Zum Hauptinhalt springen

Arbeiten auf dem Schleudersitz

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
Graffiti im Büro: Jeder Besprechungsraum in der Wiener Microsoft-Firmenzentrale am Wienerberg ist individuell gestaltet. Einen eigenen Schreibtisch haben die meisten Mitarbeiter nicht.
© Foto: www.christiandusek.at

"Die besten Ideen kommen nicht unbedingt am Schreibtisch."


Wien. Zwischen Plüschsofas, Büros mit U-Boot-Türen und einem Garten mit Liegestühlen arbeiten Google-Mitarbeiter in London. Wer mit einem spektakulären Blick über die Stadt sein neuestes Projekt planen möchte, kann auf dem Piloten-Schleudersitz Platz nehmen. Hinter der ausgefallenen Bürogestaltung der Internetfirma steckt Kalkül: "Die besten Ideen kommen nicht unbedingt am Schreibtisch, sondern vielleicht bei einer Work-out-Session wie beim Wuzeln oder Dart-Spielen, beim Brainstormen mit Kollegen in einer ausgefallenen Büroecke oder in der Küche", sagt Samuel Leiser, Sprecher von Google in Österreich und der Schweiz.

Auch im Wiener Google-Büro am Graben gehören Wuzeltisch und Dartscheibe zur Ausstattung. Lenkt das nicht zu sehr von der Arbeit ab? Nein, sagt Leiser: "Die kreative Raum-Gestaltung wirkt sich positiv auf die Produktivität der Mitarbeiter, auf deren Austausch untereinander und auf deren Einstellung zur Arbeit aus."

Kein eigener Schreibtisch

An ein Gewächshaus erinnert hingegen die geplante Konzernzentrale von Amazon im kalifornischen Silicon Valley. Im Gebäude aus Glas und Metall mit fünf Etagen sollen sogar hohe, alte Bäume Platz finden. Die Mitarbeiter sollen so in einem natürlicheren, parkähnlichen Umfeld arbeiten und Kontakte knüpfen können.

Einen neuen Weg bei der Gestaltung seiner Wiener Zentrale am Wienerberg hat auch der IT-Konzern Microsoft eingeschlagen. Die Mitarbeiter - mit Ausnahme von Abteilungen wie der Buchhaltung - haben keinen fixen Arbeitsplatz, sondern können zwischen verschiedenen Arbeitszonen wählen: vom klassischen Großraumbüro über Besprechungszimmer bis hin zu kleinen Arbeitsräumen und Boxen für den persönlichen Rückzug. Die Besprechungsräume sind unterschiedlich eingerichtet: Einer ist etwa in Holz gehalten, einer erinnert an ein Aquarium, ein anderer vermittelt arabisches Flair.

Ausgerüstet mit Laptop und Handy, wählen die Microsoft-Mitarbeiter jeden Tag einen Platz. Persönliche Gegenstände und Unterlagen werden in einem Spind aufbewahrt. Sogar die Geschäftsleitung hat kein eigenes Büro. "Vor dem Umbau waren rund 70 Prozent der Schreibtische nicht besetzt, weil die Mitarbeiter beim Kunden oder in Meetings waren", sagt Microsoft-Sprecher Thomas Lutz. Außerdem gilt bei Microsoft eine Vertrauensarbeitszeit, und Arbeiten von zuhause ist möglich.

Großraumbüro macht krank

Generell steht Mitarbeitern immer weniger Platz im Büro zur Verfügung: "Während in den USA und in Großbritannien von einem Bedarf von 14 Quadratmeter pro Mitarbeiter ausgegangen wird, wird in Mitteleuropa derzeit noch mit rund 25 Quadratmeter pro Mitarbeiter kalkuliert. Aber auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz geht der Trend zu 20 Quadratmeter", sagt Marcus Haas, Geschäftsführer von Office Syncro, dem Träger des Bürospezialisten BComplete. Damit nehme auch das Potenzial für gegenseitige Störungen zu.

Besonders in Großraumbüros wird Lärm durch Telefone und Gespräche von Kollegen als störend empfunden, ebenso wie trockene oder schlechte Luft. In größeren Büros wird die Temperatur laut Studie des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft und der Hochschule Luzern als zu niedrig empfunden, in kleinen zu hoch.

Häufigste gesundheitliche Beeinträchtigung der Befragten in Großraumbüros waren gereizte, brennende oder juckende Augen, Konzentrationsschwierigkeiten, schwere Köpfe und Kopfschmerzen sowie Müdigkeit. In kleineren Büros hatten deutlich weniger Beschäftigte mit diesen Symptomen zu kämpfen.

Steht ein Umzug an, sollten Unternehmen feinfühlig vorgehen: "Häufig wird mit der Implementierung eines neuen Büros in eine jahrelang gewachsene Struktur sehr unsensibel eingegriffen", so Haas. "Mitarbeiter müssen angestammte ,Reviere‘ auf Anweisung der Geschäftsführung verlassen, oder plötzlich sitzen die Betroffenen einem Vis-a-vis gegenüber, mit dem sie schon seit Jahren nicht zusammenarbeiten können." Die Folge: der Kampf um die Temperaturregler oder die Lautstärke des Radios.

Für Interessierte bietet Microsoft Führungen durch die Büroräume an: www.dasneuearbeiten.at