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Hilfe zur Selbsthilfe

Von Petra Tempfer

Wirtschaft

Die Mikrokredit-Finanzierungseinrichtung Oikocredit Austria hat mit Friedhelm Boschert einen neuen Vorstand gewählt.


Wien. Mehr als eine Milliarde Menschen leben in Armut. "Deshalb hatte ich mich schon früh als Experte für Projekte der Entwicklungshilfe engagiert. Das waren -wie auch Oikocredit - immer Projekte der Hilfe zur Selbsthilfe", sagt Friedhelm Boschert, neuer Vorstandschef von Oikocredit Austria. Der ehemalige Chef der Volksbank International (VBI, später Sberbank Europe) wurde am Freitag ohne Gegenstimme zum Nachfolger Peter Püspöks gewählt, der das Ehrenamt sechs Jahre lang bekleidet hatte. Püspök ging allerdings nicht, ohne davor von dem erfolgreichen Geschäftsjahr 2013 berichtet zu haben, was er am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit dem neuen Vorstandschef dann auch tat.

Derzeitige Verzinsung "durchaus attraktiv"

Oikocredit ist eine genossenschaftliche Finanzierungseinrichtung mit Hauptsitz in Amersfoort in den Niederlanden, die auf die Vergabe von Mikrokrediten spezialisiert ist. Menschen, die von herkömmlichen Banken nicht bedient werden, zählen zu ihren Kunden. Weltweit hat sie rund 800 Partner in 70 Ländern.

Die Anzahl der Mitglieder in Österreich hat sich laut Püspök um 23 Prozent auf 4186 erhöht. Das Anteilskapital, das die Anleger bei Oikocredit Austria gezeichnet haben, ist um 37 Prozent auf 57,5 Millionen Euro gestiegen. Die Ausfallsrate liegt knapp unter einem Prozent. Der Mindest-Genossenschaftsanteil soll laut Püspök bei 200 Euro bleiben. Der Eigenkapital-Anteil der Oikocredit International liege bei 87 Prozent.

Auch für 2013 sollen die Genossenschafter wie schon seit Jahren eine Dividende von zwei Prozent erhalten. Die Verzinsung sei derzeit "durchaus attraktiv", so Püspök, der allerdings betonte: "Wir wollen keine Anleger, die zu uns wegen der Verzinsung kommen, sondern wir wollen Anleger, die unser Anliegen und unsere soziale Mission mittragen."

Darum geht es auch Boschert. Er hält Mikrokredite "für ein wesentliches Mittel, Armut zu bekämpfen". Wie ein roter Faden ziehe sich das Thema Entwicklungszusammenarbeit durch sein Leben. Schon lange engagiere er sich ehrenamtlich als Genossenschaftsmitglied für Oikocredit, wo er seit dem Vorjahr im Vorstand saß. Daneben war er seit 2004 bei der VBI, die dann an die russische Sberbank verkauft wurde. Nach einem Jahr an der Spitze der Sberbank Europe AG machte sich Boschert im Jänner 2013 als Trainer von Führungskräften selbständig. Zudem unterrichtet er an der Fachhochschule in Krems.

Als neuer Vorstandschef hob Boschert freilich hervor, dass gerade Oikocredit auf die soziale Komponente bei der Vergabe von Krediten achte. Diese würden nur dann gewährt, wenn das Geld zu einer Verbesserung etwa der Bildungs- oder Ernährungssituation führe. Braucht zum Beispiel eine Mutter Geld für eine Hühnerfarm, würde diese Investition Wirkung in mehrerlei Hinsicht zeigen: Die Familie hätte etwas zu essen und die Kinder müssten nicht mehr auf dem Feld arbeiten und könnten stattdessen in die Schule gehen.

Ein anderes Projekt läuft gerade in der Elfenbeinküste in Westafrika. Hier haben Frauen um eineinhalb Millionen Euro eine Markthalle errichtet, weil sie als wandernde Händlerinnen von der Straße vertrieben worden waren. Lokale Berater hatten einen Businessplan für sie erstellt, die Rückzahlung soll durch zum Teil wöchentliche Raten erleichtert werden. Laut Püspök gehen 85 Prozent der Mikrokredite an Frauen.

Die Schwerpunkte der 1975 vom ökumenischen Weltkirchenrat gegründeten Genossenschaft Oikocredit sind Afrika und die Stärkung der Landwirtschaft, so Püspök und Boschert. 25 Prozent des Geldes fließe in Einzelprojekte, der Rest in Mikrofinanzinstitutionen, die ihrerseits Kunden bedienen. Ziel sei, heuer die Afrika-Anteile zu erhöhen.

Zentren der Mikrofinanz in Indien und Bangladesch

Mikrokredite sind keine Erfindung der heutigen Zeit. Schon das vor 150 Jahren von Friedrich Wilhelm Raiffeisen entwickelte Genossenschaftsmodell basierte auf der Hilfe zur Selbsthilfe. Als Begründer des Mikrofinanz-Gedankens wird dennoch der 1940 im heutigen Bangladesch geborene Muhammad Yunus gesehen. Er ist Gründer und Ex-Geschäftsführer der Grameen Bank und heute als Wirtschaftswissenschafter tätig. 2006 wurde er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Noch immer liegen die Zentren der Mikrofinanz in Indien und Bangladesch. Weltweit wird die Zahl der Mikrokredit-Bezieher
auf rund 200 Millionen und
das Finanzierungsvolumen auf 70 Milliarden US-Dollar (50 Milliarden Euro) geschätzt. Kritik setzt immer daran an, dass auch Mikrokredite zur Schuldenfalle werden könnten. Yunus selbst hat bereits Bedenken in diese Richtung geäußert. Damit nicht der Profit einzelner Kreditgeber, sondern der Entwicklungsgedanke im Vordergrund bleibe, forderte er eine Vereinheitlichung der Zinssätze.