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Streit um die Gemeinwohl-Ökonomie

Von Andrea Möchel

Wirtschaft
Unterstützer eines alternativen Wirtschaftsmodells: Schirnhofer, Sonnentor & Co.

Das alternative Wirtschaftsmodell ist im Visier von Wirtschaftskammer & Co. - nun setzen sich Vertreter zur Wehr.


Wien. Was haben der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexkull, der Sänger Konstantin Wecker, der Erzbischof von Barcelona und der Waldviertler Biokräuterproduzent Sonnentor gemeinsam? Sie alle glauben, dass die Welt ein neues Wirtschaftsmodell braucht, und unterstützen deswegen die sogenannte Gemeinwohl-Ökonomie.

Ziel der 2010 in Österreich gegründeten Wirtschaftsreformbewegung ist es, "anstelle der gegenwärtig dominierenden kapitalistischen Machtwirtschaft eine ethische Marktwirtschaft zu entwickeln und umzusetzen". Im Zentrum stehen dabei Werte wie Menschenwürde, ökologische Nachhaltigkeit, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz. Prominentester Vertreter ist Buchautor Christian Felber, der dem Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) vorsteht.

Anders Wirtschaften

Tatsächlich scheint das gesellschaftliche Klima für ein neues Wirtschaftssystem bereit zu sein. Laut einer Bertelsmann-Umfrage wünschen sich 90 Prozent der Österreicher eine "andere Wirtschaftsordnung". Doch während die Gemeinwohl-Ökonomie in Unternehmen, Universitäten und Kommunen wachsenden Zuspruch findet, ruft sie bei den institutionellen Vertretern von Wirtschaft und Industrie vor allem Widerstand hervor.

Und so ortet die GWÖ eine "Negativkampagne von Teilen der Wirtschaftskammer Österreich, des Wirtschaftsbundes Wien, des Raiffeisenverbandes und der Julius-Raab-Stiftung". Tenor der Attacken: Die Gemeinwohl-Ökonomie würde die Freiheit des Einzelnen einschränken und sei in ihrem Wesen undemokratisch.

"Diese Angriffe sind eine österreichische Spezialität", beklagt GWÖ-Sprecherin Anja Haider-Wallner gegenüber der "Wiener Zeitung": "Wir werden weltweit von Universitäten eingeladen - von der Helsinki Business School bis zur Universität von Buenos Aires. Und wir erfahren täglich mehr Unterstützung - vom Oberbürgermeister von Mannheim bis zu den 1685 Unternehmen aus 33 Staaten - die sich uns bisher angeschlossen haben."

Auffällig an der österreichischen "Negativkampagne" sei, dass "sämtliche Texte häufig auf frei erfundenen oder der Gemeinwohl-Ökonomie unterstellten Aussagen und Zitaten aufbauen." Die Wirtschaftsreformer wehren sich nun mit einem Dossier, in dem die Argumente der Gegner mit Originalzitaten der Gemeinwohl-Ökonomie konfrontiert werden. "Die Wirtschaftskammer Österreich führt keine ,Negativkampagne‘ gegen die Gemeinwohl-Ökonomie und beabsichtigt dies auch nicht", betont hingegen Karin Steigenberger, Referentin der Stabstelle Wirtschaftspolitik in der WKO, auf Anfrage der "Wiener Zeitung". "Wichtig erscheint der WKO, auf die massiven Veränderungen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems hinzuweisen, die mit der möglichen Etablierung einer ,Gemeinwohl-Ökonomie‘ einhergehen würden."

Dazu zählen laut WKO unter anderem eine enorme Erhöhung der Kosten durch bürokratischen Aufwand, die Abwanderung von Unternehmen, der Verlust von Wohlstand und ein Austritt aus der Europäischen Union. Vor allem würde die Gemeinwohl-Ökonomie aber "zu erheblichen Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit von Individuen bzw. Unternehmen führen, bis hin zu Enteignungen", glaubt Steigenberger.

Gegenoffensive

Stimmt nicht, kontert die GWÖ: "Privateigentum bleibt auch in der Gemeinwohl-Ökonomie die häufigste Eigentumsform, sie sympathisiert jedoch mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen in stärkerem Maß als heute." Die Gemeinwohl-Ökonomie suche eine Vielfalt von Eigentumsformen: privates, öffentliches, kollektives Eigentum sowie Nutzungsrechte. "Dabei sollen Extreme wie die Totalverstaatlichung allen Eigentums (Kommunismus) ebenso vermieden werden, wie die Absolut-Stellung von Privateigentum ohne Grenzen und Bedingungen (Kapitalismus)."

"Ich finde es sehr schade, dass die Vertreter der Wirtschaft gegenüber der Gemeinwohl-Ökonomie so negativ und unserer Meinung nach sehr unwissend agieren", bedauert der steirische Fleisch- und Wurstwaren-Erzeuger Karl Schirnhofer. Als einer der Ersten hat er im Jahr 2012 für sein Unternehmen (1150 Mitarbeiter, 108 Millionen Euro Umsatz) eine Gemeinwohl-Bilanz nach den GWÖ-Kriterien erstellen lassen. Und er ist nicht der Einzige, den die Kampagne ärgert. "Wir haben zahlreiche anerkennende Rückmeldungen sowohl zur Qualität unserer Replik erhalten als auch die Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind, weil die WKO sonst nicht so hilflos reagiert hätte", freut sich Anja Haider-Wallner. "Uns ist aber wichtig zu betonen, dass wir mit dieser Replik die Möglichkeit geschaffen haben, fair über eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung zu diskutieren." Sie gibt sich optimistisch, dass ein Dialog mit WKO & Co. (doch noch) möglich ist.

Im Mai startet die GWÖ eine österreichweite Veranstaltungsreihe, in der sie den demokratischen Dialog mit der gesamten Gesellschaft suchen wird. Eine, die dem Streit schon jetzt Positives abgewinnen kann, ist Lisa Muhr, Co-Gründerin des ökofairen Modelabels "Göttin des Glücks". Gemeinwohl-Botschafterin Muhr: "Dass Kammer und Bund der Gemeinwohl-Ökonomie so viel Aufmerksamkeit widmen, ist schlussendlich ein Gewinn für die Demokratie, indem eine breite öffentliche Diskussion über die Wirtschaftsordnung von morgen gefördert wird."