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Heimliche Umverteilung

Von Cathren Landsgesell

Wirtschaft

Gahrmann beschreibt, warum die Vermögensungleichheit zunimmt.


Wien. Die Vermögensunterschiede wachsen schneller als die Einkommensunterschiede, sagt Wirtschaftswissenschafter Arno Gahrmann. In seinem jüngsten Buch "Wir arbeiten und nicht das Geld. Wie wir unsere Wirtschaft wieder lebenswert machen" beschreibt er, wie der Geldüberhang auf den Finanzmärkten die Ungleichverteilung der Vermögen verstärkt.

"Wiener Zeitung": Herr Gahrmann, der scheidende Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG, Peter Löscher, erhält mehrere Millionen Euro Abfindung. Aus Ihrer Sicht ist das wohl weniger ein ethisches als ein wirtschaftliches Problem?Arno Gahrmann: Ich will die Tatsache, dass die einen arg wenig verdienen und andere arg viel, nicht moralisch bewerten. Gesamtwirtschaftlich aber ist mir wichtig, dass ein Kreislauf entsteht und nicht irgendwo Ressourcen entzogen werden. Das ist aber bei solch hohen Abfindungen der Fall, weil sie zu Lasten der Arbeitnehmer aufgebracht werden, dann aber wahrscheinlich auf den Finanzmärkten zirkulieren und nicht zu einer entsprechenden Nachfrage und damit Arbeit und Einkommen führen. Wir haben seit Jahren einen riesigen Geldüberhang auf den Finanzmärkten, der immer verzweifelter nach Anlagen sucht. Über steigende Immobilien- und Nahrungsmittelpreise spürt man das in der Realwirtschaft. Er verstärkt außerdem die Ungleichverteilung der Vermögen.

In Österreich besitzt das oberste eine Prozent 37 Prozent des Gesamtvermögens, wie aus einer Studie der Universität Linz hervorgeht. Wie wandert dieses Geld nach oben?

Der Mechanismus wird über die Zinsen und den Konsum vermittelt, weniger über die ungleichen Einkommen: In Deutschland liegt selbst die durchschnittliche Eigenkapital-Rendite bei stolzen 20 Prozent nach Steuern. So ist es kein Wunder, dass ungefähr ein Drittel des Volkseinkommens in Deutschland, in Österreich ist das ähnlich, für Gewinne und Zinsen verwendet wird. Das bedeutet, dass in allen Gütern und Dienstleistungen Zinsen und Gewinne aller Stufen der Herstellung enthalten sind. Bei einem Auto macht dies etwa die Hälfte des Neupreises aus, bei anderen Produkten sind es durchschnittlich 30 Prozent. Wer sehr viel Kapital bzw. Vermögen hat, erhält somit kontinuierlich mehr an Zinsen und Gewinnen, als er durch seinen Konsum zahlt. Das Umgekehrte gilt für die ärmeren Schichten. In Deutschland erhalten so die reichsten zehn Prozent der Haushalte jährlich 200 Milliarden Euro von den - finanziell gesehen - unteren 70 Prozent, das sind durchschnittlich 600 Euro pro Monat. Das erklärt, warum die Vermögensunterschiede schneller wachsen als die Einkommensunterschiede.

Ist der Umverteilungseffekt durch die Finanzialisierung der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten verstärkt worden?Das auch, das zugrunde liegende Problem, das diese Finanzialisierung erst möglich machte, ist aber die Orientierung auf die Ökonomie, auf das, was quantifizierbar ist, im Gegensatz zum Wirtschaften, dem wirtschaftlichen Tun von Menschen. Man müsste das Wirtschaften wieder in den Vordergrund stellen und sich fragen, was die Gesellschaft will und was die Natur verträgt. Die Ökonomie der anonymen Kapitalgesellschaften hat nur die Vermögensmehrung zum Ziel, nicht das Wohlergehen oder das Glück. Ökonomisch betrachtet sind zum Beispiel nichtexistenzsichernde Löhne kein Problem, in einer Wirtschaft, die an nachhaltigem Wohl interessiert ist, hingegen schon.

Auf politischer Ebene werden Maßnahmen wie die Vermögens- oder die Erbschaftssteuer diskutiert. Setzen derartige Versuche zu spät an?

Arno Gahrmann.
© Foto: Privat

Man könnte auch die Renditeerwartungen von vorneherein herunterschrauben, die Mehrwertsteuer senken und die astronomisch hohen Einkommen höher besteuern, oder auch eigenständige Entwicklungen von unten mehr fördern, die in den Regionen Wirtschaftskraft erzeugen. Es wäre sinnvoll, Kapitalgesellschaften zugunsten von anderen Rechtsformen wie zum Beispiel Genossenschaften oder Familienunternehmen zu begrenzen. Diese haben geringere Renditeerwartungen als anonyme Kapitalgesellschaften und tendieren weniger zu Exzessen wie bei den Managergehältern. Wenn die Politik allerdings nur noch die Ausführende der Ökonomie ist, haben wir bald eine Lehman-Krise nach der anderen.

Bei den Banken versucht man durch Basel II und III gegenzusteuern. Ist das sinnvoll?

Basel II und III halten die Banken nicht von riskanten Geschäften ab und ändern an den Strukturen wenig. Zugleich schädigen sie die regionalen Wirtschaften. Sparkassen und Raiffeisenbanken haben ja früher gerade den schwächelnden Unternehmen aus regionaler Solidarität Kredite zu relativ günstigen Zinsen gewährt. Das geht mit Basel III nicht mehr. Jetzt müssen Unternehmen, denen es bereits schlecht geht, auch noch eine höhere Zinslast tragen. Das ist so, als ob man in einem Obstgarten jeden Ast abschneidet, der gerade keine Früchte trägt. Vielleicht würde er im nächsten Jahr aber wieder Früchte tragen.

Sind Sie dennoch optimistisch, was die weitere Entwicklung betrifft?

Ja, denn ich denke, auf Dauer werden sich die Menschen gegen diese Entwicklung wehren. Mein Buch soll zeigen, warum die Ökonomie nicht erfüllen kann, was Menschen von einer Wirtschaft erwarten: ein sinnvolles Tun und einen gesicherten Lebensstandard.

Zur PersonArno Gahrmann lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Hochschule Bremen Finanzierung und Investition. Sein neues Buch "Wir arbeiten und nicht das Geld. Wie wir unsere Wirtschaft wieder lebenswert machen" ist im Verlag Westend erschienen.