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Firma weg, Geld weg

Von Muhamed Beganovic

Wirtschaft
Wer auf dem Bau geneppt wird, tut sich oft schwer mit der Beweisführung gegen die Firma.
© fotolia

Ein Betroffener: "Wenn der Chef zwei Monate nicht zahlt, verlasse ich die Firma."


Wien. Die ersten regnerischen Herbsttage in Wien verbrachte Amir arbeitend. Seinen Lohn dafür hat er immer noch nicht zur Gänze erhalten. Der 46-jährige Eisenverleger geriet in die Falle einer kriminellen Baufirma, die ihm - unter dem Vorwand, die Firma hätte kein Geld mehr und müsse Insolvenz anmelden - die Zahlungen verweigerte. Wie sich herausstellte, beging die Firma nur Sozialbetrug.

Um seinen Job zu bekommen, musste er sich nicht einmal bewerben. Bei einem Wirtshausbesuch Anfang September, als er sich nach einem längeren Arbeitstag ausruhen wollte, wurde er von einem Mann in Anzug angesprochen, der sich als Geschäftsführer ausgab und ihm einen Job plus Gehaltserhöhung anbot. Da dies in der Baubranche üblich ist, dachte er sich nicht viel dabei. Das Extrageld motivierte ihn, auch bei Regen zu arbeiten.

Für die erste Oktoberwoche erwartete er eine saftige Auszahlung, bekam jedoch nur einen 500-Euro-Schein und das Versprechen, allerspätestens Ende des Monats den Rest zu erhalten. Als Amir auch Anfang November nichts von seinem Lohn sah, der Mann im Anzug telefonisch nicht mehr erreichbar war und das Firmenbüro plötzlich leerstand, wandte er sich an den Insolvenzschutz. Es war nicht das erste Mal, dass ihn eine Firma nicht ausbezahlte, also wusste er, was zu tun war.

Subfirmen üblich

Die Baubranche hat bestimmte Eigenheiten, die zum Alltag gehören. Dies macht es den Arbeitnehmern fast unmöglich, im Vorhinein zwischen einer legalen Firma und einer, die auf Sozialbetrug aus ist, zu unterscheiden.

"In der Baubranche ist es an der Tagesordnung, Baustellen über Subfirmen zu betreiben oder Arbeitnehmer auf den Baustellen und nicht in Büroräumen aufzunehmen. Für die Betroffenen ist somit nicht erkennbar, dass sie sich auf eine Firma einlassen, die letztlich vorhat, weder Abgaben noch ihre Löhne zu zahlen. Selbst wenn der betroffene Arbeiter schon öfter bei derartigen Firmen gearbeitet und letztlich Zahlungen vom Insolvenz-Entgeltfonds beantragt hat, kann er das nicht sofort erkennen, weil die Abläufe branchenüblich sind", schildert Karin Ristic vom Insolvenzschutz der Arbeiterkammer das Problem.

113 Baufirmen insolvent

Zwischen Jänner und Oktober 2012 haben in Wien 113 Baufirmen Insolvenz angemeldet, knapp ein Viertel davon steht unter Verdacht, Sozialbetrug begangen zu haben. Die Unübersichtlichkeit der Baubranche macht Sozialbetrug einfacher. Große Baufirmen heuern etwa eine Eisenbiegefirma an, die das benötigte Stahleisen liefert, die wiederum eine Verlegerfirma einstellt, die den Auftrag ausführt. Die Kette kann auch länger sein. Solche Subfirmen werden oft mit einem kurz angelegten Ablaufdatum gegründet. Nicht selten neigen sie zu Schwarzarbeit.

Das erste Mal, als er eine solche Firma erwischte, arbeitete Amir mehrere Monate, ohne seinen Lohn zur Gänze ausbezahlt bekommen zu haben. Aus seinen vergangenen Fehlentscheidungen hat er gelernt. "Wenn der Chef zwei Monate nicht zahlt, verlasse ich die Firma", sagt Amir. Ristic befürwortet diese Einstellung: "Wenn nicht bezahlt wird, sollte man das Arbeitsverhältnis so rasch als möglich beenden und sich an die Arbeiterkammer oder die Gewerkschaft wenden."

Lager als Firmenadresse

Der nicht ausbezahlte Lohn ist nur eines von vielen "Symptomen" des Sozialbetrugs, die jedoch meist erst nach der Anmeldung der Insolvenz sichtbar werden. Ein klassischer Indikator für Sozialbetrug ist auch der Firmensitz des Geschäftsführers, der oft auf ein leer stehendes Lager gemeldet sind. Dies findet der Insolvenzverwalter aber erst im Nachhinein heraus. Zu dem Zeitpunkt ist der Geschäftsführer längst unauffindbar, weil er sich ins Ausland abgesetzt hat. Zurück bleiben nur der Schaden, den er angerichtet hat, und die Arbeiter, die ihren Lohn nicht erhalten haben.

Es gibt aber auch Menschen, die das System ausnützen wollen und vorgeben, von einer solchen Firma geschädigt worden zu sein, obwohl sie nie für sie gearbeitet haben oder das Geld für die erbrachten Leistungen bereits ausbezahlt wurde. Da die Lohnauszahlung fast immer bar auf die Hand erfolgt, kann der Insolvenzverwalter Letzteres aber nur schwer nachweisen.

Kaum Entschädigungen

Um Missbrauch vorzubeugen, wurden Regeln aufgestellt: Ein Arbeitnehmer muss glaubhaft darstellen, wie er zu der Firma gekommen ist, wo er gearbeitet hat, wie der Geschäftsführer ausgesehen hat und ob und wie viel er Akonto bekommen hat. Dafür gibt es spezielle Fragebögen, die ausgefüllt werden müssen, wenn ein Arbeitnehmer sich an den Insolvenzschutz wendet und Forderungen beim Insolvenz-Entgeltfonds stellt. Seine Aussagen muss er mit Arbeitsbescheinigungen, An- und Abmeldungen bei der Krankenkasse, Lohnzetteln, Arbeitsbestätigungen und weiteren zur Verfügung stehenden Unterlagen beweisen. Wenn aber der Insolvenzverwalter nicht auf Firmenunterlagen zugreifen kann, kein offizielles Büro existiert und solche Firmen keine intakte Buchhaltung haben, ihm keine Kontoaktivitäten vorliegen und der Geschäftsführer nicht zur Rede gestellt werden kann, muss er die Forderungen des Arbeitnehmers allerdings ohnehin ablehnen.

"Grundsätzlich ist festzustellen, dass diese ablehnenden Bescheide der Judikatur und Rechtslage entsprechen und daher eine Bekämpfung mit rein rechtlichen, dogmatischen Argumenten nur vereinzelt erfolgreich sein kann", sagt Ristic. Ein negativer Bescheid bedeutet für den Arbeitnehmer einen doppelten Verlust. Er hat nicht nur eine Zeit lang gratis gearbeitet, ihm könnten sogar die Versicherungszeiten bei der Krankenkasse gestrichen werden, oder er kann seinen Anspruch auf Urlaubsgeld bei der Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) verlieren.

"Die Betroffenen haben aufgrund ihrer Ausbildung und der faktischen, branchenüblichen Gegebenheiten kaum Chancen, derartige Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, weil sie dann nämlich gar keine Arbeit finden", erklärt Ristic. Viele versuchen sich deshalb umzuorientieren und besuchen Stapler- oder Taxlerkurse.

Vom Insolvenzschutz fühlen sich viele im Stich gelassen. "Ich werde dort als Täter und nicht als Opfer behandelt. Diesmal wollten sie meinen Antrag nicht annehmen, weil es schon die 13. Firma in meiner Karriere ist, die mich reingelegt hat", klagt Amir. "Woher soll ich wissen, ob eine Firma korrekt ist oder nicht? Die Zuständigen wissen es selbst nicht."