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"Österreich verschwendet Wachstumspotenzial"

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Verwaltungsexperte über Reformen und Gehälter im öffentlichen Dienst.


"Wiener Zeitung": Der OECD--Bericht "Regierung und Verwaltung auf einen Blick 2013" zeigt, dass in den OECD-Ländern das Vertrauen in den Staat gesunken ist. 2007 vertrauten 45 Prozent der Bürger in die nationale Regierung, 2012 nur mehr 40 Prozent. Warum ist Vertrauen wichtig und wie kann es zurückgewonnen werden?

OECD-Direktor Rolf Alter: "Das Vertrauen der Bürger in den Staat ist gesunken."
© Foto: Philipp Hutter

Rolf Alter: Vertrauen ist das Ergebnis guter Politik und damit ein Erfolgsmaßstab für die Leistung der Regierung. Es reflektiert, ob das öffentliche Interesse gut bedient worden ist. Auch für die Umsetzung von Reformen brauchen nationale Behörden Vertrauen. Zwar gelten Österreich und Deutschland als seltene Inseln der Glückseligkeit, die Regierungen müssen aber trotzdem große Strukturanpassungen vornehmen. Die Wettbewerbsfähigkeit erfordert dies, ebenso wie Konsolidierungsprozesse im öffentlichen Haushalt, die dramatische Entwicklung der Altersstruktur und Umweltziele wie der CO2-Ausstoß.

Oft sind diese Bereiche dermaßen komplex, dass der Einzelne die Maßnahmen nicht nachvollziehen kann. Mit Fairness werden notwendige Reformen verständlich, selbst wenn es zeitweilige Verlierer gibt. Die größten Gewinne von Strukturanpassungen ergeben sich erst über einen langen Zeitraum, während die Verluste relativ schnell und kräftig sind.

Österreich ist eines der Länder mit den höchsten Staatsausgaben per Einwohner, nämlich 23.000 US-Dollar pro Kopf. Wie steht Österreich da? Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?Die Zufriedenheit mit der Politik spiegelt sich nicht unbedingt in der Wertschätzung für öffentliche Dienstleistung wider, denn Dienstleistungen werden meist auf der lokalen Ebene erbracht. In Österreich sind zum Beispiel 93 Prozent der Bevölkerung mit dem Gesundheitssystem zufrieden, das sind 22 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt. Auch mit dem Justizsystem sind die Bürger überdurchschnittlich zufrieden.

Österreich gibt viel für diese Zufriedenheit aus. Die wichtigste Frage in Zeiten der Konsolidierung ist: Könnte man dieselbe Leistung mit weniger Kosten erbringen?

Welche Rolle spielen Bürgerbeteiligung und Privatwirtschaft für öffentliche Dienstleistungen?

Viele Länder probieren Koproduktion aus, bei der öffentliche Dienstleistungen mit Hilfe Privater erbracht werden. Vor allem in anglosächsischen Ländern werden private Initiativen stark genutzt, etwa für Kindertagesstätten oder in der Pflege. Koproduktion ist noch eine Randerscheinung der öffentlichen Versorgung und funktioniert in der Regel nicht ohne Finanzierung des Staates. Es wurde noch nicht bewertet, ob Koproduktion über längere Zeit eine Alternative darstellt. Erfolg kann man auch nicht innerhalb von sechs Monaten messen. Beim Pensionssystem geht es etwa um drei Generationen.

Die Schwierigkeit von Bürgerbeteiligung sehe ich darin, dass im Notfall die Regierung aushelfen muss. Das hat ein Beispiel aus Großbritannien gezeigt, als ein Unternehmen für private häusliche Pflege mit tausenden Mitarbeitern pleitegegangen ist.

Die Kosten und die Qualität der Services variieren stark zwischen den Ländern. Welche Länder sind Best-Practice-Beispiele? Was machen diese Länder besonders gut?

Der britische Premierminister David Cameron hat seit seinem Amtsantritt den dritten Sektor und damit private Angebote in Bereichen wie Pflege unterstützt. Die Finnen, die als Vorbild in der öffentlichen Politik gelten, haben zusammen mit den Dänen durch E-Government viel verändert und gezeigt, dass man Innovationen innerhalb des staatlichen Sektors herbeiführen kann. Außerdem wurden die Services von kleineren Kommunen zusammengelegt.

Inwiefern kann E-Government helfen, die Verwaltung effizienter zu machen?

Leistungen nur über das Internet anzubieten, funktioniert nicht. Die Dänen verfolgen die Strategie "Internet by default": Die erste Lösung ist das Internet. Mehrere Kanäle wie Telefon, Computer und eine persönliche Anlaufstelle anzubieten, kostet Geld. Aber meistens fallen jene Personen raus, die die Hilfe am meisten brauchen: jene, die nicht wissen, wie sie einen Antrag am Computer über das Internet stellen, oder die nicht lesen und schreiben können. Die OECD verfolgt das Konzept eines strategischen Staates, der sich in einer reichen Gesellschaft aus bestimmten Bereichen zurückziehen kann. Der Staat muss sich aber um die 30 Prozent am unteren Ende der Gesellschaft kümmern, die die Leistungen dringend brauchen. Diese Strategie ist aber nicht einfach zu verfolgen. Die Steuern müssen von jenen eingetrieben werden, die nichts davon haben. Die Regierungen müssen umdenken: Nur Sparen ist kein Ziel. Vielmehr sollten die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit des Staates erhöht werden.

Welche Hindernisse sind auf einem Weg zu einer effizienteren Verwaltung zu überwinden?

Gute Verwaltung ist ein zentrales Thema von Entwicklungspolitik geworden, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit von Industrieländern. Ohne eine effizientere Welt, aber auch eine gerechtere Welt, werden Länder langfristig nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Ungleichheit bei den Einkommen hat einen negativen Einfluss auf die Wachstumschancen. Wird die Fähigkeit der Bevölkerung nicht ausgeschöpft, geht Wachstumspotenzial verloren. Das gilt für soziale Schichten, aber auch für Männer und Frauen. Betrachtet man das Geschlechterungleichgewicht, verschwenden Österreich und Deutschland Wachstumspotenzial, wenn sie nicht dafür sorgen, dass Frauen am Arbeitsmarkt präsent sind. Für mich ist das eine ökonomische Frage: Soziale Unterschiede sind ein Verlust an Wachstum. Jeder Einzelne in einer Gesellschaft sollte daher Interesse haben, dass jeder andere ebenfalls daran teilnimmt, weil auch er selbst davon profitiert.

In Österreich laufen derzeit zähe Beamten-Gehaltsverhandlungen. Wie stehen Sie zur Gehaltsdebatte im öffentlichen Dienst?

In Singapur bekommen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst Top-Gehälter. Hier gilt der Gedanke: Wenn man im öffentlichen Dienst gute Mitarbeiter haben möchte, muss man sie auch gut bezahlen, sonst sind sie weg.

Zur PersonRolf Alter ist Direktor für Public Governance und regionale Entwicklung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Der gebürtige Deutsche leitet ein Team von 150 Mitarbeitern, die Regierungen beim Verbessern des öffentlichen Sektors in Richtung Wohlergehen der Bürger und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unterstützen. Alter begann seine Karriere 1981 im deutschen Wirtschaftsministerium und war danach Ökonom für den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington D.C. Seit 1991 ist er für die OECD tätig, unter anderem als Stabschef von OECD-Generalsekretär Angel Gurría.