallssicherheit der Datensätze gesorgt?
Die unternehmenskritischen Anwendungen laufen in einem permanenten Cluster, da ist also schon alles einmal gespiegelt. Außerdem wird ein weiteres Mal über Distanz gespiegelt - in Wirklichkeit liegen die Daten also dreimal auf. Und dann werden sie auch noch gesichert. Das ist das übliche Verfahren. Bei der Sicherung geht man verstärkt zur Plattensicherung über, weil die Bandsicherung für die wachsenden Datenmengen zu langsam wird. Die speichern dann asynchron noch einmal auf Bändern ab.

Liegen die Datenbestände in Österreich?
Ja, sie unterliegen auch dem österreichischen Datenschutzgesetz. Es wird früher oder später einen Herkunftsnachweis für Datenverarbeitung und Datenaufbewahrung geben müssen. Ein Gütesiegel, das besagt, wo die Daten liegen und welcher rechtliche Rahmen angewendet werden muss.
<br style="font-style: italic;" /> Verwalten Sie auch Daten von ausländischen Kunden in Österreich?
Ja, Wwir haben auch ausländische Kunden,  deren Daten wir verarbeiten. Mit jedem einzelnen dieser Kunden gibt es vorab  ein Analyseprojekt zum Thema Datenschutz, um zu klären, ob und welche Daten grenzüberschreitend verarbeitet werden dürfen. Es gibt Länder, deren Datenschutzgesetze in einzelnen Bereichen verhindern, dass man Daten außer Landes bringt.

Die Handhabung der Daten in der Cloud ist nicht zu unterschätzen - das Thema wird  etwas verharmlost in der öffentlichen Wahrnehmung. Es muss Bewusstsein darüber geschaffen werden, dass man als Unternehmen für die Einhaltung des Datenschutzes in dem Rechtsraum,  in dem man sich selbst und seine Kunden sich befinden, verantwortlich ist. So lange es keine einheitliche Regelung in Europa gibt, ist das natürlich sehr anspruchsvoll.

Müsste das Bewusstsein diesbezüglich bei Anbietern oder bei Kunden stärker sein?
Es muss  gleichermaßen bei allen Beteiligten vorhanden sein. Ein vernünftiger rechtlicher Rahmen entsteht nur, wenn alle Interessensgruppen an einem Tisch  sitzen und jeder seine Interessen deponiert. Ich wäre sehr froh, wenn es in Europa ein einheitliches Datenschutzgesetz gäbe.  Unternehmen haben  Offensivinteressen, Kunden haben  Defensivinteressen, dazu gibt es noch die Politik und die Justiz - alle müssten an einen Tisch.  Auf EU-Ebene gibt es bereits Initiativen zu diesem Thema.