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"Es gibt Dinge, die soll man nicht aus der Hand geben"

Von Brigitte Pechar

Wirtschaft

Josef Taus warnt vor dem Abverkauf wichtiger Infrastrukturbetriebe.


Höchste Qualität, politische Stabilität, beste Ausbildung sind für den Industriellen Taus beste Garantien zur Standortabsicherung.
© Andy Urban

Wien. Österreich will seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat deshalb Vorstandschefs führender Unternehmen - etwa von Voestalpine, Verbund oder Telekom Austria - eingeladen, an einem Standortstrategiekonzept mitzuarbeiten. Gefragt ist, wie die Politik die Rahmenbedingungen für Leitbetriebe verbessern kann, um international besser mithalten zu können und so auch die heimischen Arbeitsplätze abzusichern. Bis Herbst soll ein Strategiepapier vorliegen. Die "Wiener Zeitung" führt in unregelmäßigen Intervallen Interviews mit Industriellen und Wirtschaftstreibenden über die Anforderungen an den Wirtschaftsstandort Österreich. Den Anfang macht ein Gespräch mit dem Industriellen Josef Taus, dem Chef der Management Trust Holding.

"Wiener Zeitung":Was macht einen guten Standort für Unternehmen aus?

Josef Taus: Das ist eine umfassende Frage, in einem Interview lassen sich nur wenige Hinweise geben. Ich beginne mit der Politik. Österreich hat seit 1945 im Wesentlichen seit eine von zwei Parteien geprägte Demokratie. In den letzten Jahren gibt es aber eine Tendenz zu größerer Parteienvielfalt. In der Regel ist es so, dass es in Staaten mit stabilen Verhältnissen wenige große Parteien gibt. Österreich hat davon profitiert, dass die in der Ersten Republik sehr kontrovers agierenden Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Katastrophe, zusammengefunden haben.

Jetzt kann man beide kritisieren. Aber eines ist klar: Die Entwicklung, die wir seit 1945 hatten - damals war ich zwölf Jahre alt, Österreich galt als armes Land -, fußt auf der relativen politischen Stabilität. Selbst, wenn einmal eine der Großparteien in Opposition war, sind die Kontakte nicht abgerissen. Diese politisch stabile Basis des Landes scheint sich zu verändern.

Zwar sind die Großparteien keine Großparteien mehr, aber Kontinuität und Stabilität scheinen doch durch den Beamtenapparat gegeben zu sein.

Österreich war immer ein bürokratisches Land - fast zu bürokratisch. Man könnte auch von einer Regulierungsvielfalt sprechen. Übertriebene Bürokratie ist für die wirtschaftliche Entwicklung nicht gerade förderlich.

Wenn ich Sie richtig interpretiere, meinen Sie, die wirtschaftliche Prosperität hat sich ergeben aus der politischen Stabilität, und diese wiederum ist derzeit nicht mehr gegeben.

Selbstverständlich, beides hängt eng zusammen. Noch ist die Stabilität einigermaßen gegeben. Es gibt keine Prosperität ohne politische Stabilität, und es gibt keine politische Stabilität ohne wirtschaftliche Prosperität. In der Theorie kann man Politik und Ökonomie trennen - in der Praxis geht das nicht. Wahrscheinlich das wichtigste Thema ist die Ökonomie, davon leben die Menschen. Und die politische Entscheidung fällt bei einer Wahl.

Derzeit wird das Thema Steuerreform sehr kontrovers unter den Regierungsfraktionen SPÖ und ÖVP diskutiert. Die SPÖ, vor allem die Gewerkschafter, machen Druck für eine Vermögenssteuer.

Die Frage der Eigentumsverteilung ist nur über Steuern allein nicht zu lösen. Im Zuge der Regierungsverhandlungen hat daher eine kleine Gruppe, der ich angehört habe, Ideen zur Finanzierung von Klein- und Mittelbetrieben erarbeitet.

Wie schaut das konkret aus?

Dieses Modell der Mittelstandsfinanzierung sieht vor, dass Mittelständler weit stärker über den Kapitalmarkt finanziert werden und emittieren, was sie wollen: Aktien, Genussscheine, Anleihen. Das sollte von der breiten Masse der Sparer gekauft werden. Dafür sind keine Förderungen notwendig, man muss eventuell steuerliche Anreize geben. Außerdem soll die Mitarbeiterbeteiligung stark ausgebaut werden. Durch beide Maßnahmen wird der Gewinn erheblich anders verteilt. Das Vermögen wächst weiter, aber die Verteilung ist breiter. Eigentum hat eine Dispositionskomponente und eine Ertragskomponente. Den Gewinn sollte man anders verteilen. Aber die Entscheidungen werden im Unternehmen weiter getroffen, und zwar von den Leuten, die dazu berufen sind.

Funktioniert der Geld- und Kreditmarkt in Österreich?

Basel III bedeutet für Österreichs Wirtschaft, die im hohen Maße kreditfinanziert ist, eine erhebliche Gefahr. Einerseits werden die Banken weniger Kredite vergeben können, andererseits ist der Kapitalmarkt schwach. Zentrale Aufgabe der Regierung muss sein, die Kreditversorgung der österreichischen Wirtschaft zu sichern, ohne die Realwirtschaft zu schwächen. Jährlich werden viele Millionen Euro aus Österreich im Ausland investiert - von Banken, von Versicherungen. Ich sage, ich will einen Teil dieses Kapitals im Inland halten, indem ich einen Mittelstandsmarkt aufbaue. Das investitionsbereite Kapital soll auch in österreichische Firmen gelenkt werden. Natürlich soll niemand daran gehindert werden, sein Geld in internationale Firmen zu stecken, aber es soll die Möglichkeit geschaffen werden, über einen österreichischen Mittelstandsmarkt zu finanzieren. KMU können damit rascher wachsen und emittieren. Damit ändert man auch über die Jahre die Vermögensverteilung.

Natürlich wird man auch eine Steuerreform machen müssen - das versteht jeder. Aber die derzeitige Debatte ist völlig sinnlos. Ob diese ein halbes Jahr früher oder später kommt, ist weniger wichtig. Wichtig ist, dass die Investitionsfähigkeit der Unternehmen nicht reduziert wird, wenn man eine Vermögenssteuer macht.



Wie bewerten Sie die Politik im Umgang mit ihren Beteiligungen - etwa der ÖIAG?

nicht aus der Hand geben"

Man kann in Europa viel lernen. Der mexikanische Milliardär Carlos Slim - ich kenne ihn nicht persönlich - versuchte in Holland eine Telefonfirma zu kaufen - und ist gescheitert. Die denken nicht daran, so etwas aus der Hand zu geben. In Österreich hat Slim die Mehrheit an der Telekom Austria erworben. Es gibt Dinge, die soll man nicht aus der Hand geben. Ich war ja auch ein Gegner wilder Privatisierungsphasen. Sicherlich, man muss Unternehmen über den Kapitalmarkt finanzieren, nicht über das Budget, damit ökonomischer Druck entsteht. Das bedeutet aber nicht, dass man unter allen Umständen die Mehrheit aus der Hand gibt. Wir sind da ein wenig leichtsinnig. Das sind die anderen nicht. Schauen Sie nach Schweden, nach Dänemark, nach Holland, in die Schweiz. Die kleinen Länder in der EU haben wenig politischen Einfluss, aber sie halten ihre ökonomische Position.

Sehen Sie Notwendigkeiten, bei Bildung und Ausbildung ein Schäuferl nachzulegen?

Unsere Mitarbeiter sind gut, aber wir müssen unbedingt verhindern, dass das Niveau sinkt. Und zwar auch jenes der Handwerker und der Facharbeiter. Das Niveau der HTL-Abgänger ist gut, die Absolventen der Technischen Universität sind gut. Das sind die Dinge um die es geht. Wir müssen die Wissenschaft fördern - auch die angewandte. Dann kommen wir schon weiter. Bildung und Ausbildung sind extrem wichtige Themen, das nicht in wenigen Sätzen zu beschreiben ist.

Wird unser Schulsystem krankgeschrieben?

Es gibt zwei Dinge, die sich nicht verändern: Wenn einer aus bildungsfernen Schichten die sogenannte höhere Bildung anstrebt, muss er mehr arbeiten als die anderen. Wenn er das nicht will, erreicht er es auch nicht. Das zieht sich durch bis ins Studium, weil dann auch noch die ökonomische Komponente durchschlägt und Studierende aus einkommensschwachen Schichten neben dem Studium arbeiten müssen. Es ist sicher heute für jemanden, der aus der Masse der Bevölkerung kommt, leichter als vor 50 Jahren, zu höherer Bildung zu kommen, aber noch immer schwieriger als für den, der in die Bildungsschicht hineingeboren wurde.

Würden Sie sagen, dass jetzt mehr Misstrauen zwischen SPÖ und ÖVP herrscht als in den 60er, 70er und 80er Jahren?

Es schaut fast so aus. Zwar sind Kanzler und Vizekanzler per du. Die politische Lage der jetzigen Regierung ist aber schwieriger als das, was Vorgänger zu regeln hatten. Trotzdem: Uns geht es gut, aber wir müssen sehr aufpassen, dass die Stabilität gesichert bleibt.

Was ist der Grund dafür?

Weil die Leute ordentlich arbeiten. Jeder geht in der Früh zur Arbeit, es gibt relativ wenige Krankenstände. Die Produkte sind von hoher Qualität und wir können sie in der ganzen Welt verkaufen. Wir leben von der Qualität unserer Wirtschaftsprodukte. Davon, dass immer Neues entwickelt wird, dass investiert wird, dass wir technische Kompetenz haben, dass Unternehmen wachsen und immer neue Unternehmen gegründet werden.

Reicht das für die Zukunft?

Wir leben davon, dass uns ununterbrochen etwas Neues einfällt, dass es immer neue, bessere Produkte gibt, dass die Leute älter werden, dass die Medizin Fortschritte macht. Wir leben davon, dass der Fortschritt eine Institution dieser Gesellschaften ist - und der soziale Friede. Und den wieder erhält man, indem man die Verteilung vernünftig vornimmt. Nicht jeder kann genau das gleiche haben.

Aber Arme dürfen nicht verhungern und der Mittelstand muss immer größer werden. Am besten ist es, wenn möglichst viele Anteil am Produktionsvermögen beteiligt sind. Das sollte mit dem Kapitalmarkt- und Mitarbeiterbeteiligungsmodell, das im Regierungsprogramm, eingebaut wurde, möglich sein. Wir leben in einer Fortschrittsgesellschaft. In dem Moment, wo der Fortschritt schwächer ist, funktioniert das System nicht mehr.

Die Welt, wie sie jetzt ist - als ich jung war, lag die Weltbevölkerung bei zwei Milliarden, jetzt leben bereits mehr als sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten -, wird immer mehr und immer besser produzieren müssen. Sie wird auch umweltfreundlicher produzieren müssen. Da kommt es sehr auf die Entwicklung der Naturwissenschaften an. Das ist keine Frage der Reduktion, sondern des Wissens. Denn wenn man sieht, dass die Menschen immer mehr werden - was soll man da reduzieren? Das ist die Chance, die wir haben. In Europa, das politisch und auch militärisch eine bescheidene Position hat, können wir uns nur auf unsere ökonomische Qualität und politische Stabilität berufen.

Josef Taus (81) stammt aus einfachen Verhältnissen, studierte Jus, arbeitete als Wirtschaftsredakteur bei der "Wiener Zeitung", war Aufsichtsratsvorsitzender der ÖIAG, Vorstandsvorsitzender der Girozentrale, und ist seit 1989 Unternehmer (Management Trust Holding AG) - als solcher engagierte er sich auch bei osteuropäischen Mobilfunkgesellschaften. Politisch sozialisiert wurde Taus im ÖAAB, war in der Regierung Klaus II Staatssekretär, von 1975 bis 1979 Bundesparteiobmann der ÖVP und von 1975 bis 1991 Nationalratsabgeordneter.