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Bahn zahlt bei höherer Gewalt

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
Warten am Bahnsteig: Ab einer Stunde Verspätung gibt es im Fernverkehr Geld zurück.
© fotolia

Fahrgäste werden bei Zugverspätungen wegen Naturkatastrophen im Fernverkehr entschädigt.


Brüssel/Wien. Wenn ein Zug bei Muren, Hochwasser, starken Schneefällen oder Streik verspätet ist oder ausfällt, haben Fahrgäste einen Anspruch auf eine teilweise Rückerstattung des Ticketpreises. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag entschieden und damit eine Beschwerde der ÖBB Personenverkehr AG zurückgewiesen. Im Fernverkehr steht Besitzern von Einzelfahrscheinen bei Verspätungen aufgrund von höherer Gewalt ab einer Stunde mindestens 25 Prozent des Ticketpreises zu, ab zwei Stunden mindestens 50 Prozent.

Für höhere Gewalt gibt es keine Ausnahme bei der Haftung, entschied der EuGH. Dieses Urteil bedeutet, dass Bahngäste in der gesamten EU in diesem Fall einen Teil des Fahrkartenpreises zurückfordern können, auch wenn nationale Regelungen oder die Beförderungsbedingungen des Bahnunternehmens etwas anderes vorsehen. "Das trägt entscheidend zur Festigung der Fahrgastrechte bei", sagt Maria-Theresia Röhsler, Geschäftsführerin der Schienen-Control Kommission.

Die Schienen-Control brachte den Stein ins Rollen: Die unabhängige Schlichtungsstelle hatte die ÖBB aufgefordert, eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen zu streichen, die bei höherer Gewalt jegliche Entschädigung ausschloss. Daraufhin beschwerte sich die ÖBB 2011 beim österreichischen Verwaltungsgerichtshof, dieser bat den EuGH um Hilfe bei der Auslegung des EU-Rechts und rief ihn zur Klärung an.

Als Grundlage der Entscheidung dienen die EU-Fahrgastrechte, die seit 2010 Ansprüche der Bahnreisenden regeln. Die Entschädigung soll "den Preis kompensieren, den der Fahrgast als Gegenleistung für eine nicht im Einklang mit dem Beförderungsvertrag erbrachte Dienstleistung gezahlt hat", heißt es im Urteil.

Fluglinien zahlen keinen Ausgleich für höhere Gewalt

Anders als im Zugverkehr sehen die EU-Fluggastrechte eine Ausnahme für höhere Gewalt vor, sagt Ulrike Wolf, Rechtsexpertin beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). Fluglinien müssen keine Ausgleichsleistung zahlen, wenn ein Flug mehr als drei Stunden zu spät ist oder gestrichen wurde und der Grund auf "außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären", wie der EuGH im Oktober 2012 entschieden hat. Bei anderen Gründen für die Verspätung müssen Fluggesellschaften den Passagieren je nach Strecke zwischen 250 und 600 Euro zahlen. Im aktuellen Urteil betont der EuGH, dass die Regelungen für Fahrgäste im Flug-, Schiffs- und Busverkehr nicht mit jenen der Zuggäste nicht vergleichbar sind. Der Grund: Die verschiedenen Beförderungsformen seien hinsichtlich ihrer Nutzungsbedingungen nicht austauschbar.

Die ÖBB akzeptiere das Urteil, sagt Sprecherin Sarah Nettel. Man erstatte bereits seit Jänner 2011 einen Teil des Fahrpreises bei höherer Gewalt. Insgesamt wurden im Vorjahr 20.949 Personen 358.000 Euro rückerstattet.

Die Westbahn, die neben den ÖBB hierzulande im Fernverkehr tätig ist, betont, dass sie seit ihrer Betriebsaufnahme im Dezember 2011 Entschädigungszahlungen bei höherer Gewalt vorsieht. Was als Fernverkehr gewertet wird, entscheidet nicht die gefahrene Strecke, sondern die Zuggattung: Bei der ÖBB zählen beispielsweise Railjet, Eurocity und Intercity und ICE in diese Kategorie.

Entschädigung im Nahverkehr neu geregelt

Im Nahverkehr (REX, Regionalzug, S-Bahn) gelten seit 1. Juli indes erweiterte Bahn-Fahrgastrechte: 95 Prozent der Regionalzüge müssen pünktlich am Ziel sein, sonst erhalten Jahreskartenbesitzer eine Entschädigung. Nach einer Anmeldung beim Verkehrsverbund oder Bahnunternehmen unter Bekanntgabe der benutzten Strecke wird am Ende der Laufzeit der Jahreskarte eine Verspätungsentschädigung ausgezahlt. Auch Fahrgäste mit Wochen- und Monatskarten können erstmalig Entschädigungen beanspruchen. Die Bahnunternehmen sind verpflichtet, ab 1. Jänner 2014 die monatlich tatsächlich erreichte Pünktlichkeit auf ihren Websites zu veröffentlichen, sodass Kunden ihren Entschädigungsanspruch prüfen können.