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Prozess um Listerien-Quargel

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Sechs Angeklagte stehen ab heute in Graz aufgrund von sieben Todesfällen durch verseuchten Käse vor Gericht.


Graz. Sieben Tote, mehrere Erkrankte. Die tödlichen Folgen von mit Listerien verseuchtem Quargel werden - mehr als vier Jahre danach - ab heute, Dienstag, vor Gericht aufgerollt. Vorsorglich wurde der große Schwurgerichtssaal im Grazer Straflandesgericht reserviert, um den erwarteten Andrang bewältigen zu können. Sechs Angeklagte müssen sich wegen fahrlässiger Gemeingefährdung vor Gericht verantworten: vier ehemalige leitende Angestellte, der Geschäftsführer eines externen Prüflabors und der Produzent des Quargels, Prolactal.

Den Angeklagten wird vorgeworfen, für den Tod von sieben Personen und die schwere Körperverletzung durch den Genuss des kontaminierten Käses verantwortlich zu sein. "Die Sorgfalt in der Verarbeitung in Qualitätskontrolle wurde verletzt, sodass der Käse in den Verkehr gebracht werden konnte", erklärt Hansjörg Bacher, Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz. Den Beschuldigten drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Die Firma Prolactal wird durch den Geschäftsführer vertreten sein. Diese Vorgehensweise ist aufgrund des Gesetzes zur Verbandsverantwortlichkeit möglich, das die Haftung eines Verbandes für Straftaten von Entscheidungsträgern und Mitarbeitern regelt. Bis Freitag sind jeden Tag Verhandlungen geplant.

Langwierige Ermittlungen verzögerten Prozessbeginn

Dass es erst jetzt zu einem Prozess kommt, obwohl die Listerien-Belastung bereits Anfang 2010 bekannt wurde, liegt laut Bacher an den "äußerst umfangreichen Ermittlungen": "Es gibt mehrere Opfer und Beschuldigte, zahlreiche Gutachten mussten eingeholt werden." "Harte Ermittlungsarbeit" war laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft notwendig, weil nicht alle Angeklagten aussagten. Die mangelnde Kooperation habe ebenso wie die Schwangerschaft einer Beschuldigten den Prozessstart verzögert.

Acht Menschen starben, nachdem sie den im Prolactal-Werk im steirischen Hartberg produzierten und mit Listerien belasteten Quargel gegessen hatten. Bei sieben davon war Listeriose - eine durch Bakterien verursachte Erkrankung - zumindest mitverantwortlich für den Tod, wie ein medizinisches Gutachten von Frühjahr 2012 ergeben hat. Die Ermittlungen gegen Verantwortliche von Gesundheitsministerium und Lebensmittelaufsicht sowie gegen den steirischen Landessanitätsdirektor wurden nach Gutachten eingestellt.

Spätestens 2009 hätte wegen der "Unbeherrschbarkeit der Listerien-Problematik" eine Schließung der Produktion veranlasst werden müssen, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Der Geschäftsführer des externen Prüflabors, der mikrobiologische Untersuchungen für Prolactal durchführte und als externer Berater fungierte, soll "an den nicht gesetzlichen Vorgaben entsprechenden mikrobiologischen Untersuchungen mitgewirkt und auch teilweise Kenntnis von weiteren Sorgfaltsverstößen innerhalb des Unternehmens gehabt" haben, ohne seinen Auftraggeber darüber in Kenntnis gesetzt zu haben.

Produktwarnungen sind nun schon früher Pflicht

Listeriose ist zwar mit 33 Fällen im Vorjahr eine seltene Infektionskrankheit, verläuft aber häufig tödlich: Acht der 33 Erkrankten starben innerhalb von 28 Tagen. Während bei gesunden Erwachsenen eine Infektion meist harmlos verläuft und sich nur durch Durchfall bemerkbar macht, können immungeschwächte Menschen Dauerschäden davontragen oder sterben. Bei Schwangeren besteht akute Gefahr für das Baby.

Schwierig ist der Nachweis, weil der Zeitraum zwischen Infektion und Erkrankung im Durchschnitt drei Wochen beträgt, es können aber bis zu 70 Tage vergehen, informiert die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Ein kontaminiertes Lebensmittel sei nach dieser Zeit meistens nicht mehr vorhanden, und Patienten könnten sich nicht mehr daran erinnern, was sie vor drei Wochen oder noch früher gegessen haben.

Listerien treten immer wieder in der Nahrungsmittelproduktion auf. Zuletzt riefen Hersteller Schimmelkäse, Speck, Kümmelbraten und Schafkäse zurück. Kritik gab es im Fall des Listerien-Quargels, weil vom ersten Verdacht bis zur Rückholaktion mehrere Monate vergingen. Als Reaktion auf den Listerien-Skandal ist mit 2011 eine Novelle des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes in Kraft getreten. Dadurch muss der Gesundheitsminister bei begründetem Verdacht eines lebensmittelbedingten Krankheitsausbruches eine Information an die Öffentlichkeit durch die Ages veranlassen - also wenn Personen erkrankt und weitere Gefährdungen nicht auszuschließen sind. Früher musste das Ministerium ein amtliches Gutachten abwarten, das die Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels eindeutig feststellte.

Käseproduktion in Hartberg wurde eingestellt

Die Herstellerfirma Prolactal hat übrigens die Käseproduktion in Hartberg 2010 eingestellt, 25 Stellen waren davon betroffen. Der Großteil dieser Mitarbeiter wurde gekündigt. Mit derzeit 60 Beschäftigten produziert das Unternehmen Milch- und Molkereiprodukte für den Export - etwa für Hersteller von Eiscreme, Schokolade, Babynahrung und Backwaren. Damit sei eine Listerien-Belastung kein Thema mehr, sagt Prolactal-Sprecher Gerald Kneidinger. Auch personell hat der Betrieb einen Schlussstrich unter den Skandal gezogen: "Keine der angeklagten Personen ist mehr bei Prolactal tätig."

Chronologie

11. Jänner 2010 Es wird bekannt, dass Prolactal-Produkte mit Listerien befallen sein könnten. Proben werden gezogen.

22. Jänner 2010 Laut Bescheid der Landessanitätsdirektion darf Prolactal keine Produkte mehr in den Verkehr bringen.

23. Jänner 2010 Prolactal startet eine Rückholaktion von 50 bis 60 Tonnen Käse. Betroffen sind unter anderem österreichische Märkte von Spar und Rewe sowie deutsche Lidl-Filialen.

15. Februar 2010 Es wird bekannt, dass 2009 zwölf Menschen in Österreich an dem im Käse gefundenen Listerien-Typus erkrankt sein sollen. Vier der Betroffenen starben. Auch in Deutschland werden zwei Todesfälle auf den Käse zurückgeführt.

18. Februar 2010 Die Grazer Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein.

24. und 26. Februar 2010 Zwei weitere Todesfälle durch den belasteten Käse, einer in Österreich und einer in Deutschland, werden bekannt.

Juni 2011 Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) schließt einen Vergleich mit Prolactal ab. Acht geschädigte Personen erhalten Schadenersatz in Höhe von 76.000 Euro.

Frühjahr 2013 Das Amtsgericht Heilbronn verhängt über Lidl Deutschland 1,5 Millionen Euro Strafe. Lidl soll Käse trotz Listerien-Belastung verkauft haben.

23. August 2013 Die Staatsanwaltschaft Graz erhebt Anklage gegen fünf Personen wegen des Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung mit Todesfolge.

10. Juni 2014 Der Prozess im Grazer Straflandesgericht startet.