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Wohin mit der Milch?

Von Sophia Freynschlag und Matthias Nagl

Wirtschaft

Durch das Quoten-Aus in der EU 2015 wird um ein Fünftel mehr Milch produziert werden - Molkereien liefern bis nach China.


Wien. Bis zu vier Euro für einen Liter Milch? Was in Österreich für einen Aufschrei sorgen würde, sind Chinesen für Importware zu zahlen bereit. Die Ausgabebereitschaft der Konsumenten und die Größe des Landes machen Exporte nach China attraktiv - einige österreichische Molkereien liefern bereits Haltbarmilch. "Milch gilt bei Chinesen als wertvolles Produkt, sie kommen zunehmend auf den Geschmack", sagt Andrea Preinstorfer von Gmundner Milch. Die Molkerei verschifft ebenso wie Salzburgmilch seit einigen Monaten Haltbarmilch in Containern in die Volksrepublik. Milch und Milchprodukte im Wert von knapp neun Millionen Euro wurden 2013 von Österreich nach China exportiert, um 28 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

"In Asien steigt die Nachfrage nach europäischer Milch", sagt Helmut Petschar, Präsident der Vereinigung österreichischer Milchverarbeiter. Auslöser sind Lebensmittelskandale wie jener 2008. Damals starben sechs Säuglinge durch mit der Chemikalie Melamin gestrecktes Milchpulver, fast 300.000 Kleinkinder erkrankten an Nierensteinen. 700.000 Tonnen an Milchpulver wurden im Vorjahr aus Europa nach Asien exportiert, so Petschar. Ein großer Teil davon kommt aus Deutschland, wo Großbetriebe das Pulver in eigenen Werken herstellen. Zudem orientiert sich die wachsende Mittelschicht in China und Russland an westlichen Ernährungsgewohnheiten.

Höhenflug beiMilchpreisen ist zu Ende

Durch das Aus der Milchquoten-Regelung in der EU mit Ende März 2015 können Bauern so viel Milch produzieren, wie sie wollen. Petschar rechnet damit, dass die angelieferte Milchmenge in Österreich bis 2020 um 20 Prozent auf 3,6 Millionen Tonnen steigen wird. Da der Konsum von Milchprodukten in Europa stabil ist, muss sich die Milchwirtschaft neue Absatzmärkte suchen. Laut AMA-Marketing-Geschäftsführer Michael Blass sollen die Exporte, besonders an den Hauptabnehmer Deutschland, gesteigert und mehr Käse produziert werden.

Die Ausfuhren von Milchprodukten und Käse aus Österreich haben im Vorjahr einen Rekord erreicht. Die Käse-Exporte nach Russland stiegen im Vorjahr um 174 Prozent auf 10,9 Millionen Euro. Seit 6. Mai hat die russische Verbraucherschutzbehörde allerdings einen Importstopp für Produkte von 15 Molkereien und Fleischverarbeitern wegen Hygienemängel verhängt. Dieser Stopp werde noch bis nach dem Sommer dauern, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium.

Neben Exportsteigerungen bietet das Fallen der Milchquote auch eine Chance für Nischenanbieter, sagt Rudolf Gruber, ein Altbauer aus Hof bei Salzburg. Gruber ist nach der Hofübergabe nicht mehr mit täglicher Arbeit eingedeckt und hat Zeit für Visionen. "Wenn die Milchquote fällt, wäre das auch eine Absatzchance für Kleinbauern", sagt er. Kleinbauern könnten sich auf Qualitätsnischen wie silofreie Heumilch konzentrieren. Die kleinstrukturierte österreichische Landwirtschaft ist in diesem Bereich gut aufgestellt.

Konsumenten greifen immer öfter zu Heumilch und Bio-Milch. Verantwortlich dafür sind vor allem Handelsmarken, deren Anteil im Milchregal laut Nielsen seit 2000 von 17 auf 29 Prozent gestiegen ist. Knapp 80 Liter Milch verbrauchen die Österreicher pro Kopf und Jahr, erstmals wurde hierzulande im Vorjahr mehr "länger frische" ("ESL") Milch als Frischmilch verkauft. Der Preis von Trinkmilch im Lebensmittelhandel hat im Vorjahr mit durchschnittlich 1,05 Euro pro Liter den Höchststand von 2008 wieder erreicht. Den aktuell höheren Milchpreis spüren auch die Bauern. "Wir bekommen jetzt 50 Cent für den Liter Bio-Milch", sagt Josef Tiefenbacher, Milchbauer in Niedernsill im Salzburger Pinzgau.

Die anspringenden Exporte nach China und Produktionsausfälle durch Trockenheit haben die Milchpreise zuletzt beflügelt, so Petschar. Im März 2014 erhielten die Bauern durchschnittlich 41,7 Cent pro Kilo Milch (exklusive Steuern). Damit lagen die Bauernmilchpreise erstmals wieder auf dem Niveau von 1994 - mit dem EU-Beitritt rasselten die Preise auf unter 30 Cent hinunter.

"Das System ist so, dass die kleinen Bauern aufhören"

In den vergangenen Wochen sind die Erzeugerpreise gesunken. "Österreich kann sich nicht vom Weltmarkt abkoppeln", so Petschar. Aufgrund der großen Milchmengen sind die Notierungen von Rohmilch etwa in Verona und in den Niederlanden gefallen. In der zweiten Jahreshälfte rechnet der deutsche Milchindustrie-Verband mit geringeren Erzeugerpreisen. Auch wenn es in Sachen Preis aktuell wenig Grund zu klagen gibt, ändert die Preisentwicklung nichts an strukturellen Problemen. "Das System ist so, dass die kleinen Bauern aufhören", sagt Milchbauer Tiefenbacher.

1300 bis 1400 heimische Landwirte schlossen im Vorjahr für immer die Stalltüre, somit sank die Zahl um vier Prozent auf 32.850 Milchbauern. Beim EU-Beitritt 1995 waren es noch 86.000. Auf einen Betrieb kommen nun durchschnittlich 16 Kühe, Tendenz steigend.

Tiefenbacher zählt mit seinen 25 Milchkühen auch eher zu den Kleinen. Die strukturellen Nachteile fangen bei der Logistik an. "Beim Großen wird die Milch abgeholt, beim Kleinen nicht", erklärt Tiefenbacher. Die Molkereien schreiben gewisse Absatzmengen vor, um die Milch direkt am Hof abzunehmen. Gleiches gilt für die Kühlung am Hof. "Da muss ein Kleiner nahezu das Gleiche investieren, um die Auflagen einzuhalten", so Tiefenbacher. Dennoch hält er eine kleinstrukturierte Landwirtschaft für besser. "Kleinbauern sind krisenfester und unabhängiger", erklärt er: "Außerdem bin ich gegen Massentierhaltung. Aktuell geht die Milchproduktion aber immer stärker Richtung Massentierhaltung."