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Ein Netz für junge Straftäter

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Erster Sozialmarie-Preis geht heuer an Verein Neustart für Sozialnetz-Konferenz für Jugendliche.


Wien. "Die Erfahrung, da stehen so viele Leute hinter mir, hat bewirkt, dass ich mich viel mehr angestrengt habe, die Ziele zu erreichen. Ich wollte niemanden enttäuschen", sagt ein jugendlicher Straftäter. Er hat mit Hilfe seiner Bezugspersonen einen Plan für die Zukunft erarbeitet, um nicht rückfällig zu werden. Der Verein Neustart hat für die Sozialnetz-Konferenzen den mit 15.000 Euro dotierten ersten Preis bei der Sozialmarie erhalten. Die Auszeichnung wurde heuer zum zehnten Mal von der Unruhe Privatstiftung an Projekte vergeben, die mit innovativen Lösungen auf geänderte gesellschaftspolitische Bedingungen reagieren.

Vereinbarungen helfen bei Entscheidung über U-Haft

"Die Nachhaltigkeit von Bewährungshilfe lässt oft zu wünschen übrig", skizziert Neustart-Sprecher Andreas Zembaty den Ausgangspunkt für das Modellprojekt, das seit 2012 mit Unterstützung des Justizministeriums erprobt wird. Bekommen junge Straftäter Unterstützung von ihrem sozialen Umfeld, "reagieren sie sehr emotional und schöpfen wieder Motivation", so Zembaty. Gemeinsam mit Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn, Bezugspersonen und eventuell Lehrern erarbeiten sie in einer Gesprächsrunde persönliche Vereinbarungen, die schriftlich festgehalten werden. So wird beispielsweise ausgemacht, dass sich der Betroffene an eine Tagesstruktur halten oder eine Ausbildung beginnen muss. Ein Lehrer erklärt sich bereit, dem Betroffenen Nachhilfe zu geben. Durch die intensive Betreuung des Bewährungshelfers mit bis zu drei Kontakten pro Woche ist die Entlassung aus der Haft möglich. Neustart koordiniert die Gesprächsrunden und überprüft die Einhaltung der Vereinbarungen.

Neben Konferenzen vor einer Haftentlassung, zur Lösung konkreter Probleme und zu Wiedergutmachung mit Opfern werden die Gesprächsrunden seit Sommer 2013 zur Vermeidung von Untersuchungshaft eingesetzt. Anlass war die Vergewaltigung eines Jugendlichen in Untersuchungshaft. "Innerhalb 24 bis 48 Stunden wird das Umfeld kontaktiert und die Bezugspersonen in die Haftanstalt zur Gesprächsrunde gebeten", so Zembaty. Die vereinbarten Maßnahmen sollen die Haftrichter überzeugen, den Jugendlichen die U-Haft zu erlassen. Nach 40 durchgeführten U-Haft-Konferenzen wurden 29 Betroffene enthaftet. Von diesen hielten sich 26 an die Vereinbarungen, drei wurden rückfällig. "Insgesamt könnten pro Jahr rund 100 Jugendliche (36 Prozent der U-Häftlinge) durch die Sozialnetzkonferenz entlassen werden", heißt es von Neustart. In den insgesamt 73 Konferenzen mit 14- bis 21-Jährigen in Wien, Oberösterreich, Steiermark und Kärnten wurden die Pläne in 71 Prozent zumindest größtenteils erfüllt.

Laut Justizministerium sind die Erfahrungen aus dem Projekt positiv und sollen in ein Gesamtkonzept für Präventionsmaßnahmen im Jugendstrafvollzug einfließen. "Auf sozial innovative Weise wird im Kontext von Straffälligkeit ein Paradigmenwechsel bei allen Beteiligten evoziert: Setzen wir auf das soziale Lösungspotenzial, das führt zu mehr Verbindlichkeit", heißt es in der Begründung der Jury.

Mit Schläuchen Räumeneu entdecken

Den mit 10.000 Euro dotierten zweiten Platz vergab die Jury an die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau für "raumSchläuche". Gemeinsam mit Architektinnen der TU Wien und ihrer Lehrerin für textile Werkerziehung kreieren Schüler dabei Schläuche vom Entwurf über den Schnitt bis zum Nähen mit speziellen Nähmaschinen. Schüler von 6 bis 15 Jahren, Kinder mit Handicap, Studierende, Erwachsene und Kindergartenkinder können damit neue Räume für sich entdecken.

Den dritten Preis und 5000 Euro bekamen die "Nachbarinnen", die zurückgezogen lebende Frauen und deren Familien aus demselben Sprachkreis im 12., 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk motivieren, an der Gesellschaft teilzuhaben, und sie bei den ersten Schritten begleiten. Die "Nachbarinnen" kommen aus der Türkei, aus dem Sudan, aus Ägypten, Somalia und Tschetschenien. Zudem gibt es Bildungsfrühstücke mit Erziehungs- und Gesundheitsvorträgen, Bewegungsgruppen, Nähkurse, Deutschkonversation, Lernhilfe und Freizeitangebote für Kinder. Das "Nachbarinnen"-Projekt wird bald auch in Linz starten.

Die weiteren Preise erhielten unter anderem die Online-Plattform Career Moves zur Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt und ein Videowegweiser durch das österreichische Asylverfahren in Tirol. Die Sieger wurden aus 261 eingereichten Projekten aus Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Kroatien ausgewählt.

Die meisten Stimmen beim Publikumspreis bekam die Budgetberatung, die sich an Menschen richtet, deren Einkommens- und Ausgabensituation sich gerade verändert, die jedoch noch nicht von Überschuldung betroffen sind. Die Website www.budgetberatung.at hilft bei der Planung des Haushaltsbudgets und ist ein Beitrag der staatlich anerkannten Schuldenberatungen zur Überschuldungsprävention und Armutsbekämpfung. Als Anerkennung bekommt Budgetberatung einen Image-Film, der die Website aus Budgetrechner und Budgetbeispielen ergänzen wird.