Zum Hauptinhalt springen

"Die Verzweiflung regiert"

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Großteil der Dayli-Angestellten gilt am Arbeitsmarkt als schwer vermittelbar.


Wien. Den Dayli-Beschäftigten reicht die Ungewissheit: "Herr Haberleitner, wir haben keine Kraft mehr", wendet sich eine Angestellte an Eigentümer Rudolf Haberleitner - ebenso wie viele andere Nutzer im Dayli-Internetforum, das die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) für die Mitarbeiter der Schlecker-Nachfolgegesellschaft eingerichtet hat. "Die Verzweiflung regiert unter den Dayli-Beschäftigten. Sie haben ihre Juni-Gehälter nicht erhalten, müssen aber dennoch zum Dienst erscheinen", sagt Manfred Wolf von der GPA. Wer nicht arbeitet, verliere den Anspruch auf Abfertigung und offenen Urlaub.

"Haberleitner muss sagen, wie es weitergeht und die Gehälter zahlen", fordert der Gewerkschafter. Er rät dem Personal, ausstehende Gehälter und Sonderzahlungen schriftlich einzufordern. Der Dayli-Eigentümer ließ bis zuletzt offen, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird oder ein neuer Investor einsteigt.

Arbeitsstiftungen stehen im Insolvenzfall bereit

340 Mitarbeiter wurden bereits im Juni gekündigt, nun zittern die 3000 verbliebenen - überwiegend weiblichen - Beschäftigten in Österreich um ihren Job. Viele von ihnen arbeiten seit 10 bis 15 Jahren bei Schlecker und danach beim Nachfolger Dayli, bei einem Gehalt von rund 1300 bis 1620 Euro brutto monatlich für eine Vollzeitstelle. Allerdings sind die meisten Filialangestellten überwiegend in Teilzeit beschäftigt.

Viele Mitarbeiterinnen gelten als schwer vermittelbar, falls sie sich einen neuen Job suchen müssen: Rund die Hälfte soll un- oder angelernt sein, fast ein Drittel älter als 50 Jahre. Schlechte Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt, denn generell gilt: Je besser qualifiziert und jünger, desto größer die Chancen auf eine neue Stelle. Dazu kommt, dass einige Filialangestellte kein Auto haben und daher an ihrem Heimatort arbeiten möchten, heißt es von der Gewerkschaft.

Die Jobaussichten im Handel sind derzeit durchwachsen: Im Juni meldete die Branche einen Zuwachs der Arbeitslosen von acht Prozent auf 38.535 Personen. Die Fluktuation ist hoch, mehr als die Hälfte der Angestellten arbeitet in Teilzeit. Beim Mitbewerber dm stehen die Türen für Dayli-Beschäftigte offen, sagt ein Sprecher. Die Drogeriemarktkette stellt jährlich 600 bis 700 neue Filialmitarbeiter ein.

Für den Fall einer Insolvenz werden Arbeitsstiftungen vorbereitet, heißt es vom Arbeitsmarktservice. In Oberösterreich steht eine Arbeitsstiftung bereit, die in Linz - nahe der Firmenzentrale in Pucking - angesiedelt sein werde. Durch die Insolvenzstiftung soll die Vermittelbarkeit der Beschäftigten verbessert werden, auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld wird so bis auf drei Jahre verlängert. Für Ältere könnte eine Stiftung ein "Hinübergleiten in die Pension möglich machen", so Wolf. Vorrangig gehe es aber darum, die Mitarbeiterinnen zu qualifizieren oder umzuschulen.

Auch in Polen, Italien, Luxemburg und Belgien bangen die Dayli-Mitarbeiter um die Zukunft des Unternehmens - allein in Italien sind es 1500. "Wir glauben nicht an die Worte der Firma, die behauptet, sie könne die Schieflage noch in den Griff bekommen. Die Lager und die Filialen in Italien sind leer", sagte Gewerkschaftssprecherin Sabina Bigatti. 100 der 288 Filialen in Italien stehen vor der Schließung, weil sie nicht mehr mit Waren beliefert werden, bestätigte der Italien-Chef von Dayli, Giancarlo Sachs.

Kritiker zweifelten bereits seit der Übernahme am Erfolg des Nahversorger-Konzepts. Nach dem Ausstieg des Glücksspielkonzerns Novomatic als Geldgeber verzögerte sich der Filialumbau, Lieferungen blieben aus.

Hälfte der deutschen Schlecker-Frauen arbeitslos

Bald wird sich zeigen, ob die Dayli-Beschäftigten ein ähnliches Schicksal wie die deutschen Schlecker-Frauen haben. Nach dem endgültigen Aus für Schlecker in Deutschland im Juni 2012 hat die Hälfte der rund 23.000 als arbeitslos gemeldeten Angestellten eine neue Stelle gefunden oder sich selbständig gemacht. Jedoch: Selbst wer nur sieben Tage sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, scheint in dieser Statistik nicht auf, hieß es von der Gewerkschaft Verdi. Für viele der ehemaligen Schlecker-Frauen, die in der ersten Welle Ende März 2012 gekündigt wurden und keine neue Arbeit gefunden haben, ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen. Ihnen bleibt nur mehr Hartz IV - laut Verdi eine "bittere Bilanz".

Anders als in Österreich gab es keine Auffanggesellschaft für die Drogeriemarktkette von Gründer Anton Schlecker. In einer Analyse berichtet die Bundesagentur für Arbeit von einer hohen Zahl an ungelernten Kräften sowie von teils fehlenden praktischen Kenntnissen und Fähigkeiten der Schlecker-Arbeitslosen: "So bezeichnen die Vermittler etwa die technische Ausstattung bei Schlecker als veraltet. Dies beträfe insbesondere die Kassen- und EDV-Systeme in den Verkaufsstätten, aber auch die Lagerstandorte."

Kaum angenommen wurde der Vorschlag von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, auf Mangelberufe wie Erzieherin und Altenpflegerin umzusteigen: Lediglich 81 Frauen haben eine mehrjährige Umschulung begonnen.