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Österreich könnte Spitzenplatz bei Arbeitslosigkeit verlieren

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Deutschland hat sich zum Musterschüler entwickelt - Trendwende in Österreich erst 2015.


Wien. Der weitere Anstieg der Arbeitslosigkeit könnte Österreich nach mehr als drei Jahren den Rang als Musterschüler mit der niedrigsten Arbeitslosenrate innerhalb der EU kosten. Denn während hierzulande die Quote im heurigen Juli um 9,7 Prozent im Vergleich zum Juli 2013 gestiegen ist, ist sie in Deutschland gesunken. Dort verzeichnet man mit 2,871 Millionen Arbeitslosen den niedrigsten Juli-Wert seit 1991. "Es ist durchaus möglich, dass Österreich seinen Spitzenplatz verliert", sagt Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS).

Deutschland hat zuletzt kräftig aufgeholt und liegt laut jüngsten verfügbaren Eurostat-Daten von Ende Juni mit 5,1 Prozent nur noch hauchdünn hinter Österreich (5,0 Prozent). Zum Vergleich: 2005 betrug die Quote in Deutschland 11,3 Prozent. "Österreich hat die Wirtschaftskrise besser überstanden als viele andere EU-Länder, ist aber drauf und dran, seine gute Position zu verlieren", warnt Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Experten sind sich aber einig, dass Österreich nach wie vor unter den Top-3- oder Top-5-Ländern mit der niedrigsten Quote bleibt.

"Immer mehr Personen drängen auf den Arbeitsmarkt"

"Deutschland hat sich vom kranken Mann zum Musterland bei der Arbeitslosigkeit entwickelt", sagt Hofer. Die Konjunktur entwickle sich im Nachbarland besser, der Inlandskonsum habe zugelegt. Zudem verzeichne Österreich mehr Zuzug von Arbeitskräften als Deutschland, so Hofer. In Österreich wanderten durch die Personenfreizügigkeit 0,6 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2012 ein, in Deutschland rund 0,4 Prozent, wie die OECD-Migrationsdatenbank zeigt.

Besonders Tourismus und Baugewerbe ziehen ausländische Jobsuchende an. Das steigende Arbeitskräfteangebot ist auch ein Grund, warum hierzulande die Arbeitslosigkeit steigt, obwohl gleichzeitig die Beschäftigung zunimmt. Im Juli gab es 28.000 Stellen mehr als ein Jahr zuvor, gleichzeitig waren 60.000 zusätzliche Arbeitskräfte im Land.

"Immer mehr Personen drängen auf den Arbeitsmarkt", sagt Ernst Haider vom Arbeitsmarktservice (AMS). Einerseits ziehen viele Osteuropäer nach Österreich, andererseits sind Frauen immer häufiger erwerbstätig. Da der Pensionseintritt schwieriger wird, arbeiten ältere Menschen länger, wodurch das Potenzial an Arbeitskräften ebenfalls steigt.

Wirtschaftswachstum heuer zu schwach für Erholung

Die Beschäftigung wird weiter zunehmen, zusätzlichen Stellen halten aber nicht mit der steigenden Zahl der Arbeitskräfte Schritt. Um die Arbeitslosigkeit einzudämmen, bräuchte man in Österreich ein Wirtschaftswachstum von "zwei Prozent plus x", sagt Leitl. Dieses Wachstum geht sich allerdings heuer nicht aus: Die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS haben ihre Konjunkturprognosen nach unten revidiert und rechnen für heuer nur noch mit 1,4 beziehungsweise 1,5 Prozent Plus des BIP.

Für heuer erwarten Experten keinen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Das AMS geht von einer Trendwende in der zweiten Hälfte 2015 aus. Hofer ist optimistischer und prognostiziert, dass die Quote Anfang 2015 zurückgehen werde.

Wirtschaftlich scheint die Talsohle zwar durchschritten, der Weg nach oben dürfte aber "weiter steinig und mühsam bleiben", heißt es vom Sozialministerium. Die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt bleibe weiterhin schwierig. "Ohne entsprechende Unterstützung durch die inländische Nachfrage werden, vor allem auch angesichts des weiter steigenden Arbeitskräfteangebots, die Arbeitslosenzahlen wohl auch nicht spürbar sinken", sagt Sozialminister Rudolf Hundstorfer.

Gering Qualifizierte, Ausländer und Behinderte betroffen

Aus Sicht der Unternehmen erschweren steigende Arbeitskosten die Schaffung neuer Jobs. "Betriebe müssten "dringend bei Lohnnebenkosten und Bürokratie entlastet werden", fordert Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik der Wirtschaftskammer (WKO). Auch Peter Koren von der Industriellenvereinigung macht Druck: "Will man die Arbeitslosigkeit senken, ist eine Entlastung nicht mehr aufschiebbar, ansonsten ist die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gefährdet und damit sind es auch heimische Arbeitsplätze."

Als problematisch stuft IHS-Experte Hofer die hohe Inflation ein: Die in den Kollektivvertragsverhandlungen vereinbarten Lohnerhöhungen gelten die Inflation ab. Österreich hatte im Juni mit 1,7 Prozent im Jahresabstand die zweithöchste Teuerung in der EU und lag damit deutlich über dem EU-Durchschnitt (0,7 Prozent). "Das verbessert nicht gerade die Wettbewerbsfähigkeit", so Hofer.

Angesichts der steigenden Konkurrenz nimmt die Arbeitslosigkeit vor allem bei Behinderten, gering qualifizierten und älteren Personen sowie Ausländern zu. "Für Menschen ohne weiterführenden Abschluss gibt es in Wien immer weniger Jobs", sagt AMS-Wien-Vizechef Winfried Göschl.

Um den Anteil der Beschäftigten über 55 Jahre zu steigern, fordern Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund ein Bonus-Malus-System. Die WKO lehnt das ab: "Quoten für Ältere und Strafen für die Nichteinhaltung sind ungerecht und zudem mit einem unnötigen bürokratischen Aufwand verbunden", so Gleitsmann.