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Wieder ein Werk in Übersee

Von Karl Leban

Wirtschaft

Die Voestalpine hat im Süden der USA eine Produktionsstätte eröffnet, die großen Autoherstellern zuliefert.


Wien. Voestalpine-Chef Wolfgang Eder eilt derzeit von einer Werkseröffnung zur nächsten - nicht jedoch in Europa, sondern in Übersee. Hatte er erst Ende Februar im südafrikanischen East London einen neuen Standort für die Produktion von Auto-Karosserieteilen eingeweiht, folgte am Dienstag der Startschuss für das Hochfahren einer wesentlich größeren Fabrik in den USA. Bei diesem Werk, das in Cartersville im Bundesstaat Georgia liegt, ungefähr 60 Kilometer nordwestlich von Atlanta, handelt es sich ebenfalls um ein Zulieferwerk für die Autoindustrie. Insgesamt 50 Millionen Euro hatte der Linzer Stahlverarbeiter Voestalpine dafür flüssiggemacht.

Mit der neuen Produktionsstätte in Cartersville, die in der Vollausbaustufe 220 Beschäftigte haben soll, platzieren sich die Oberösterreicher mitten unter namhaften Autoherstellern. Denn rundherum gibt es eine Reihe großer Autowerke.

"Dort spielt die Musik"

Fix mit Karosserieteilen beliefert werden das VW-Werk in Chattanooga (Tennessee) und das Mercedes-Werk in Tuscaloosa (Alabama), aber auch das in seinen Kapazitäten erst jüngst um rund 50 Prozent vergrößerte BMW-Werk in Spartanburg (South Carolina). Dort baut BMW seine geländegängigen X-Modelle, es ist der weltweit mittlerweile größte Produktionsstandort des deutschen Premium-Herstellers. Dem Vernehmen nach haben die Voestler daneben auch Branchenriesen wie General Motors, Chrysler, Ford und Toyota als Kunden an der Hand.

Heute, Mittwoch, hat Wolfgang Eder gleich den nächsten Termin - im texanischen Corpus Christi. Dort wird der Voestalpine-General den Spatenstich für den Bau eines Werks zur Produktion von Vormaterial für die Stahlerzeugung vornehmen. Mit 550 Millionen Euro ist dieses Projekt die bisher größte Auslandsinvestition in der Konzerngeschichte. Das Werk soll ab 2016 produzieren - mit 150 Mitarbeitern - und nicht nur Stahlhersteller vor Ort beliefern, sondern auch große Teile des Eigenbedarfs abdecken. Für den Transport zur See gibt es in unmittelbarer Nähe einen Hafen.

Was ihre Expansionspläne betrifft, lässt die Voestalpine Europa auch sonst links liegen. Um das selbst gesteckte Wachstumsziel zu erreichen, seine Umsätze bis 2020 von zuletzt 11,5 auf 20 Milliarden Euro zu hebeln, setzt der österreichische Großkonzern vielmehr auf Amerika und Asien. "Dort spielt die Musik", heißt es.

Investitionen in den Bau neuer Werke und den Ausbau bereits bestehender Kapazitäten sind dabei ebenso geplant wie Akquisitionen. Bis 2020 will die Voestalpine allein in China 15 Produktionsstätten aus dem Boden stampfen. Geht es nach Eder, soll der Anteil Europas am Gesamtumsatz in Zukunft um mehr als zehn Prozentpunkte auf weniger als 60 Prozent sinken - zugunsten anderer, wachstumsträchtigerer Erdteile.

Voest steht nicht alleine da

Die Voestalpine ist freilich nur einer von vielen europäischen Industriekonzernen, die dem alten Kontinent peu à peu den Rücken kehren. Schon seit Jahren ist deshalb von einer schleichenden Deindustrialisierung in Europa die Rede. Zuletzt lag der Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union nur noch bei rund 14 Prozent. Wie die EU-Kommission es schaffen will, den Industrieanteil bis 2020 - wie mehrfach angekündigt - auf 20 Prozent zu erhöhen, ist vielen Industriemanagern ein Rätsel. Sie kritisieren, dass es bisher lediglich bei politischen "Lippenbekenntnissen" geblieben sei, schlüssige Konzepte fehlten hingegen.

Für Eder selbst - und das betont der Voestalpine-Boss nun bereits seit mehr als einem Jahrzehnt - ist die Industrie als Teil der Wirtschaft ein unverzichtbarer Wohlstandsfaktor. "Wenn Europa sein Wohlstandsniveau halten will, muss es seine industrielle Basis erhalten und ausbauen", erklärt Eder. Europa könne nicht ausschließlich auf Dienstleistungen setzen. "Dienstleistung brauche ich nur dort, wo ich eine industrielle Basis habe."

Voraussetzung dafür, dass der Industrieanteil in Europa wieder steigt, ist freilich Wachstum. Und das ist in vielen Ländern nach wie vor nur mit der Lupe wahrnehmbar. Vor allem in der Eurozone krebst die Konjunktur seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 noch immer vor sich hin.

Um für mehr Wachstum zu sorgen, gilt es jedoch, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Top-Manager wie Eder verweisen auf einen "dramatischen Nachholbedarf, wenn wir im Konzert der großen Wirtschaftsregionen nicht endgültig abgeschlagen landen wollen". So brauche es eine europäisch koordinierte Energiepolitik, eine Bildungs- und Innovationsoffensive, eine Kostenreduktion in der staatlichen Verwaltung und im Sozialsystem sowie ein Überdenken der Umwelt- und Klimapolitik, die wegen ihrer Vorgaben für die Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen aus Sicht der Industrie zu einer wachsenden finanziellen Belastung werde.

Außerhalb Europas seien die Kostenvorteile enorm, gibt Eder, der auch Vizepräsident des Weltstahlverbandes ist, am Beispiel Amerika zu bedenken. Die Gaspreise etwa seien in Europa drei- bis viermal so hoch wie in den USA (Stichwort: Schiefergas). Und Strom sei um 20 bis 40 Prozent teurer als in Nordamerika. Zudem koste die Voestalpine ein Facharbeiter in Linz 50.000 Euro im Jahr, im Süden der USA, wo sich der Konzern jetzt prominent aufgestellt hat, hingegen nur 37.000 Euro. Ebenfalls ein Punkt: Grundstücke sind in Europa laut Eder sogar 20 Mal so teuer wie in Amerika.

Leitl: Ein "Weckruf"

"Wir sind mit zunehmender Wettbewerbsintensität und zunehmendem Preisdruck konfrontiert", erklärt Eder, warum der Konzern gegensteuern muss und sein Heil verstärkt außerhalb Europas sucht. Seit 2008 habe das Unternehmen permanent die Themen Druck vom Markt, sinkende Preise und steigende Rohstoffkosten.

Erst vor wenigen Tagen stellte Eder sogar den Standort Linz in Frage. Gegenüber den USA habe Linz zwar noch einen Produktivitätsvorsprung von zehn Prozent. Der sinke jedoch seit Jahren, und es sei absehbar, wann er weg sei, sagte Eder im ORF-Radio. Christoph Leitl, Chef der Wirtschaftskammer, sprach am Dienstag von einem "Weckruf der Voestalpine, dass sich der Standort -sterreich, der Standort Europa global zu messen hat". Leitl selbst hatte im vergangenen Sommer den Wirtschaftsstandort Österreich massiv kritisiert, indem er ihn als "abgesandelt" bezeichnet hatte.