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Geschädigte schauen durch die Finger

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft
Jahrelang zu viel bezahlt haben Kunden wegen Preisabsprachen in der Lebensmittelbranche.
© fotolia/Kadmy

Am Mittwoch startet Prozess Spar gegen Wettbewerbsbehörde. Konsumenten klagen bei Kartellen kaum Schadenersatz ein.


Wien. Wenn am Mittwoch mit dem Verfahren Spar gegen die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) der erste große Kartellprozess im österreichischen Lebensmittelhandel beginnt, können Kunden zwar auf Details zum Vorwurf der Preisabsprachen zwischen Händlern und Lieferanten hoffen. Doch Schadenersatz zu fordern ist für von Kartellen geschädigte Verbraucher praktisch aussichtslos. Daran wird auch die neue EU-Richtlinie zu Schadenersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen nicht viel ändern, sagt Jurist Stefan Krenn, der seine Dissertation zur privaten Kartellrechtsdurchsetzung verfasst hat.

Die neuen Regelungen sollen es erleichtern, Ersatzansprüche bei Kartellrechtsverstößen durchzusetzen. Die EU-Richtlinie wurde im April vom Europäischen Parlament gebilligt, formal muss noch der Rat zustimmen. Die EU-Staaten haben zwei Jahre Zeit, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen. Bisher werden Streuschäden, etwa durch Absprachen bei Lebensmitteln - die geringe Einzelsummen, aber einen hohen Gesamtschaden verursachen - kaum eingeklagt. Die Hürden für die Geltendmachung seien zu hoch, kritisiert die Arbeiterkammer (AK) in einer Stellungnahme zur Richtlinie: "Wer hebt sich Rechnungen über Jahre auf?" Zudem fehle die Information, welche konkreten Produkte von Absprachen betroffen waren.

"Kein Konsument klagt individuell ein paar Euro ein"

"Die größten Probleme sind Beweise, dass Verbraucher geschädigt wurden, die korrekte Berechnung des Schadens und das Prozesskostenrisiko", sagt Krenn: "Kein Konsument klagt individuell einen Schaden von drei bis vier Euro ein." Zwar können Gerichte künftig die Offenlegung von Beweismitteln durch Unternehmen anordnen. Allerdings ist für vertrauliche Angaben ein "gebührender Schutz" vorgesehen, was die Berechnung des Schadens erschweren könnte. Der deutsche Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht teilweise entscheidende Fortschritte durch die Richtlinie, doch sei sie lückenhaft und an entscheidenden Stellen entschärft worden.

Dieser Ansicht ist auch Krenn: "Das wichtigste Thema, eine europaweit einheitliche Regelung von Gruppenklagen, fehlt." Damit haben sich die Gegner einer Einführung von Sammelklagen auf EU-Ebene durchgesetzt. "Eine Klageindustrie nach amerikanischem Vorbild wird es nicht geben", betonte der Berichterstatter, CDU-Abgeordneter Andreas Schwab. Eine Sammelklage nach österreichischem Recht, bei der die Betroffenen ihre Ansprüche etwa an den Verein für Konsumenteninformation abtreten und ein
Prozesskostenfinanzierer mitverdient, eigne sich bei Kartellverstößen nicht, so Krenn: Denn Ansprüche dürfen nicht zusammengerechnet werden. Die AK hält
eine individuelle Abwicklung für äußerst kompliziert. Sie schlägt vor, die Bereicherung im Bußgeldverfahren abzuschöpfen und Konsumentenschutzzwecken zuzuführen, oder ein eigenes Abschöpfungsverfahren zu entwickeln.

Nach Lebensmittelbranche steht Elektronikhandel im Fokus

Vorerst geht es im Prozess Spar gegen BWB, der am Mittwoch mit der Einvernahme von BWB-Chef Theodor Thanner am Oberlandesgericht Wien startet, aber nur um die Frage, ob ein Bußgeld verhängt wird. Die Strafe darf maximal zehn Prozent des Jahresumsatzes betragen. Spar-Vorstand Gerhard Drexel wird am 23. Juni zum Vorwurf der vertikalen Preisabsprachen mit Lieferanten befragt, er hat sich für den Prozessstart entschuldigen lassen. Während andere Lebensmittelunternehmen das Bußgeld zahlten - darunter auch Mitbewerber Rewe -, will sich Spar nicht auf einen Vergleich einlassen. Deshalb landet der Streit mit den Wettbewerbshütern, die dem Händler jahrelange Preisabsprachen vorwerfen, nun vor Gericht.

Grundlage für die Kartellvorwürfe sind eine acht Tage lange Hausdurchsuchung in der Spar-Zentrale in Salzburg im Jänner und Februar 2013 sowie eine Razzia in der Kärntner Spar-Regionalzentrale im August. Konkret soll Spar Endverkaufspreise für Produktgruppen wie Molkereiprodukte und Bier mit Lieferanten durch Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen direkt und indirekt festgesetzt haben, heißt es von der BWB. Diese vertikalen Preisbindungen sollen durch (indirekte) horizontale Abstimmungen - also mit dem Mitbewerb - ergänzt worden sein.

Spar hat eine umfangreiche Stellungnahme beim Gericht abgegeben. Die Dauer des Verfahrens sei derzeit nicht abschätzbar, heißt es im Börsenbericht 2013 des Unternehmens. Die Vorwürfe und die Bußgeldanträge sind aus Sicht von Spar unbegründet.

Werden Kartellstrafen verhängt, fließen diese ins allgemeine Budget. Zwar hat die Regierung in ihrem Arbeitsprogramm festgelegt, dass Bußgelder für den Konsumentenschutz zweckgewidmet werden und an den Verein für Konsumenten gehen sollen, im kürzlich beschlossenen Budget ist davon allerdings nichts zu lesen. Die AK sei nun "irritiert", sagt Silvia Angelo. Sie fordert zudem mehr Transparenz und Verfahrensvorschriften für die beliebten Settlement-Verfahren (Vergleiche).

Zu einem Vergleich waren auch jene Brauereien bereit, die heuer wegen Preisabsprachen mit Händlern zu Strafen von insgesamt 753.000 Euro verurteilt wurden. Nach der Lebensmittelbranche legt die BWB den Fokus auf den Elektronikhandel. Im Vorjahr wurde unter anderem eine Razzia bei Mediamarkt und Saturn durchgeführt. Gegen fünf Firmen aus der Elektronikbranche hat die BWB Ende März Strafen von 2,1 Millionen Euro wegen Preisabsprachen in der Unterhaltungselektronik und bei Haushaltsgeräten beantragt. Die Namen dürfen erst bei einer Verurteilung bekannt gemacht werden.