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Mehr, größer, besser - nichts

Von Simon Rosner

Wirtschaft

Die Geschichte der Alpine-Pleite ist auch die Geschichte eines Marktes, der an Absurdität nicht zu überbieten war.


Wien. Das Ungetüm aus Beton rührt sich schon seit vier Jahren nicht mehr. Es steht da, im Norden Valencias, und statt 70.000 Menschen allwöchentlich zu unterhalten, gemahnt es die Spanier, dass jeder Spaß einmal ein Ende hat. Das Ende kam, in diesem Fall, mittendrin im Traum des örtlichen Fußballklubs, eines der weltweit schönsten und größten Stadien zu besitzen. Auf einmal platzte die Immobilienblase, der FC Valencia konnte sein altes Stadion nicht verkaufen und hatte kein Geld mehr, das im Bau befindliche fertigzustellen. Jetzt hat der Verein zwei Ruinen, eine alte und eine neue. Und die Baufirma hat Abschreibungen zu tätigen. Es ist die FCC, die Muttergesellschaft der Alpine.

Landeck beim Arlberg mag gute 1500 Kilometer und gefühlte drei Welten entfernt liegen. Und doch wird nun auch Thomas Waltle Abschreibungen tätigen müssen. Waltle ist Geschäftsführer von Streng-Bau, einem Tiefbau-Betrieb, der genauso mit der Alpine zusammengearbeitet hat wie etwa 1300 andere Firmen auch. "Wir haben noch 8000 Euro an offenen Forderungen", sagt Waltle. Damit darf er sich noch glücklich schätzen. Oder auch weise.

"Wir hatten es schon sehr zurückgefahren, das Vertrauen war nicht mehr groß", erzählt er. Andere Unternehmen hatten vielleicht gar nicht die Möglichkeit dazu, vielleicht hofften sie auch auf Folgeaufträge. Gerade für viele kleine Betriebe könnte das Alpine-Desaster den Untergang bedeuten, wie Hermann Haneder, der Betriebsratschef der Alpine, befürchtet: "Wenn ein Tischler von 200.000 Euro nur 20 Prozent bekommt, kann er zusperren", sagt Haneder.

Spanien als Schlaraffenland

Die Glaserei aus dem Pongau, der Zementbetrieb aus dem Innviertel, das Kieswerk in Kärnten: Sie alle müssen nun um den Fortbestand kämpfen, zwar nicht nur, aber auch, weil in Valencia aus Nichts ein Fußballtempel werden sollte. Unter anderem.

Bis zum Jahr 2006 war Spanien das Schlaraffenland der Baubranche in Europa. Im Wohnungsbau (Neu- und Umbauten) wurde mit 920.199 Einheiten ein sagenhafter Rekord erreicht. Mittlerweile ist dies auf rund 50.000 Einheiten pro Jahr eingebrochen.

Kredite waren nicht nur für Private zu jener Zeit so günstig, dass sich die Frage der Finanzierung gar nicht stellte, auch die Bauindustrie wuchs vor allem fremdfinanziert. Warum auch nicht, schließlich wuchs auch der Umsatz der führenden internationalen Bauunternehmen, zu denen gleich elf spanische gehören, zwischen 2001 und 2008 um das Vierfache. Deutschland ist dagegen mit nur vier Betrieben in den Top-225 vertreten.

Bei Wachstumsraten von jährlich bis zu 30 Prozent hatten die spanischen Banken und Unternehmen auch keinerlei Probleme, Geld aus dem Ausland lockerzumachen. Als die Blase 2008 platzte, waren französische und deutsche Geldinstitute mit insgesamt 200 Milliarden Dollar in Spanien engagiert. Und auch der damals weltweit größte Baukonzern, die französische Vinci-Gruppe (33 Mrd. Euro Umsatz, 160.000 Mitarbeiter), mischte in Spanien mit.

Wachstum auf Pump

Die FCC-Gruppe verdoppelte ab 2001 binnen sechs Jahren seine Belegschaft auf nahezu 100.000 Angestellte, der Umsatz stieg von rund 5 Milliarden Euro auf fast 14 Milliarden Euro. Doch die freizügige Kreditvergabe ließ auch die Schuldenberge wachsen, so errechneten die Wirtschaftsprüfer von Deloitte vor zwei Jahren, dass die Nettoverschuldung der 20 größten Bauunternehmen Europas bei über 50 Prozent des Umsatzes liegt, im Fall von FCC noch deutlich drüber.

Die gesamte FCC-Gruppe ist mit etwa sieben Milliarden Euro verschuldet. Betriebsrat Haneder sagt dazu: "In echtem Geld kann man sich das gar nicht vorstellen. Sieben Milliarden!" Würde FCC diese Summe auf 20 Jahre mit sieben Prozent Zinsen tatsächlich abstottern, müssten sie jede Stunde, 20 Jahre lang, Rückzahlungen in Höhe eines Mercedes der Luxusklasse leisten.

Womit wir wieder in Österreich wären, wo 1965 die zwei Mercedes-Großimporteure Dimitri und Georg Pappas den Baubetrieb Alpine gründeten. Bis zur Übernahme von FCC im Jahr 2006, so versichert Haneder, sei alles in Ordnung gewesen. Der Umsatz lag bei zwei Milliarden Euro, wobei der Großteil in Österreich erwirtschaftet wurde. Doch FCC wollte mehr, und angesichts der hohen Schulden waren die Spanier bereit, Risiko zu nehmen. "Sie wollten im Osten Fuß fassen, aber das ist in die Hose gegangen", erzählt der Betriebsratschef. Binnen kurzer Zeit verdreifachte sich zwar der Umsatz aus dem Auslandsgeschäft, doch die Betriebsergebnisse brachen ein. "Das Management hat diesen Weg mitgetragen statt zu warnen", sagt Haneder. Es war der Anfang vom Ende.

Enorme Konkurrenz

In den Boomjahren ist den europäischen Konzernen auch Konkurrenz aus China erwachsen, der vom weltweiten Bauvolumen bereits ein rund 14 Prozent großes Stück zufällt. China hat damit bereits die USA überholt. Doch auch wenn Europas Bauunternehmen nach wie vor mehr als die Hälfte der weltweiten Umsätze in der Branche lukrieren, ist der Ausblick kein sonderlich rosiger.

Zwar ist Europa nach wie vor der größte Markt, doch laut einer Studie des britischen Bau-Consultingbüros Davis Langdon werden sich die Ausgaben für Bautätigkeiten in Europa bis 2020 dramatisch verringern und Asien - sogar ohne die Golfstaaten - fast die Hälfte der weltweiten Bau-Investitionen auf sich vereinen.

"In Westeuropa", so erzählt der Tiroler Bauunternehmer Thomas Waltle, "streiten sich die großen Konzerne schon um Einfamilienhäuser. Die großen Projekte gibt es kaum mehr." Für kleine Betriebe wie dem seinen ist diese Entwicklung problematisch. "Von der Flexibilität müssten wir Kleinen im Vorteil sein, aber preislich kann man trotzdem nicht mithalten", sagt er. Die Gewinnmargen seien sehr klein geworden. "Es ist ein Verdrängungswettbewerb."

In Spanien brach die Bauwirtschaft völlig ein. Heute arbeiten in Spanien rund 1,4 Millionen Menschen weniger in der Branche als im Boomjahr 2007, die Investitionen gingen seither jährlich um neun Prozent zurück. Die überdimensionierten Konzerne wie FCC oder die ACS-Gruppe von Real-Madrid-Präsident Florentino Pérez mussten sich nach anderen Gewinnmöglichkeiten umsehen. ACS wuchs nach der feindlichen Übernahme der deutschen Firma Hochtief noch einmal und ist nun mit 35 Milliarden Euro die Nummer eins weltweit. Trotz eines ähnlich hohen Schuldenbergs wie FCC, weshalb in Deutschland die Furcht regiert, ACS könnte sich auf Kosten der Deutschen sanieren und Hochtief regelrecht ausschlachten.

Ob Waltle schon böse Vorahnungen hatte, als in Spanien alles zusammenbrach? "Nein, ich habe mir keine Gedanken gemacht", sagt er. Jetzt muss er darauf hoffen, dass er von den 8000 noch ein paar Euro sieht.