Zum Hauptinhalt springen

Leiharbeit als Goldgrube

Von Simon Rosner

Wirtschaft

Sozialforscher Riesenfelder über Folgen und Vorteile von Leiharbeit.


Wien. Die Metallindustrie in den 60er Jahren, so fing alles an, so begann die Erfolgsgeschichte der Leiharbeit. Wirtschaftskrise? Ja, ein bisschen, von 2008 auf 2009 war ein leichter Rückgang von Leiharbeitern zu verzeichnen, doch ein Jahr später war auch schon der nächste Rekord mit 72.300 Zeitarbeitern erreicht, 2011 folgte der übernächste, und gegenwärtig sind etwa 75.000 Menschen in Österreich als Leiharbeiter registriert.

Das sind durchaus beeindruckende Zahlen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Eine Erfolgsgeschichte also, allerdings: für wen? "Es herrscht ein wenig Goldgräberstimmung", sagt Andreas Riesenfelder vom Institut L&R-Sozialforschung, der vor zwei Jahren im Auftrag der Arbeiterkammer eine große Studie zum Thema Leiharbeit durchgeführt hat. Seit Jahren wachsen die oft kleinen Firmen, die das Wort "Personalleasing" im Namen tragen, wie die Schwammerl aus dem Boden.

Für Leiharbeiter ist diese Form der Beschäftigung meistens keine Erfolgsgeschichte: Ein Drittel ist nicht länger als ein Monat beschäftigt, die hohe Instabilität schafft Stress, ein Großteil der Leiharbeiter sieht keine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten mehr, viele sind prekär beschäftigt und gelten als armutsgefährdet, obwohl sie beschäftigt sind.

Seit 1. Jänner ist in Österreich eine Gesetz gewordene EU-Richtlinie in Kraft, die nun einige arbeitsrechtliche Verbesserungen für Leiharbeitskräfte vorsieht. Arbeiter, die länger als drei Monate beschäftigt sind, müssen jetzt zwei Wochen im Vorhinein über das Ende ihres Einsatzes informiert werden, bei Arbeitslosigkeit erhalten sie aus einem eigenen Topf eine Einmalzahlung, vor allem aber erhalten sie in vielen Bereichen Rechte, die bisher dem Stammpersonal vorbehalten waren. Sie erhalten Weiterbildung, einen Zugang zur Kantine und auch zum Betriebskindergarten.

Seit 2002 Kollektivvertrag

"Diese Anpassung war dringend notwendig", sagt Riesenfelder. "Leiharbeiter sind nicht Menschen einer anderen Klasse, sie wollen an der Gesellschaft teilnehmen. Und oft sind die kleinen Dinge die wichtigsten." Der Sozialforscher erzählt von einem Leiharbeiter, der in einem Betrieb mit der Arbeitskleidung des Überlassers, also der Zeitarbeitsfirma, seinen Dienst versehen musste. "Dadurch war er ausgeschlossen, weil er auch in den Köpfen der Kollegen die Billigkonkurrenz ist."

Und tatsächlich sind Leiharbeiter heute für viele in erster Linie das: billige Arbeitskräfte, die das allgemeine Lohnniveau drücken. Eine starke gewerkschaftliche Vertretung hat lange gefehlt, erst 1998 verhandelte die Metaller-Gewerkschaft (heute: Pro-Ge) einen Kollektivvertrag für Leihkräfte, der seit 2002 in Kraft ist, zehn Jahre zuvor erhielt diese Berufsgruppe mit dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz erstmals rechtliche Rahmenbedingungen.

Von der ursprünglichen Idee, auf die in der Metallindustrie schwer vorhersehbaren Auftragslagen mittels Leiharbeit besser reagieren zu können, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Vielmehr haben sich zahlreiche Branchen bis hin zum Handel in eine Richtung entwickelt, dass die Firmen auf Leiharbeit gar nicht mehr verzichten wollen und teilweise auch nicht können. "Heute ist die Baubranche überhaupt nicht mehr kalkulierbar", sagt Riesenfelder.

Eine Baufirma, die kurzfristig einen größeren Auftrag erhält, könnte diesen ohne die Option von Leiharbeit vielleicht gar nicht annehmen. "Das ist auch die Argumentation der Arbeitgeberseite, dass durch Leiharbeit Jobs geschaffen werden, aber sie schafft auch Arbeitslosigkeit."

Lohnniveau sinkt

Denn wenn der Einsatz für einen Leiharbeiter endet, läuft zwar der Vertrag mit dem Überlasser vorerst weiter, allerdings wird dieser in der Regel nach wenigen Tagen "einvernehmlich aufgelöst", wie es dann heißt. Der Arbeitnehmer verzichtet jedoch kaum aus Fürsorge gegenüber dem Überlasser auf seine Ansprüche, er will später erneut vermittelt werden. "Dadurch werden die Risiken auf die Arbeitslosenversicherung abgewälzt", erklärt Riesenfelder.

Der Sozialforscher benennt auch eine andere mögliche Folge: Jene Baufirma, die dank Leiharbeit kurzfristig einen größeren Auftrag erhält, bekommt ihn auch wegen des günstigeren Angebots, "dadurch kommt es zu einer Nivellierung des Lohns nach unten", sagt Riesenfelder. Und einmal im Mahlwerk der Leiharbeit, ist der Weg zurück zu einer dauerhaften Beschäftigung schwer, nur etwa zwölf Prozent gelingt dies.

Etwa ein Drittel der Leiharbeiter wählen diese Option der Beschäftigung jedoch durchaus bewusst und sind auch zufrieden damit. Es sind Studenten, die über den Sommer im Call-Center arbeiten, EDV-Spezialisten, die von Job zu Job springen oder auch anderweitig Hochqualifizierte. Zumindest für diese Gruppe der Arbeitnehmer ist der Leiharbeitsboom eine Erfolgsgeschichte.